Axel P. Müller

Rachegold


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etwas Weiches auf ihre Nase und Mund.

      Sie konnte nicht schreien und sich auch nicht wehren. Der Mann war zu kräftig gebaut. Das war das Letzte, was sie wahrnahm.

      Um sie herum schien Nebel aufzusteigen, nur noch Nebel, dichter undurchdringlicher Nebel.

      Monique musste Cindy unbedingt sehen. Sie verspürte eine innere Unruhe gepaart mit einer schrecklichen Ahnung. Etwas war anders als sonst. Seit Stunden konnte sie die Stimme ihrer besten Freundin lediglich auf dem Anrufbeantworter vernehmen. Sie hatte bereits mehrmals vergeblich um Rückruf gebeten, aber nichts, das war nicht ihre Art. Normalerweise hätte sie immer die Zeit gefunden, ihr wenigstens eine kurze SMS zu schicken, dass sie sich später bei ihr melden würde. Cindy war die Zuverlässigkeit in Person, zumindest ihr gegenüber.

      Sie bog in die Pfeilstraße im Herzen Kölns ein, wo Cindy über einer Boutique wohnte. Cindy war geborene Tschechin, ihr richtiger Name Petra Pátková wies darauf hin, aber schon als Kleinkind war sie in die Bundesrepublik Deutschland im Schlepptau ihrer Eltern übergesiedelt. Die Eltern hatten ihr den Spitznamen nach einem Schlager aus den 50er Jahren gegeben und sie hatte ihn bewusst übernommen, da sie gerne alle Hinweise auf ihre Herkunft leugnete. Sie fühlte sich als Deutsche, hatte die Staatsbürgerschaft und sogar ihre sprachliche Färbung abgelegt, selbst das Kölner Dialekt beherrschte sie, wenn sie auch nur selten in diesen rheinischen Singsang verfiel.

      Die beiden Freundinnen hatten ihre Zweitschlüssel zu den Wohnungen getauscht, da es ihnen des Öfteren passierte, dass sie die Wohnungstür zuschlugen, ohne den Schlüssel eingepackt zu haben. Die Türen waren in solchen Fällen von hilfreichen und handwerklich begabten Nachbarn leicht zu öffnen gewesen, aber diese waren auch nicht rund um die Uhr verfügbar. Infolge dessen war es einige Male geschehen, dass Monique bei Cindy oder Cindy bei Monique übernachten mussten. Lustigerweise war es seit dem Schlüsseltausch nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass der Ersatzschlüssel benötigt wurde. Außerdem war es bei Abwesenheit ganz praktisch, jemanden zu wissen, der den Briefkasten von der lästigen Werbung befreite und die Pflanzen versorgte.

      Monique hieß eigentlich Monika Schmitz, aber das war ihr als stellvertretende Geschäftsführerin einer gut gehenden Boutique zu profan erschienen. Ihren Nachnamen konnte sie nicht ändern und so hatte auch sie sich einen Künstlernamen zugelegt, der französisch angehaucht auf dem Namensschildchen mit dem Zusatz Filialleiterin über ihrem linken Busen über Ihre Position in dem Laden aufklären sollte und somit wesentlich besser zu dem französischen Geschäftsnamen „en vogue“ passte.

      In dem Laden auf der Mittelstraße hatte sie Cindy vor ein paar Jahren als Kundin kennen gelernt, sie hatten sich nach und nach angefreundet, sich irgendwann dann zu einem Latte Macchiato getroffen. Nach einiger Zeit ging die Beziehung zu gegenseitigen regelmäßigen Besuchen über, bis sie endlich unzertrennlich wurden und bei ihren Treffen vornehmlich über die ach so böse Männerwelt lästerten, wenn das Thema Mode erschöpft war.

      Beide hatten nicht allzu viel Glück mit ihren Partnern. Monique wechselte diese häufiger, vielleicht, weil sie zu viel Anpassungsbereitschaft von ihren Männern erwartete oder einfach nicht den Richtigen finden konnte. Cindy hatte einen reichen Freund, der ihr alles großzügig bezahlte, von der Wohnung über Auto, Telekommunikation, Kleidung und einem üppigen Taschengeld. Im Gegenzug musste sie jederzeit für ihn bereitstehen, ihm alles Sexuelle liefern, nach dem ihm gelüstete. Von Liebe konnte hier keine Rede sein, man konnte ihre Rolle eher als die einer gut bezahlten Mätresse bezeichnen, die sich bei jedem Besuch sagte: „Augen zu und durch!“. Darüber hinaus konnte er unerhört gewalttätig werden. Wenn er seine Frustration abbauen wollte, konnte es passieren, dass sie mit nennenswerten Blessuren aus einem so genannten Liebesabend hervorkam, die sie dermaßen verunstalteten, dass sie sich tagelang kaum aus dem Haus traute, um den unangenehmen Fragen von Bekannten auszuweichen. Wenn Monique ihre Freundin dann sah, wie sie mit großer Sonnenbrille und in die Stirn gezogener Mütze das Haus verließ und den Eindruck einer etwas spleenigen Frau hinterließ, klingelten bei Monique wieder die Alarmglocken. Oft hatte sie ihre Freundin gefragt, warum sie das mit sich machen ließ. Die Antwort war immer die gleiche: wenn ihn ein schlechtes Gewissen wegen der Ausfälle gegenüber seiner angeblichen Geliebten überkam, zeigte er sich äußerst großzügig und belohnte ihr Leiden üppig, dazu kamen Beteuerungen, so etwas würde nie wieder geschehen. Sie glaubte ihm immer oder wollte es einfach glauben, zu sehr hing sie am Geld. Die Beschwerden vergingen in ein paar Tagen, die Geldquelle aber blieb. Monique hätte nie, auch nicht mit einem Schmerzensgeld in dieser Höhe, eine solche Behandlung geduldet, so etwas konnte auch schnell mal böser enden. Häufig hatte sie ihre Freundin zu überreden versucht, diesen Sadisten zum Teufel zu jagen und ihr einen Job zu vermitteln. Das hätte zwar weniger Luxus für sie bedeutet, aber auch weniger Schläge, außerdem liefen ja doch eine Menge ganz netter Kerle frei herum. Alleinsein hatte letztlich auch seine Reize.

