Johanna Danneberg

Argots Schwert


Скачать книгу

hab mir ja auch viel mehr erhofft von diesem Gespräch heute! Aber mehr als mich entschuldigen kann ich nicht!“, rief sie aus.

      „Ich zieh dich nur auf, Caro.“, sagte Falk. „Tobi ist ein...“

      „... Arschloch, genau! Noch lange kein Grund für dich, selber zu einem zu werden.“

      Sie sah ihn an und fast meinte er, Tränen in ihren Augen zu sehen, doch er konnte sich auch täuschen.

      Frauen würden öfter mal falsch spielen, das hatte Tobi auch gesagt, dachte Falk.

      Caro hatte sich eine Zigarette angezündet.

      „Warum versuchst du nicht einfach, mir zur erklären, was er gemeint hat?“, meinte Falk versöhnlich. „Und dann kannst du mir bei der Gelegenheit auch gleich noch erzählen, wer oder was diese Minister sind, von denen Tobi geredet hat. Und was ist eigentlich ein Lehen? Und dieses mysteriöse Archiv, was ist das überhaupt?“

      Caro rauchte und schwieg eine Weile.

      „Du hast vollkommen Recht.“, sagte sie schließlich. „Woher sollst du all das auch wissen.“

      Mit einem etwas erzwungen wirkenden kleinen Lächeln sah sie ihn an, und sagte dann:

      „Hör mal, wie wär’s mit noch einem kleinen Crashkurs zum Lebensalltag im Mittelalter? Ich könnte dir zumindest einige Fragen beantworten. Dann wird dir vieles klarer. Mir selber übrigens auch…“, fügte sie hinzu, und wieder einmal musste Falk feststellen, dass ihr Spott nicht nur anderen, sondern genauso auch ihr selbst galt.

      „Lädst du mich auf nen Espresso mit Schuss ein?“, fragte er. „Hast doch heute eh die Spendierhosen an.“

      Caro grinste breit.

      „Ok. Lass uns zum Markt gehen.“, schlug sie vor.

      Während Falk sein Rad neben ihr her schob, dachte er darüber nach, warum er sich überhaupt auf diese ganze Sache einließ, und nicht einfach nach Hause fuhr und am Computer bis nachts um eins zockte. Vielleicht lag es daran, dass Caro ihm das Gefühl gab, mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Weder ließ sie ihn ihren Universitätsabschluss spüren, wie es Konrad Seilers Kollegen, die zu Hauf auf dessen Grillabenden rumhingen, gerne taten, noch musste er sich von ihr über Autos und Frauen belehren lassen, wie von Micha und Robs. Tatsächlich schien sie ihm mehr zuzutrauen als seine eigene Mutter, die ihm erst das Abitur ausgeredet hatte – er sollte lieber eine ‚anständige Lehre’ machen - und dann den Führerschein – ob er überhaupt wisse, was das koste.

      Tag 7 - 8, Mittwoch bis Donnerstag

      Es dämmerte schon, als die beiden den Marktplatz erreichten. Sie setzten sich in einem gemütlichen Café ans Fenster, abseits der anderen Gäste. Caro bestellte einen großen Kaffee, während Falk sich statt des Espressos mit Schuss dann doch lieber für einen Kakao mit Sahne entschied. Die Kellnerin brachte die Getränke, Caro rührte in ihrer Tasse herum und begann, einige der Begriffe, die Tobi benutzt hatte, zu erklären.

      Anfangen werde sie am besten mit den ‚Lehen’, meinte sie und Falk nickte aufmunternd. Das Lehnswesen, erzählte Caro, war bestimmend für die gesamte mittelalterliche Gesellschaftsordnung gewesen. Herausgebildet hatte es sich im Hochmittelalter, ab ca. 1000 nach Christus. Es zeichnete sich insbesondere aus durch die gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Lehnsherr und dem Lehnsempfänger, dem Vasall.

      Der oberste Lehnsherr im Reich war der König, der an seine höchstgestellten Fürsten das Nutzungsrecht an Grundstücken mitsamt den darauf befindlichen Gebäuden „verlieh“. Das verliehene Grundstück nannte man Lehen. Das Ganze wurde durch einen Eid besiegelt und beide waren sich von nun an verpflichtet: der Lehnsherr zu „Schutz und Schirm“, der Vasall zu „Rat und Hilfe“. Das bedeutete, er musste seinem Herrn dienen, wenn dieser es verlangte, was insbesondere den Kriegsdienst mit einschloss. Im Laufe der Generationen wurden die Lehen erblich, das hieß, der Vasall konnte sein Lehen an seine Kinder weitervererben; aber der eigentliche Eigentümer blieb immer der Lehnsherr. Der König war aber nicht der einzige Lehnsherr im Land. Vielmehr konnte seine Vasallen ihrerseits zu Lehnsherren werden, indem sie ihre Ländereien an andere Adlige weiterreichen, die dann auch wieder Lehnempfänger, also Vasallen, wurden.

