Axel P. Müller

Rachegold


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einen Spottpreis entjungfern. Hinterher wurde meist mit den für den Sexdienst erhaltenen Geschenken geprahlt. Auch Yvonne hatte sich einmal von ihren Freundinnen überreden lassen, sich an die Ausfallstraße nach Bayern zu stellen und auf einen Kunden zu warten. Einem älteren Handelsvertreter war sie dann zu Diensten gewesen, den sie im Schritt so lange streichelte, bis er sich auf ihre Hand ergoss. Die ganze Dauer, es sollten nur wenige Minuten gewesen sein, hatte er seine Hand unter ihrem T-Shirt gehabt und ihre Brust befummelt. Die ganze Angelegenheit hatte sie aber derart angeekelt, dass sie es bei diesem Einmalerlebnis bewenden ließ. Erst als sie erwachsen wurde, hatte sie ihre Zukunftschancen abgewogen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass es wenig Zweck hatte, in diesem System einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen. Sie hatte Bürokauffrau gelernt, wurde aber ausschließlich mit Schreibarbeiten beschäftigt, die sie absolut nicht befriedigten. Irgendwann hatte sie deshalb beschlossen, nach Deutschland überzusiedeln, was ihr erstaunlicherweise auch gelungen war, denn ihr Reiseantrag war aus nicht nachvollziehbaren Gründen recht bald genehmigt worden. In Deutschland angekommen und völlig auf sich alleine gestellt, hatte sie dann doch versucht, einen bürgerlichen Beruf zu akzeptablen Konditionen auszuüben. Da sie gerade in einer wirtschaftlichen Flaute emigriert war, musste sie ihren Lebensunterhalt mit dem bestreiten, was ihr angeboten wurde, und das war nicht gerade das, was sie sich vom goldenen Westen erträumt hatte.

      Um sich ein Appartement leisten zu können, hatte sie bei einer Begleitagentur nachgefragt, was diese und insbesondere die Kunden von den Escort-Damen verlangten. Die gealterte Chefin dieser Agentur hatte auf Yvonne einen seriösen Eindruck gemacht und ihr obendrein versichert, dass die Damen nichts tun müssten, was sie nicht wollten. Dem war auch so, allerdings wurden bei den Treffen mit den Männern fast immer hohe Preise geboten, falls die Damen bereit wären, sie auf ihr Hotelzimmer zu eskortieren. Die Verlockung des Geldes war für Yvonne zu groß gewesen, somit hatte sie eines Tages zugestimmt, dem Mann seinen erbetenen Dienstleistungswunsch zu erfüllen. Es war ein sympathischer und überaus gepflegter leitender Angestellter aus der Telekommunikationsbranche, der sich ausgesprochen rücksichtsvoll und zärtlich gebärdete. Als Einstieg in ihren neuen Beruf also ein idealer Partner. Der Abend mit dem Mann, der ihr nur seinen Vornamen, Jörg, genannt hatte, war ihr in angenehmer Erinnerung geblieben und so hatte sie sich in zunehmendem Maße zu solchen Liebesdiensten bereit erklärt, insbesondere, da sie sich bald viele materielle Wünsche erfüllen konnte und ihr Bankkonto stetig ansehnlicher wurde.

      Das einzige, das sie Andreas von ihrer Zukunft offenbart hatte, war die Aussicht, dass sie in absehbarer Zeit ihren jetzigen Beruf stark einschränken würde, da sie eine größere Geldsumme erwartete und dann nicht mehr jeden Kunden akzeptieren müsste. Sie hatte behauptet, sich darauf zu freuen, genau selektieren zu können, sie hatte mittlerweile eine gewisse Klientel, die durchaus sympathisch wäre und mit denen sie bereit wäre, auch zukünftig Treffen zu verabreden. Auf die Frage, ob es sich bei dem Geldsegen um eine Erbschaft handelte, hatte sie nur hintergründig lächelnd mit ihrem betörenden Augenaufschlag geantwortet: „So etwas Ähnliches.“

      Er wusste nicht, was etwas Ähnliches wie eine Erbschaft sein sollte, vielleicht eine Schenkung, dachte aber weiter nicht darüber nach und hatte es dabei bewenden lassen. Das, was für Andreas daran erfreulich war, konnte man als ihre Arbeitsreduzierung betrachten, er durfte nicht daran denken, dass sie ihren Charme auch an andere Männer vergeudete. Sie hatte ihm jedoch versprochen, dass er auch weiterhin zu ihren Klienten zählen sollte, aus purer Zuneigung. Sollte das eventuell ein verstecktes Kompliment sein? Die Aussicht auf das baldige pekuniäre Ereignis hatte ihn gefreut, er hatte es ihr gegönnt. Dann brauchte sie sich nicht so zu verheizen wie ihre Freundin Chantal, die als Zusana Tomalová ebenfalls aus Tschechien stammte und schon als Kind nach Deutschland gekommen war und wie Yvonne immer erwähnte, wesentlich intensiver ihrer Beschäftigung nachging. Yvonne fragte sich, wann Chantal mal schlafen würde, gemeint war alleine. Auch sie war äußerst attraktiv, aber vom Typ her etwas herb und dazu blond oder blondiert, was damit nicht seinem Geschmack entsprach. Sie war allerdings nett und freundlich, Andreas hatte die Freundinnen ein paar Mal zusammengetroffen, als er einige Minuten zu früh eintraf. Da beide Damen im gleichen Haus wohnten und enge Freundinnen waren, konnte man die Begegnung nicht als außergewöhnlich bezeichnen.

