Johanna Danneberg

Argots Schwert


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denn er machte es sich auf seinem Stuhl gemütlich, indem er ein Bein übers andere schlug und einen Arm auf Caros Stuhllehne legte. Caro rückte unmerklich ein Stückchen nach außen, zückte aber gleichzeitig ihren Stift, denn Tobi begann nun, zu erzählen:

      „Wenn wir über die Leuchtenburg reden, müssen wir mit der Lobdeburg anfangen.“, hob er an. „Die Besiedelung der ganzen Region hier begann nämlich mit den Lobdeburgern. Vermutlich war es Stauferkaiser Friedrich I. – der, den man landläufig als Barbarossa kennt –, der die ersten Ministerialen an die Saale schickte. Im Jahr 1152, als er zum König gewählt wurde, war das Reich in Aufruhr. Zum Einen musste sich der junge König gegen zahlreiche innenpolitische Feinde durchsetzen, insbesondere die Welfen im Norden. Darüber hinaus war er ständig unterwegs, vor Allem in Italien. Und dann kamen noch die Kreuzzüge - dabei ist er ja schließlich auch gestorben, 1190, in der heutigen Türkei, auf dem Weg nach Jerusalem.“

      „Schön und gut, Kaiser Rotbart…“, warf Caro ein. „Zurück zur Lobdeburg! Barbarossa entsendete seine Ministerialen – also war es Hausmachtpolitik, stimmt’s?“

      „Caro, du enttäuschst mich! Wenn die Fürsten ihre Hausmacht vergrößern wollten, so versuchten sie, an die Territorien anderer Adliger zu gelangen – indem sie ihre Töchter oder Schwestern oder Mütter verheirateten, indem sie in den Krieg zogen oder indem sie kauften. Aber dort, wo Barbarossa seinen Dienstadel hinschickte, da gab es ja noch gar kein Territorium. Wir sprechen also von Landesausbau. Durch Rodung sollte das Land hier bewohn- und nutzbar gemacht werden und das Reich nach Osten hin ausgedehnt werden.“

      Tobi trank seinen Wein aus und warf einen bedauernden Blick auf das leere Glas. Caro machte ein genervtes Zischen und begab sich unaufgefordert an den Verkaufstresen der Cafeteria.

      „Hey Caro!“, rief Falk, hob sein leeres Glas Apfelsaft, und schwenkte sie grinsend über dem Kopf.

      Das Schweigen, das sich zwischen Falk und Tobi ausbreitete, war gar nicht mal so unangenehm. Der Doktorand wippte mit seinem übergeschlagenen Bein und Falk lehnte sich zurück, in Erwartung dessen, was hier noch so zur Sprache kommen würde. Bis jetzt war viel Blabla und nichts interessantes dabei gewesen, aber irgendwie war Tobi unterhaltsam, außerdem schien er Caro auf die Palme zu bringen, was Falk wiederum erheiterte. Sie kam zurück, setzte sich wieder an ihren Platz und schob den beiden ihre Getränke hin.

      „Wo war ich?“, fragte Tobi zerstreut, wobei Falk das Gefühl hatte, dass er das noch genau wusste.

      „Barbarossa schickte seine Ministerialen in den wilden Osten.“, tat Caro ihm den Gefallen.

      „Genau, und keine blühenden Landschaften weit und breit.“, meinte Tobi geistreich. Dann fuhr er fort:

      „Sie bauten also hier an einer Saaleüberquerung ihre Burg. Es muss bereits eine Siedlung gegeben haben, namens Lobeda, was heute der Stadtteil Alt-Lobeda ist. Danach benannten sie sich nämlich – fortan waren sie die Herren zu Lobdeburg.“

      Falk beobachtete Caro, die eifrig mitschrieb, offenbar in der Absicht, Tobi das Gefühl zu geben, hier ununterbrochen ungemein wichtige Informationen preis zu geben. Und tatsächlich schien dieser sich pudelwohl zu fühlen und erzählte weiter:

      „Die Herren waren sehr fleißig, rodeten die Wälder und gründeten in der Umgebung einige Dörfer, zum Beispiel Kahla, Lobenstein und Schleiz. Und natürlich Jena – die ältesten archäologisch gesicherten Funde hier aus der Altstadt stammen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Dann kam es irgendwann zur Teilung der Lobdeburger in zwei Linien, ebenfalls in dieser Zeit. Der eine Bruder, er hieß Helmut, errichtete einige Kilometer flussaufwärts bei Kahla eine zweite Burg, die Leuchtenburg. Es wird allgemein das Jahr 1220 als Jahr der Fertigstellung angenommen. Die Burg lag an einer strategisch äußerst günstigen Stelle. Man kann weithin ins Land blicken und ist dabei selbst praktisch uneinnehmbar.“

      Tobi trank einen Schluck und fuhr fort:

