Johanna Danneberg

Argots Schwert


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Caro:

      „Du siehst aber so aus, als ob du ziemlich fit bist.“

      Sie gestikulierte in seine Richtung. Falk hatte sein T-Shirt schon vorhin ausgezogen, da es windstill und heiß war, außerdem war er stolz auf seinen trainierten Oberkörper, den er, anders als seine Beine, die schon immer schon dürr und sehnig gewesen waren wie die seines Vaters, durch unendlich viele Situps und Liegestütze gestählt hatte. Falk freute sich über das Kompliment, erzählte von seinen Trainingseinheiten zu Hause, seiner Kindheit im Hockeyverein und auf dem Bolzplatz, und dass er generell für jede Ballsportart zu haben sei.

      Caro, so stellte er fest, war eine aufmerksame Zuhörerin, die gelegentlich einen Kommentar beisteuerte oder eine passende Anekdote. So erfuhr Falk, dass ihr jüngerer Bruder früher auch Hockey gespielt hatte und sich einmal bei einem Spiel „in die Hosen geschissen“ habe.

      „Danach hat er das Vereinsgelände nie wieder betreten“, fügte sie hinzu.

      Beinahe hätten sie, ins Gespräch vertieft, kurze Zeit darauf das Wehr übersehen, dem sie sich langsam näherten. Falk, der Caro nahe gelegt hatte, ihr Paddel lieber nicht mehr zu benutzen, da sie sowieso nur gegenlenkte, steuerte sie ans Ufer, wo sie ausstiegen und eine Pause einlegten. Caro teilte für jeden einen Müsliriegel und eine kleine Colaflasche aus ihrem Rucksack aus. Sie hatten von hier freie Sicht auf die Ruine der Lobdeburg, die sich, in einiger Entfernung hoch oben am Hang über den elfgeschossigen Plattenbauten, deutlich vor dem dichten Wald abhob.

      Falk meinte, darauf deutend:

      „Sag mal, hast du das auch gehört, dass die Lobdeburger, die das Ding da oben hingesetzt haben, irgendwie mit der toten Adligen verwandt sind? Von der du mir erzählt hattest.“

      Caro schaute ebenfalls in die Richtung und sagte nickend:

      „Gab ja kein anderes Thema in den letzten Tagen. Offenbar haben die Lobdeburger und die Leuchtenburger tatsächlich gemeinsame Vorfahren. Die Lobdeburg ist übrigens die ältere der beiden Burgen, sie stammt aus dem 12. Jahrhundert.“

      „Und die Leuchtenburg entstand dann im 13. Jahrhundert, richtig?“

      „Ja. Vermutlich nur einige Jahrzehnte später. Es muss eine Teilung der Familie gegeben haben. Das war damals nicht unüblich, weil ja immer nur der älteste Sohn den Familienbesitz geerbt hat. Der eine Familienzweig blieb hier, das waren dann die Herren von Lobdeburg. Sie gelten übrigens als Begründer der Stadt Jena. Der andere Teil begann, ein paar Kilometer entfernt, mit dem Bau der Leuchtenburg, das waren dann halt die Herren von Leuchtenburg.“

      „Unglaublich, dass diese Familien bis heute bestehen.“, meinte Falk.

      „Naja, die Familie von Leuchtenburg ja nun wohl nicht mehr. Die tote Frau, die sie da gefunden haben, sie war wohl tatsächlich die letzte Nachkommin. Außer natürlich, es meldet sich noch ein unbekanntes Familienmitglied.“

      Caro schob sich noch einen Bissen ihres Müsliriegels in den Mund, zerbröselte den Rest mit den Fingern, und fügte hinzu:

      „Allerdings nicht wegen des Erbes. Sie muss völlig mittellos gewesen sein, als sie geheiratet hat.“

      „Bis auf das Haus natürlich.“, sagte Falk.

      „Welches Haus?“

      „Na, wo die Leiche gefunden wurde. Das verfallene Holzhaus unterhalb des Fuchsturmes. Sie ist ja dort aufgewachsen.“

      „Stimmt.“, nickte Caro. „Es muss der letzte Besitz der Leuchtenburger gewesen sein.“

      Warum nur war Marie an jenem Abend dorthin zurückgekehrt?, fragte sich Falk einmal mehr, und um ein Haar hätte er erwähnt, dass er zumindest von drei weiteren Dingen aus dem Besitz der Leuchtenburgerin wusste: einem Lederbeutel, einem alten Schwert und einem Brief.

       *

      Später schoben sie ihr Schlauchboot auf der anderen Seite des Wehrs wieder ins Wasser und glitten weiter, durch den beidseits der Ufer gelegenen Paradiespark, bis sie sich schließlich der Brücke bei der großen Wiese näherten, auf der sie erst wenige Tage zuvor abends zusammen gestanden hatten. Da sie hier ein weiteres Wehr hätten umtragen müssen, beschlossen sie, ihre Fahrt zu beenden, und im Paradiescafé noch einen Happen zu essen.

