Axel P. Müller

Rachegold


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auf den Schutz der Dunkelheit beschränkt und durch seine Ortskenntnisse konnten die Hitlerschergen seiner nicht habhaft werden.

      Nicht ein einziges Mal wurde ihm oder seiner Organisation von den Einheimischen vorgeworfen, dass die Deutschen wie die Berserker in der mittelböhmischen Region gewütet hatten. Als Rache für die Aktionen des Widerstandes waren Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner ausradiert worden. Zunächst war zwar von der Bevölkerung insgeheim gejubelt worden, als Reinhard Heydrich infolge eines erfolgreichen Attentates 1942 acht Tage später seinen Verletzungen erlegen war. Als die Vergeltungsmaßnahmen der SS in Zusammenarbeit mit der Polizei jedoch mit Brutalität und Grausamkeit einsetzten, gefror der Jubel zu Sorgenfalten und die Euphorie wurde zu Angst.

      Das Anwesen, das Lubomir Sobotka erworben hatte, barg ein bisher gut gehütetes Geheimnis. Um dieses Arkanum war es dem Widerstandskämpfer gegangen, als er das Gebäude mit allen Möbeln und sonstigen Ausstattungen erwarb. Zu diesen Zeiten hatte sich in dem verwaltungstechnischen und organisatorischen Chaos der Region niemand darum gekümmert, welchen Wert das Gebäude hatte. Als Eigentümer war im Grundbuch noch das Deutsche Reich eingetragen und der mutmaßliche Rechtsnachfolger, nämlich die noch in Gründungsunsicherheit befindliche Tschechoslowakische Republik, hatte nur Interesse an den Geldeinnahmen und nicht an dem Gebäude gehabt. Die Verantwortlichen hatten das Haus nicht einmal besichtigt, worauf der alte Sobotka sogar gehofft hatte. Die Verwaltung hatte nach Zahlung von nützlichen Zuwendungen an die verantwortlichen Beamten lediglich einen Quadratmeterpreis zu Grunde gelegt und schon war der Kaufvertrag abgeschlossen. Er hätte alleine für dieses Geheimnis jeden Preis bezahlt, nur um an das Eigentum der alten Bankiersvilla zu kommen. Der Wert des Hauses und des ausladenden Grundstücks an sich waren für ihn schon enorm gewesen, doch der des Geheimnisses übertraf um ein Vielfaches den der Immobilie. Nur wenige kannten das Geheimnis, zu denen gehörte Ladislavs Vater. Das Fundament des Hauses war ein mittelalterliches undatiertes Granitgewölbe gewesen, das ursprünglich nur durch gut versteckte Zugänge erreichbar gewesen war. Später wurde dann eine Zufahrt zu dem Gewölbe gebaut, um dort landwirtschaftliche Erzeugnisse lagern zu können.

      Das Mysterium wurde seit der Entdeckung durch Lubomir Sobotka nur an wenige bevorzugte Vertrauenspersonen weitergereicht. Dieser Personenkreis war handverlesen, von den lebenden Eingeweihten gehörten mittlerweile neben Ladislav Sobotka als Erbe nur noch Milos Zikmund und der Junior des Hauses, nämlich Jáchim Sobotka. Die Gefahr, vor der sich die Familien Sobotka und Zikmund fürchteten, bestand darin, dass, wenn das Geheimnis gelüftet und irgendwie publik würde, das komplette Vermögen, auf dem der Reichtum von zwei Familien begründet war, für immer verloren wäre.

      ***

      Jáchim Sobotka klopfte zaghaft und offensichtlich ehrfurchtsvoll an die schwere dunkle Eichentür des „Allerheiligsten“. Er hatte wie gewöhnlich zu leise geklopft, denn von innen schallte kein sonor gebelltes „Herein“. Er wusste, der Alte war dominant und je nach Laune auch herrschsüchtig und das nicht nur familienintern. An seinem Sohn brachte er besonders gerne sein Missfallen zum Ausdruck, er durfte sich seinem Vater gegenüber keinen Lapsus erlauben, schon wurde er abgekanzelt wie ein dummer Junge, selbst vor Ohrfeigen schreckte der Patriarch nicht zurück, und das in seinem Alter von fast fünfzig Jahren. Nun, wie hieß es so schön, der Alte hatte die Hosen an, und zwar in jeder Situation und in jeder Beziehung. Der einzige Vertraute des Seniors war Milos Zikmund, sein Vetter, mit ihm besprach er alle Einzelheiten der Vorgehensweise wie das Vermögen gemehrt und bewahrt werden konnte.

      Selbst in Lokalen, egal wie gut oder schlecht sie waren, hatte man den Eindruck, es müsse sich alles nur um den Patriarchen und dessen Gäste drehen und jeder müsse nach seiner Pfeife tanzen. Er erwartete offensichtlich, dass die Kellner, sobald er die Räumlichkeiten betrat, alles stehen und liegen lassen sollten, nur um sich sofort um ihn und sein Anliegen zu kümmern.

      In den Restaurants, in denen er häufiger verkehrte, waren sein Gebaren und seine Präferenzen bekannt, man ging auf ihn ein und die servilen Bediensteten kümmerten sich fast ausschließlich um den Patriarchen und seine Begleitung. Meist kam der Geschäftsführer des Betriebes sofort mit ausladenden Schritten herangeeilt und fragte devot mit einem tiefen Kotau nach den Wünschen des Gastes und ob der reservierte Tisch den Vorstellungen des Herrn entspräche. Diese Unterwürfigkeit des Personals wurde am Ende des Besuchs immer mit einem üppigen Trinkgeld belohnt.