      „Der andere Bruder, der entweder wohl Hartmut hieß, oder auch Hartmann oder Hermann – die Quellen sind sich hier nicht ganz einig - bewohnte mit seiner Familie die Lobdeburg, und baute die Siedlung Jena weiter aus, die, ebenfalls 1220, Stadtrecht erhielt. Ab dann konnten auch Münzen geprägt werden, die kann man sich heute noch angucken, im Stadtmuseum.“

      Er deutete mit dem Daumen hinter sich, wohl um in Richtung Markt zu zeigen, wo sich das Jenaer Stadtmuseum befand. Tobi sagte:

      „Laut der Quellen brachen die Herren von Lobdeburg und die Herren von Leuchteburg in den ersten Jahren nach der Trennung offenbar gemeinsam zu verschiedenen Feldzügen ihrer Lehnsherren auf. Dies zeigt, dass die Familien zunächst nicht verfeindet waren. Zunächst!“

      Hierbei hob er beide Augenbrauen und schaute bedächtig von Caro zu Falk und zurück. Tobi hatte schon vorher nicht schnell gesprochen, doch jetzt machte er eine besonders lange Pause, bevor er fortfuhr.

      „In den folgenden Jahrzehnten dann erlebten beide Familienzweige einen schleichenden Niedergang. Sie unterstützten immer die falschen regionalen Herrscher, solche, die später selber besiegt wurden, und fielen so in Ungnade bei den jeweiligen Königen. Ab 1250 gab es dann sowieso keine Könige mehr, beziehungsweise, es gab mehrere gleichzeitig.“

      „Das Interregium.“, warf Caro ein.

      „Na bitte, es geht doch. Ganz genau, so nannte man diese Übergangsphase, in der es keinen alleinigen Herrscher gab. Die Hausmachtpolitik, die du vorhin erwähntest, wurde nun im großen Stil betrieben Die Fürsten waren alle bestrebt, ihr Territorium, also ihre Hausmacht, zu vergrößern. Und die Lobdeburger und die Leuchtenburger waren zu klein und unwichtig, sie wurden einfach zerrieben. Nach und nach mussten sie alle ihre Besitztümer und Lehen aufgeben. Die fielen an größere, mächtigere Fürsten…“

      Tobi machte erneut eine Pause, um einen großen Schluck Wein zu trinken.

      „Zuerst erwischte es die Leuchtenburger: 1333 mussten sie ihre Burg an ein steinreiches und sehr expansives sächsisches Adelsgeschlecht verkaufen. Und nur kurz darauf, 1340, fiel auch die ältere Burg, die Lobdeburg, an dasselbe Geschlecht.“

      Triumphierend blickte er sich um. Falk wunderte sich, was an dieser Aussage so spektakulär war, als Caro nüchtern bemerkte:

      „Deine Wettiner betreten also endlich den Schauplatz.“

      „Es lässt sich nichts daran rütteln, Caro – sie verhalfen der ganzen Region zur Blüte! Überleg mal: um die Mitte des 14. Jahrhunderts wütete die Pest, ein Drittel der Bevölkerung Europas starb! Doch Jena, ebenfalls kurz zuvor den Wettiner in die Hände gefallen, wuchs und gedieh, der Weinbau und Handel brachten der Stadt neuen Reichtum ein. Das schlug sich auch im Stadtbild nieder: die Kirche St. Michael wurde gebaut, am Markt entstanden große repräsentative Bauten, eine neue Bürgerschaft bildete sich heraus…“

      Interessiert beobachtete Falk den jungen Mann, der regelrecht ins Schwärmen geriet. Wieder war es Caro, die ihn unterbrach:

      „Jaja, ich glaub’s dir. Aber was passierte mit den Burgen? Vor Allem mit der Leuchtenburg?“

      „Nun, die Lobdedurg wurde von den Wettinern erobert, sie fiel also nicht kampflos, wurde dabei aber stark zerstört. Und was die Leuchtenburg angeht: die Wettiner wurden durch ihre Landnahme zu den Landgrafen von Thüringen, mit allen Rechten, aber auch allen Pflichten. Sie errichteten daher auf der Leuchtenburg einen Amtssitz zur Verwaltung der umliegenden Dörfer. Bis 1700 hatte dieses Amt Bestand.“

      Tobi hielt inne, als wolle er die Information bei seinen Zuhörern erst einmal sacken lassen. Falk, der an das Bürgeramt Jena denken musste, und die Mitarbeiter, die dort hinter ihren Tresen hockten und Formulare stempelten, fand, dass ein Amt so ziemlich das letzte war, was er sich auf der Leuchtenburg vorstellen konnte, und warf einen ratlosen Blick zu Caro. Die war mit Schreiben beschäftigt und sah erst auf, als sich Tobi abrupt erhob und erklärte, er werde jetzt eine rauchen.

      Caro wechselte einen kurzen Blick mit Falk, und sagte dann:

      „Lass dich nicht aufhalten. Wir warten hier.“

      *

      Schweigend beobachteten