Axel P. Müller

Rachegold


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Anlass, diesen Körperteil sowohl im bekleideten und auch unbekleidetem Zustand genauer zu studieren. Sein Urteil fiel absolut positiv aus, für ihn war es makellos und erotisierend.

      Ihr Puppengesicht mit der nach hinten gewölbten Stirn kam besonders gut zur Geltung, wenn sie am Hinterkopf einen Dutt trug. Sie war nicht die klassische Schönheit wie damals die junge Liz Taylor, Grace Kelly oder Natalie Wood, dafür hatte sie eine zu große Lücke zwischen den Schneidezähnen und eine leicht seitlich verstärkte Nasenspitze, aber sie wurde von allen Bekannten und Freunden, die sie schon einmal gesehen hatten, als äußerst attraktiv eingestuft. Eine makellose Schönheit machte ohnehin den meisten Leuten Angst. Sie sprach nur für den geschulten Zuhörer mit einem leichten Akzent, trotz ihrer Herkunft konnte er keine dialektische Parallele zu dem böhmischen Soldaten Schweik ausmachen. Neben ihrem betörenden Charme hatte sie noch eine gesunde Portion Humor und sie ließ sich jeden Unsinn oder Streich gefallen. Alles in allem eine Person, mit der man gerne zusammen war und mit der es nie langweilig wurde. Sie war belesen und sogar über Politik, Literatur und Musik konnte man sich mit ihr unterhalten, ob Klassik, Jazz, Rock oder Pop, na gut, darüber brauchte man nicht zu reden. Mit ihr war es nie langweilig, in ihrer Begleitung flog die Zeit überschnell vorbei.

      Er hatte sich mit ihr angefreundet, wenn nicht sogar etwas in sie verliebt. Wenn man ihren Worten in dieser Beziehung glauben durfte, bestand das auf Gegenseitigkeit. Als Zeichen, dass sie ihn auch mochte, wertete er die Tatsache, dass sie gelegentlich auch ohne volle Bezahlung oder sogar kostenlos mit ihm zusammen war. Das kam zwar nicht allzu oft vor, war ihm aber immer eine willkommene Entlastung seiner angespannten Finanzlage.

      Der übliche Abend sah so aus, dass er sie in ihrer Wohnung abholte, dass sie vielleicht zu Beginn etwas knutschten, gewissermaßen als freudige Begrüßung und dass sie danach in ein gepflegtes Restaurant gingen. Anschließend begaben sie sich noch auf einen oder ein paar Cocktails in eine Bar, sie liebte bezeichnenderweise „Sex on the Beach“ und anschließend spazierten sie Hand in Hand noch ein paar Schritte bis zu ihrer Wohnung im Concordia Hochhaus. Im Fahrstuhl, der sie in luftige Höhen katapultierte, überbrückten sie die Zeit mit leidenschaftlichen Küssen in Vorbereitung auf den ersehnten Tagesausklang.

      Sie war extrem geschickt vorgegangen, als sie ihn nach seinen Vorlieben für Damenunterwäsche ausgefragt hatte und er ihr freudig in erotisierender Erwartung alles aufzählte, was er so mochte: Halterlose Strümpfe, schwarz oder weiß, French Knickers oder Hipsters und dazu passende durchscheinende Büstenhalter. Keine Korsagen, und auch keine String Tangas, die empfand er als zu obszön, so etwas hätte er eher bei einer Straßenprostituierten erwartet. Von dem Moment an trug sie zu seiner Begeisterung ausschließlich diese Dessous bei ihren Treffen, was er jedes Mal mit einer Palette von Zärtlichkeiten belohnte.

      Da so ein Abend mit ihr nicht gerade billig war, besuchte er sie zwei bis drei Mal monatlich, sonst hätte das sein monatliches Budget absolut gesprengt. Seit er seine Festanstellung bei dem Globus Magazin, einer Umweltpostille, gekündigt hatte und nunmehr als freier Journalist tätig sein wollte, waren seine Mittel beschränkt. Er hatte den Job gekündigt, weil er in der Wahl der zu behandelnden Themen unabhängig sein wollte, obwohl man ihn als Senior Berichterstatter hofiert und mehrmals zur Fortsetzung seiner Festanstellung zu verbesserten Bezügen aufgefordert hatte.

      Nunmehr musste er versuchen, jeden einzelnen Artikel an den Mann beziehungsweise an die Redaktionen verschiedener Zeitungen zu bringen. Das war teilweise ein äußerst anstrengender und zeitraubender Job. Natürlich hatte er mit verschiedenen Blättern Rahmenverträge, er musste aber vor jeder Publikation eines Artikels antichambrieren. Er hasste das, den Chefredakteuren in den Hintern zu kriechen, nur damit ein zur Unkenntlichkeit verstümmelter Artikel erschien, in dem man nicht mehr seine Handschrift erkennen konnte. Dazu kam noch, dass er oft genug vor einer Recherche zurückschreckte, weil sie zu langwierig und zeitraubend war oder er einfach keine richtige Lust an dem vorgeschlagenen Thema hatte. Dann hätte er auch bei dem Umweltmagazin „Globus“ bleiben können, da hatte er wenigstens eine servile Assistentin gehabt, die ihn mit den notwendigen Informationen versorgt hatte und zudem im Bett eine Granate war. Mit ein wenig Wehmut dachte er an die Vergangenheit zurück, aber er hatte eine Entscheidung getroffen und sich vorgenommen, eigene Entscheidungen nicht bereuen zu wollen, insbesondere, weil sie zum Zeitpunkt der Beschlussfassung wohl überlegt waren, zumindest üblicherweise.