      In der gesellschaftlichen Rangordnung standen unter den Vasallen als nächstes die Bauern in Grundherrschaft. Sie bearbeiteten ihre Schollen, also kleine Parzellen Land auf dem Lehensgut ihres Vasallen, und mussten Abgaben an ihn leisten: zum einen den sogenannten Zehnt, etwa zehn Prozent der Ernte, und zum anderen ihre Arbeitskraft im sogenannten Frondienst. Es gab sowohl „freie“ als auch „unfreie“ Bauern, das kam auf die Eltern an, da man in seinen Stand hineingeboren wurde. Als Hörige befanden sich die Unfreien zwar unter der alleinigen Gewalt des Grundherrn, hatten jedoch den Vorteil, dass sie nicht zum Kriegsdienst verpflichtet werden konnten, wie die freien Bauern. Da sie dieser Pflicht im Laufe des Mittelalters zunehmend nachkommen mussten, begaben sich viele von sich aus in die Unfreiheit.

      Der Kriegsdienst war dann auch einer der Gründe, warum sich aus dem in Grundherrschaft unter den Vasallen lebenden Volk ein neuer eigener Stand hervorbildete: die Ministerialen (nicht „Minister“ übrigens, meinte Caro grinsend), der sogenannte Dienstadel. Da nämlich die Herren immer wieder für ihre jeweiligen Lehnsherren, oder gleich für den König, in den Krieg ziehen mussten und oft monatelang unterwegs waren, brauchten sie treue und verantwortungsvolle Verwalter für ihre Lehen. Darüber hinaus wurden gut ausgebildete Kämpfer benötigt. Beides konnten die Ministerialen erfüllen, die so einerseits wichtige Funktionen in der Verwaltung der Güter im Reich übernahmen, gleichzeitig aber auch den Kern der eigentlichen Ritterschaft bildeten. Für ihre Dienste wurden sie von den Vasallen oft mit eigenen Dienstlehen entlohnt, für die sie zwar keine Abgaben leisten mussten wie die hörigen Bauern, die aber auch nicht vererbbar waren wie richtige Lehen.

      Die Macht der Ministerialen stieg im Laufe des Hochmittelalters, insbesondere unter den Geschlechtern der Salier und der Staufer, die im 11. und 12. Jahrhundert die Könige und Kaiser stellten. Es gab sogar direkt dem Kaiser unterstellte Reichsministerialen, die wichtige Ämter am Hofe innehatten und Einfluss auf die Reichspolitik nehmen konnten. Sie sollten eine Art Gegengewicht zum selbstherrlichen und oftmals erschreckend ungebildeten Adel bilden.

      Die Ministerialen begannen, ihre eigenen Burgen zu bauen, und ihr Lebensstil glich sich dem der adligen Familien immer mehr an. Schließlich entwickelte sich hieraus der Stand des sogenannten niederen Adels, der selber Lehen empfangen und auch vererben konnte.

      „Unsere Herren von Lobdeburg und später Leuchtenburg, die damals, um 1150, an die Saale kamen, waren solche Ministerialen. Kein hoher Adel, aber kampferprobt und bestimmt nicht zimperlich, wenn es um die Eroberung dieser unbekannten Landstriche im Osten ging. Und dafür durften sie sich ihre eigenen Burgen bauen und sich danach benennen. Um 1150 wurde die Lobdeburg errichtet, um 1220 folgte dann die Leuchtenburg.“, schloss Caro.

      Falk nickte und sagte:

      „Aber, wie wir ja von Tobi gehört haben, dauerte es nicht lang und sie mussten ihre Burgen räumen, oder?“

      Caro warf einen Blick auf ihre Notizen, nickte, und fasste zusammen:

      „Nur rund Hundert Jahre später, 1333, mussten die Leuchtenburger ihre Burg schon an die Wettiner verkaufen. Weitere sieben Jahre später, 1340, verloren auch die Lobdeburger ihre Burg an die aufstrebende Macht der Wettiner. Ab da hatten beide Familien keine überregionale Bedeutung mehr.“

      „Und galten als verfeindet.“, fügte Falk hinzu. „Wegen eines angeblichen Verrats der Leuchtenburger, welcher den anrückenden Wettinern den Zugang zur Lobdeburg ermöglichte.“

      Ernst sah er Caro an, die wieder emsig in ihrem Kaffee rührte, von dem sie kaum einen Schluck getrunken hatte.

      „Jetzt erzähl doch mal, was hat es denn nun auf sich mit diesen Fehden?“, forderte Falk sie auf. „Das ist wohl so eine Art offizieller Streit gewesen? Der nach dem Motto ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ ablief? Und deswegen theoretisch bis heute andauern könnte?“

      „Ach, bis