      Als Monique vor der Wohnungstür stand, beschlich sie aus unerfindlichen Gründen wieder das beklemmende Gefühl in der Brust. Aus Ahnung war Gewissheit geworden. Sie wusste plötzlich, dass etwas nicht stimmte, obwohl es hierfür keinerlei Anzeichen gab, sie schrieb dieses Gefühl der weiblichen Intuition zu. Andererseits, ein Anzeichen gab es schon, Cindy hatte immer, wenn sie in der Wohnung war, das Radio laufen und das nicht unbedingt auf Zimmerlautstärke, oft hatte sich Monique beschwert, dass man sich nur schreiend unterhalten konnte, um den aus allen Ecken rieselnden Lärm zu übertönen. Jetzt gab es keine Musik, von ihren Lieblingsbands, BAP, Scorpions und Rolling Stones, war kein Ton zu hören.

      Sie klingelte, keine Reaktion, sie klopfte an die Wohnungstür und schloss auf, sie rief Cindys Namen, immer noch keine Reaktion, es herrschte Grabesstille. Im Wohnzimmer, das ausschließlich mit weißen Möbeln bestückt war, stand eine leere Flasche Sekt mit zwei Gläsern auf dem niedrigen gläsernen Couchtisch, dazu eine Platte mit Salz- und Käsegebäck. Die Küche war aufgeräumt, bis auf ein paar Tassen, die auf das Einräumen in die Spülmaschine warteten. Im leeren Badezimmer brannten alle Lampen, dies war sonderbar und stand im Gegensatz zu Cindys Umweltbewusstsein. Im Schlafzimmer angekommen, schlug sie die Hände vors Gesicht. Was sie sah, ließ ihren Atem stocken und ein Brechreiz stieg in ihr hoch. Sie sah Cindy mit entblößtem Unterleib auf dem Rücken liegen. Oben herum trug sie noch eine zerknitterte beige Seidenbluse. Sie hatte etliche Wunden am Kopf, ihre linke Schläfe zeigte eine nicht mehr blutende Platzwunde. Um ihren Hals hatte jemand eine schwarze Strumpfhose gewickelt. Monika schossen die Tränen in die Augen. Trotz des verschwommenen Blicks, entdeckte sie einen runden dunklen Fleck unter dem Fußinnenrand der Sohle des linken Fußes. Sie trocknete die Tränen und warf einen Blick auf die Wunde, sie hatte einen pfenniggroßen Durchmesser und war schwarz rot, hatte dieser Sadist – sie konnte es kaum glauben – eventuell eine Zigarette auf der empfindsamen Haut unter ihrem Fuß ausgedrückt? Was müsste sie für Qualen ausgestanden haben, bis sie endlich starb? Der Tod musste mit Garantie eine Erlösung von ihren unvorstellbaren verschiedenartigen Schmerzen gewesen sein.

      Hatte das brutale Schwein, ihr so genannter Freund, es endlich geschafft sie umzubringen? Traurig streichelte sie ihrer Freundin über die Wange und erschrak. Die Haut fühlte sich noch warm an. Ihre Nebennieren stießen augenblicklich das Stresshormon Adrenalin in ihre Adern aus und sie spürte ihren Blutdruck ansteigen. Sie war hellwach und wurde aus ihrer noch soeben vorherrschenden Trauer herausgerissen. Sie wusste, jetzt war sie gefordert. Sie kramte hastig einen Taschenspiegel aus ihrem Shopper und hielt ihn unter Cindys Nase, er beschlug leicht. Monique hechtete ins Wohnzimmer zum Telefon und wählte die Notrufnummer der Feuerwehr. In routiniert erscheinender Manier gab sie kurz und knapp die notwendigen Informationen dem diensthabenden Beamten durch, vergaß auch nicht einen Notarzt und die Polizei anzufordern, da die Überfallene mutmaßlich noch lebte. Sie bat auch um absolut vorrangige Weitergabe an den Mediziner, dass die Atmung zwar schwach aber existent sei und sie möglicherweise noch gerettet werden könnte.

      Erst jetzt gewann das brustzuschnürende Gefühl bei Monique wieder Oberhand, mehr konnte sie in diesem Augenblick nicht für ihre Freundin tun. Sie stellte sich ans Fenster, zog die Vorhänge zurück und ballte die Hände zu Fäusten, derart fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie beachtete nicht die einkaufswilligen Flaneure auf der gegenüber liegenden Straßenseite, obwohl sie ansonsten gerne aus beruflichem Interesse beobachtete, welche Schaufensterauslage die Aufmerksamkeit der kaufwilligen Damen erregte. Sie erinnerte sich wieder an die