Johanna Danneberg

Argots Schwert


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er sich zu Unrecht behandelt fühlte. Aber weil sich die Fürsten ununterbrochen in ihren Streitigkeiten verstrickten, wurde die Sitte schon im 12. Jahrhundert unter Strafe gestellt.“

      Caro hatte sich zwischenzeitlich noch einen Kirschkuchen bestellt, davon aß sie nun ein paar Happen und schob den Rest zu Falk herüber, bevor sie fortfuhr:

      „Du siehst, als die Lobdeburg Mitte des 14. Jahrhunderts an die Wettiner fiel, hätte es eigentlich gar keine Fehden mehr geben sollen.“

      Falk beäugte erst den Kuchen, dann Caro, die unbehaglich zur Seite blickte. Misstrauisch merkte Falk auf:

      „An solche Verbote hielt sich doch damals bestimmt keine Sau! Ich dachte, das waren so kriegerische Zeiten damals. Und die ganzen Ritter brauchten doch auch was zu tun.“

      Er sah Caro zu, wie sie unglücklich den Kopf wiegte.

      „Du hast schon irgendwie Recht. Das mit der Rechtsprechung war schwierig damals, weswegen Gesetze auch nicht so einfach durchzusetzen waren. Letztlich war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ein einziger Flickenteppich mit vielen kleinen und großen Herrschern. Es gab keine zentralen Verwaltungsorgane und somit war es kaum möglich, die Einhaltung eines solchen Verbotes überall zu gewährleisten.“

      Falk sagte triumphierend:

      „Hab ich mir doch gedacht! Wenn also ein Leuchtenburger den Wettinern einen Trick verraten hätte, wie sie die Lobdeburg einnehmen konnten, und dadurch seinen Schwager oder Cousin oder sonst wen auf der Lobdeburg verraten hätte, hätte sich der Lobdeburger ‚zu Unrecht’ behandelt gefühlt und hätte einen blutigen Rachefeldzug lostreten können!“

      „Ja, so ungefähr. Er hätte aber natürlich vorher einen Fehdebrief an seinen Feind…“

      Erschrocken hielt Caro inne und starrte Falk sekundenlang an. Der fragte:

      „Fehdebrief?“

      Caro schlug sich mit der Hand an die Stirn.

      „Das muss es sein. Natürlich! Tobi hat den Fehdebrief gefunden!“

      Sie sah Falks fragenden Gesichtsausdruck und erklärte:

      „Das ist das offizielle Dokument, was man seinem Feind aushändigte, bevor man ihn angriff. Da stand sozusagen drin: Ich, Ritter Soundso von Soundso gedenke, dich und deine gesamte Familie in der nächsten Zeit auszulöschen, mir deine Besitztümer anzueignen und in Zukunft deine Bauern für mich arbeiten zu lassen. Das waren höfliche Menschen damals.“

      Zerknirscht fügte Caro hinzu:

      „Ich hätte gleich daran denken müssen. Wahrscheinlich hat Tobi, als er diese Schriften von Bruder Claudius entdeckt hat, gezielt im Archiv nach Fehdebriefen aus der betreffenden Zeit gesucht. Er ist fündig geworden, und dann vielleicht auf weitere ungeklärten Todesfälle in den Familien der Lobdeburger und Leuchtenburger gestoßen…“

      „… und so zu seiner Vermutung gelangt, dass der Tod von Marie von Flotow, geborene Leuchtenburg, das Ende dieser fast 700 Jahre andauernden Fehde sein könnte.“, beendete Falk ihren Satz.

      Er fixierte Caro.

      „Dieses Archiv – was ist das nun?“

      „Das Thüringische Hauptstaatsarchiv in Weimar, eine Lagerstätte für Dokumente. Und zwar Dokumente, die bis ins Hochmittelalter zurückgehen. Es ist hervorgegangen aus den Archiven der Ernestinischen Herzogtümer. Du erinnerst dich, Tobi hatte von der Aufteilung der wettinische Linie in Ernestiner und Albertiner erzählt, im Jahr 1485.“

      „Ja, da wurde es mir aber zu bunt. Ich hab ihn unterbrochen.“

      „Das war auch genau richtig so. Aber was für uns von Interesse ist: die Ernestinische Linie war diejenige, die in Jena, in Weimar und auch in Kahla, wo die Leuchtenburg steht, das Sagen hatte. Nachdem sich die Wettiner die Leuchtenburg angeeignet hatten, errichteten sie ja dort ein Amt für die Verwaltung ihrer Ländereien. Und aus dieser Zeit und bis zur Gründung des Landes Thüringen 1920, lagern im Archiv unendlich viele Dokumente, die quasi die Verwaltung der Ernestinischen Herzogtümer dokumentieren.“

      Caro erzählte, dass die mittelalterlichen Verwalter fürstlicher Lehen mit buchhalterischer Genauigkeit alles vermerkt hatten, was im Alltag eine Rolle spielte, also Ernteerträge, Abgaben und Einnahmen durch die Bauern in Grundherrschaft, Viehbestände, sowie Ausgaben für Waffen und Kriegsgerät.