      Er war nun einmal nicht der Fleißigste, Fleiß war die Stärke der Dummen, sagte er insgeheim. Am liebsten recherchierte er immer noch Kriminalfälle oder noch besser Morde. Dann brauchte er nur seine mit viel Alkohol erkauften Beziehungen anzuzapfen, um einen Artikel auf Basis spärlicher Information und viel Phantasie zusammenbasteln zu können. Andreas kannte viele Kriminalpolizisten, Staatsanwälte, Richter und Strafverteidiger sowie deren Präferenzen und Familienverhältnisse, die er in einer Datei auf seinem Laptop verewigt hatte. Zugegeben, auch ein paar Interna, wie historische oder aktuelle Freundinnen, Details über Alkoholexzesse oder Drogenkonsum, sowie berufliche Verfehlungen konnte man diesen Zusammenstellungen entnehmen, von denen er aber nur in verzwickten Situationen Gebrauch machte. Wenn er dann seine Informanten zu einem Glas einlud, rutschte denen durch seine geschickte Fragerei fast immer eine nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Information heraus, auch wenn es nur ein Bruchteil einer Indiskretion war, dann trat eben Kreativität an die Stelle der fehlenden Fakten. Meist konnte er dann ein halb fertiges Puzzle durch phantasievolle Farbgebung ergänzen. Wie oft hatte er schon insgeheim den Kopf geschüttelt, wenn er als Journalist eine Information erhielt mit dem Zusatz: „Das bleibt aber unter uns, das ist streng vertraulich.“ Diesen Satz einem Journalisten zuzuraunen war, als ob man einer Raubkatze einen Fleischbrocken vorwarf mit der Bemerkung, diesen aber nicht zu fressen. Um den Informanten nicht zu verraten, stellte er diesen derart verklausuliert dar, dass der Leser glaubte, es handele sich um ein belegbares kursierendes Gerücht oder entspringe einer Recherche des Schreiberlings. Was dann an dem Artikel wirklich zählte, war die Überschrift und die Unterüberschrift –ein Widerspruch in sich-, die mussten eine Sensation erahnen lassen, auch wenn im Artikel der Überschrift widersprochen wurde. Und darin war er Meister. Im Artikel selbst konnten unbeschadet eine Menge Fragezeichen stehen, die vom Konsumenten in aller Regel überlesen wurden Er stellte die übermittelten Informationen des Artikels geschickt als Ermittlungsstand dar, der zweifelsfrei feststand und unwiderlegbar bewiesen werden konnte.

      Manches Mal bedauerte er denn doch seine Entscheidung, das Umweltmagazin verlassen zu haben, dort war im Prinzip die Welt für ihn noch in Ordnung gewesen. Mit dem Chef und den Kollegen war er bestens ausgekommen, sein Einkommen war mit seinem jetzigen nicht vergleichbar gewesen und der Chef hatte zudem noch mit einer größeren Einflussnahme und dem Job des stellvertretenden Chefredakteurs gewunken, aber er hatte einfach an den überlangen Recherchen, die mehrere Wochen oder sogar Monate dauerten, keinen Spaß mehr gehabt. Zugegeben, die Artikelserie über die Havarie des Atommeilers in Tschernobyl und des Reaktorunfalls in Fukushima hatte ihm etliche Pfründe beschert, sogar Ruhm hatte er geerntet, aber die Ergebnislosigkeit, insbesondere die Paralyse des internationalen Polizeiapparates, war für ihn extrem frustrierend gewesen. Was nützt es denn, wenn man in lang dauernder mühsamer Detailarbeit einen riesigen Skandal aufdeckt, Fakten nennt und Personen namhaft macht und unterm Strich die zuständigen Behörden nicht bereit sind, die Verantwortlichen an den Pranger zu stellen. In der Artikelserie hatte er eine dubiose amerikanische Umweltschutzorganisation überführt, maßgeblich an der Katastrophe von Tschernobyl beteiligt gewesen zu sein.

      Wie enttäuscht war er gewesen, als er den Kriminalfall Tschernobyl aufgeklärt hatte und insbesondere die politische Ebene sich außerstande gesehen hatte, Konsequenzen zu ziehen. Der Grund hierfür war in der internationalen Rücksichtnahme auf diplomatische Animositäten zu suchen. Die Täter, die tausendfachen Mord zu verantworten oder zumindest den Tod Tausender billigend in Kauf genommen hatten, liefen immer noch frei herum und konnten weiterhin ihr Unwesen treiben.

      Das ganze Verhalten der internationalen Polizeibehörden und seine Ohnmacht vor dieser nicht funktionstüchtigen Organisation in Zusammenarbeit mit der unfähigen politischen Ebene, hatten ihm schon einen Knacks versetzt. Die einzelnen Polizisten hatten sich noch bemüht und waren seinen Hinweisen auf die Spur gegangen, jedoch sobald der Fall grenzübergreifend und sogar Kontinent-übergreifend wurde, mussten sie ihre juristische Nichtzuständigkeit eingestehen. Er hatte Monate gebraucht, bis er über die riesige Enttäuschung hinweggekommen war, eigentlich