      Kapitel 3

      „Verdammt nochmal!“ Der Alte schlug mit der flachen Hand auf den schweren antiken Mahagonischreibtisch, dass die wenigen Utensilien, die sich darauf befanden, klirrend tanzten.

      Von seinen gegelten weißen Haaren, die er stets streng nach hinten kämmte, hatte sich eine Strähne gelöst und hing ihm seitlich am Kopf über die Schläfe herunter. Er war eine gepflegte Erscheinung in seinem hellgrauen Flanellanzug, darunter trug er ein in sich gemustertes hellblaues Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Er rieb sich die Hand, der Schreibtisch war wohl doch einige Grade härter gewesen als früher der Po seines mittlerweile erwachsenen Sohnes.

      „Ich lasse mir nicht kaputt machen, was mein Vater in jahrelanger mühevoller Arbeit aufgebaut hat. Ich und auch Du haben viel zu viel Ideen und Arbeit in den Laden gesteckt, dass wir ihn jetzt aufgeben können. Es gibt eine undichte Stelle und Du musst sie herausfinden, sonst bricht die ganze Familiendynastie zusammen und unsere scheinbar gesicherte Zukunft löst sich in Luft auf.“

      Ladislav Sobotka strich sich jetzt nach seinem Wutausbruch akribisch die widerspenstige Haarsträhne zurück zu einer makellosen Frisur. Mit dem Ergebnis seiner Bemühungen schien er zufrieden zu sein, denn die Strähne versuchte nicht, wieder ein Einzelleben führen zu wollen. Er war stolz auf sein volles Haar, obwohl er sich schon bedenklich seinem achtzigsten Geburtstag näherte.

      Sein Gegenüber, Milos Zikmund, war erschrocken hochgeschnellt, als der Alte den Schreibtisch lautstark malträtiert hatte. Milos war auch nicht mehr der Jüngste, obwohl er erst auf seinen sechzigsten Geburtstag wartete. Mangels vollen Haupthaars hatte er sich den schwarzen spärlichen Kopfschmuck auf zwanzig Millimeter Länge trimmen lassen und die Haare standen spärlich von seiner Kopfhaut ab. Auch er trug einen eleganten Anzug, dunkelblau mit weißem Hemd und grellroter Krawatte. Sein dunkelbrauner Teint hätte jedem Araber zur Identifikation gereicht. „Ich glaube nicht, dass wir lange nach der undichten Stelle suchen müssen, ich bin mir ziemlich sicher, dass Dein schwatzhafter sauberer Sohn sich mal wieder mit Alkohol vernebeltem Hirn verplappert hat und in Deutschland die Begehrlichkeiten bei gewissen Leuten geweckt hat. Wir kennen doch zur Genüge seinen Hang zum Alkohol und dem weiblichen Geschlecht, da vermute ich, dass er sich und uns postkoital verraten hat.“

      „Glaubst Du wirklich? Wird der denn nie erwachsen? Hat der denn hier nicht genug Weiber, mit denen er sich herumtreiben kann? Ich habe den Überblick verloren, wieviel Alimente er in dieser Stadt bezahlen muss für die Bankerts, die er schon von seinen sogenannten Damen hat in die Welt setzen lassen. Ich glaube, er alleine könnte eine Wöchnerinnen-Station mit seinen so genannten Freundinnen bevölkern. Hol ihn sofort her, ich will ihn jetzt sprechen. Er soll mir ins Gesicht sagen, ob die Informationen von ihm stammen, oder nicht. Und ich schwöre Dir, wenn er mich belügen sollte, ist er ein für allemal raus aus dem Geschäft und braucht auch keinen Fuß mehr in dieses Haus zu setzen. Irgendwann ist das Maß voll.“

      Das Wort Haus war untertrieben. Ursprünglich handelte es sich um eine Villa im viktorianischen Stil in Teplice. Ein wohlhabender Bankier jüdischer Herkunft hatte sich das Gebäude nach englischem Vorbild in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts errichten lassen. Die Nazis hatten dann die Bankiersfamilie mit unbekanntem Ziel abtransportiert und das Anwesen als regionale Verwaltungseinheit okkupiert, wobei sie nicht versäumt hatten alles, was an der Fassade viktorianisch anmutete zu beseitigen und das Gebäude schmucklos mit einem tristen grauen Verputz zu versehen. Ladislavs Vater hatte die Immobilie mit allem Interieur nach dem langersehnten Abzug der Deutschen für ein beachtliches Vermögen erworben. Sein Vater war während des Krieges im Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht gewesen und hatte diese Zeit, wie durch ein Wunder, im Wesentlichen unbeschadet überstanden. Die Nazis hatten zwar nach ihm gefahndet, aber durch seine Verbindungen zum Landvolk und deren Hass auf die Besatzer hatte es immer wieder besondere Verstecke für ihn gegeben. Mal waren die Verstecke Erdgruben, natürliche Höhlen, auch Scheunen oder Keller. Etliche Bauern oder Handwerker hatten Verstecke unter Stroh oder Heu vorbereitet oder kaum zugängliche Erdgruben unter den Kellern ausgehoben,