      Falk klopfte sorgfältig das Wasser vom Boot, ließ die Luft ab, faltete es zusammen, und verstaute es zusammen mit den Paddeln wieder in seinem Wanderrucksack. Dann gingen er und Caro die paar Schritte hinüber zum Café und setzten sich an einen der Tische im Biergarten. Auf dem Spielplatz nebenan hingen Kinder wie Äffchen an den Klettergerüsten, tobten die Rutsche rauf und runter, und jagten sich um eine Sitzgruppe aus Holz. An den Tischen ringsum saßen erschöpft aussehende Eltern, und alle paar Minuten sprang jemand auf und eilte hinüber auf den Spielplatz, um ein heulendes Kind zu trösten oder Streitereien zu schlichten. Hinter ein paar Bäumen lag die Wiese, auf der heute, am Dienstagabend, weniger los war als am vergangenen Samstag. Die Saale konnte man durch die Uferbüsche in der Abendsonne glitzern sehen.

      „Wenn diese schreienden Blagen nicht wären, könnte es hier echt idyllisch sein“, sagte Caro, als der Kellner ihr Essen und ihre Getränke brachte.

      Falk wechselte einen unbehaglichen Blick mit dem Kellner. Eltern konnten sehr aufbrausend reagieren, wenn man ihre kleinen Lieblinge beleidigte. Zum Glück schien der Lärm vom Spielplatz Caros Bemerkung übertönt zu haben. Er lehnte sich zurück, betrachtete Caro, die an einer riesigen Portion Bratkartoffeln mit Schweinshaxe herumpickte, nahm einen Schluck von seinem Bier und fasste einen Entschluss.

      „Ich muss dir jetzt mal was erzählen“, sagte er.

      Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute sie auf und legte dann die Gabel beiseite. Er fügte hinzu:

      „Du musst es aber für dich behalten.“

      „Jetzt sag nicht du bist verheiratet und hast drei Kinder.“, sagte sie und prustete im selben Moment auch schon los.

      „Ja, genau, und deswegen hat das mit uns leider keine Zukunft.“, antwortete Falk.

      Caro kicherte noch eine Weile, und er wartete, bis er ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Zunächst unsicher, wo er anfangen sollte, setzte er schließlich bei jener Nacht vor gerade einmal einer Woche ein, als er zusammen mit Robs und Fanni auf dem Heimweg von Konrad Seilers Grillparty gewesen war. Er erzählte, wie sie die Abkürzung über den Hausberg genommen hatten, entlang der schmalen unbeleuchteten Straße, und plötzlich vor dem alten Holzhaus mit dem seltsamen Zeichen am Giebel gestanden hatten, und wie er, um Fanni zu vergraulen, Robs dazu überredet hatte, einen Blick hinein zu werfen. Wie sie dann im Inneren des Hauses den Lederbeutel mit dem Schwert entdeckt hatten, und er diesen hatte mitgehen lassen, da Robs im Gegenzug zugesagt hatte, alle weiteren Annäherungsversuche von Fanni abzublocken. Und wie Robs, der alte Drückeberger, gleich am nächsten Morgen ins Trainingslager verschwunden war und ihn, Falk, mit dem ganzen Schlamassel allein gelassen hatte.

      Caro hatte seinen Ausführungen erst spöttisch, dann mit immer größerem Interesse gelauscht, während die Haxe auf ihrem Teller erkaltete. Als Falk, bei dem Teil mit dem Holzhaus angekommen, leiser gesprochen hatte, war sie mit ihrem Stuhl ein Stück zu ihm heran gerutscht. Nun steckten sie die Köpfe zusammen, während Falk ihr die schnörkellose Waffe mit den eingravierten Zeichen beschrieb, außerdem auch den Brief, den er und Robs noch in dem Beutel gefunden hatten, mit den vier Wörtern auf dem Umschlag: ‚Für Mark von Marie’.

      Nach einem Schluck von seinem Bier erzählte Falk, dass er am nächsten Tag, als er die Sachen gerade habe zurückbringen wollen, von seinem Vermieter erfahren habe, dass oben in dem alten Haus eine Leiche gefunden worden sei.

      Caro murmelte:

      „Marie von Flotow…“.

      Falk berichtete von seinem daraufhin abgeänderten Plan, nämlich einfach alles in die Saale zu schmeißen. Dann jedoch habe er eines der beiden eingravierten Zeichen auf dem Schwert erkannt, und so sei er schließlich in Argots Laden gelandet, wo er zufällig mitbekommen habe, wie sie, Caro, gerade ein Interview mit dem alten Goldschmied vereinbart habe, und dass eben dieser Argot unter seinen Vorfahren