      Darüber hinaus wurden im Archiv Gerichtsakten und Verkaufsurkunden aufbewahrt, aber auch Schriftstücke zu Bürgermeisterwahlen, private Briefe und Notizen von wichtigen adligen Familien der umgebenden Gemeinden, sowie Kirchenbücher, sofern diese nicht durch Brände, Hochwässer oder Kriege zerstört worden waren. Darin standen die Geburten, Taufen, Eheschließungen und Todesfälle der jeweiligen Gemeinden, und zwar sowohl der Bauern als auch der adligen Lehnsherren. Wenn dem damaligen Chronisten die nötigen Informationen zugänglich gewesen waren, so schrieb er auch die Todesursache dazu, so dass heute noch nachzulesen war, ob jemand im Kriegsdienst gefallen oder daheim im Bett friedlich eingeschlafen war.

      „Oder unter ungeklärten Umständen gestorben ist.“, bemerkte Falk düster.

      Caro überging seinen Kommentar und schloss mit den Worten, dass das Lesen und Interpretieren solcher Quellen ein wichtiger Teil des Geschichtsstudiums sei, weswegen sie nicht nur Latein, sondern auch mittel- und niederdeutsche Dialekte hatte lernen müssen.

      „Wir mussten uns dafür etxta in die Vorlesungen der Germanisten einschreiben, ich sag dir, das sind...“

      Sie wollte ihn ablenken, bemerkte Falk, und unterbrach ruppig:

      „Tobi kann doch nicht jedes Schriftstück im Archiv übersetzt haben, auf der Suche nach seinem Fehdebrief.“

      Caro grinste, als freute sie sich insgeheim, dass er sie durchschaut hatte.

      „Das wäre in der Tat beachtlich. Der Bestand ist so riesig, das die Angaben zum Umfang in laufenden Metern gemacht werden. Wenn es zum Beispiel sieben laufende Meter Urkunden gibt, dann bedeutet das, sieben Meter Regallänge, von oben bis unten gefüllt mit Urkunden.“

      „Und wie könnte Tobi da auf den Fehdebref, oder andere dieser uralten Dokumente gestoßen sein?“

      „Nun, es gibt natürlich eine Datenbank für den Bestand. Der Archivar und seine Mitarbeiter sind dafür verantwortlich. Außerdem kennt sich Tobi durch seine Doktorarbeit sicherlich auch schon ziemlich gut dort aus.“

      „Aber theoretisch könnten wir diese Dokumente dann doch ebenfalls finden!“

      Caro schüttelte bedauernd den Kopf.

      „Nein. Nur Historiker mit Abschluss haben Zugang. Studenten nur, wenn sie ein begründetes Interesse haben. Leute wie dich und mich lassen sie allenfalls in die Vorhalle…“

      Sie warf einen Blick in ihre Kaffeetasse und sah sich dann nach der Kellnerin um.

      „Mein Kaffee ist kalt. Willst du auch noch was?“

      Falk schüttelte den Kopf und sah Caro stattdessen eingehend an.

      „Du studierst doch Geschichte. Solltest du da nicht auch ins Archiv können?“

      Caro winkte entnervt ab.

      „Ach, ist doch jetzt egal.“, sagte sie mit heller Stimme, bestellte, als sie die Kellnerin entdeckte, noch einen Kaffee, ein weiteres Stück Kuchen – diesmal Schokolade - , und floh dann in Richtung Toilette.

      Stirnrunzelnd sah Falk ihr nach. Als sie zurückkam, roch sie nach Zigarettenrauch, und sagte ohne Einleitung:

      „Letztlich wissen wir nicht, ob Tobi Recht hat mit seiner Fehde. Es spricht einiges dafür, aber auch einiges dagegen. Ich könnte mir sogar durchaus vorstellen, dass es mal eine Fehde gegeben hat, damals, im 14. Jahrhundert. Aber eben nicht, dass sie bis heute andauert.“

      Falk seufzte, ließ sich in die Lehne seines Stuhls zurückfallen, und fuhr sich mit der Hand mehrfach durch die langen Haare.

      „Nun, zumindest wäre