      Auch zu seinem Hauspersonal hatte er im Allgemeinen einen recht rüden Ton, obwohl er unerwarteterweise großzügig sein konnte, wenn ein Mitarbeiter Probleme hatte, die er nicht lösen konnte. In solchen Fällen ließ er auch gerne sein Herz erweichen und half ohne Federlesens. Als vor einigen Monaten der Gärtner ein zu bedrücktes Gesicht zeigte und die Rosen um das Haus nicht zur vollen Zufriedenheit des Chefs beschnitten waren, bekam der Gärtner zunächst einmal die Meinung des Seniors zu hören und dies nicht zu knapp. Als er dann wie ein getretener Hund abziehen wollte, fragte Sobotka, ob etwas nicht in Ordnung sei und der Bedienstete gab zögerlich zu, dass sein Sohn einen Unfall mit dem Fahrrad verschuldet habe und er keine Versicherung habe, die für den Schaden an dem Auto des Unfallgegners aufkäme. Dazu kämen noch die Behandlungskosten des Sohnes, der das Schultergelenk gebrochen habe, für die er auch privat aufkommen müsse. Geld, das er nicht habe, und die Bank wolle ihm keinen Kredit gewähren. Sobotka hatte kurz auf seine Schuhspitzen geblickt, dann den Gärtner fixiert und gemeint, er solle sich im Büro einen Scheck abholen, der die Kosten wohl decken werde. Der Scheck deckte nicht nur die Kosten des Unfalls, sondern es blieb sogar noch etwas übrig. Von Rückzahlung des Betrages war danach nie die Rede gewesen. Also hatte die raue Schale auch ein weiches Innenleben, was aber nicht allzu oft nach außen gekehrt wurde.

      Jáchim klopfte abermals, diesmal kräftiger und er hörte einen gedämpften Laut, den er als Aufforderung interpretierte einzutreten. Seine Schritte in dem Raum wurden durch dicke orientalische Teppiche gedämpft. Grußlos trat er näher an den Schreibtisch heran. Der Alte thronte in seinem gepolsterten Bürosessel und telefonierte, der Schreibtisch war fast leer, was der Sohn als kein gutes Zeichen ansah, wahrscheinlich bekam er mal wieder die Launen des Alten zu spüren. Der Vater telefonierte auf Deutsch, was er fast akzentfrei beherrschte, wie die meisten im Norden Tschechiens, nicht nur wegen der Nähe zu Deutschland, sondern immer noch als Folge der historischen häufigen Besetzungen deutschsprachiger Mächte.

      Obwohl Jáchim das Zimmer nur zu gut kannte, sah er sich um, nichts war verändert, alles war wie immer. Das „Allerheiligste“ war spärlich möbliert. Der dunkelgrüne Wandanstrich und der dichte bordeauxrote Teppichboden dämpften sowohl den Lichteinfall als auch den Geräuschpegel. Das Ticken einer alten Wanduhr entließ ein überlaut erscheinendes monotones Geräusch, das die Grabesstille des Zimmers noch betonte. Vor der großen Fensterfront stand der massive abgegriffene Schreibtisch mit dunkelgrünen Ledersesseln im englischen Stil. Eine Wand wurde von einem bedeutungsschweren Bücherregal eingenommen, in dem nicht nur alte ledergebundene ungelesene Bücher verstaut waren, sondern auch Unmengen von Ausstellungskatalogen aus aller Welt, die von des Alten Leidenschaft zeugten. Wann immer es möglich war, besuchte er eine Kunstauktion oder eine museale Ausstellung berühmter Maler, vornehmlich Expressionisten. Einige seiner Lieblingsbilder hingen an den Wänden, ob Originale oder Fälschungen war dem Junior nicht bekannt, aber eigentlich auch egal, jedenfalls sahen sie in ihren üppigen Rahmen extrem teuer und exklusiv aus. Die Motive der Bilder hatten keinen sinnhaften Zusammenhang, es gab gemalte Landschaften neben verzerrten Porträts oder nackten Frauen auf einem Diwan oder einem Sofa. Auch wenn die Bilder nicht echt sein sollten, verschafften sie doch dem Besucher einen Respekt einflößenden Eindruck.

      An der gegenüber liegenden Wand war eine Bar aufgebaut, genau wie die restlichen Möbel in einem dunklen Holz gehalten, wahrscheinlich Mahagoni, ein Imitat hätte der Alte bestimmt nicht akzeptiert. Auf dem Tresen stand wie immer, so auch heute, eine Großflasche von dem eklig süßen Kräuterschnaps Becherovka. Das Zeug trank der Alte leidenschaftlich gerne, mindestens drei Mal täglich aus einem schweren kristallenen Whisky-Tumbler.

      Das Telefonat beendete der Senior mit einem unfreundlichen Grunzen. Mit einer Kopfbewegung in Richtung Sitzmöbel forderte er seinen Sohn auf, sich zu setzen. Auch das war kein gutes Zeichen. Der Patriarch fixierte mit seinen stahlblauen Augen seinen leichtlebigen Sprössling. Er schwieg. Er sah ihm in die Augen und schwieg. Man hätte den Eindruck gewinnen können, er wolle seinen Sohn hypnotisieren. Jáchim fühlte sich