Martin J. Ost

Unheimliche Tage


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ihr, dass dort jemand auf sie warten würde.

      Wir hatten uns nun fast zwei Stunden intensiv unterhalten und waren dabei ununterbrochen durch den Wald gegangen. Als Einheimische hatte sie stillschweigend die Führung übernommen. Schließlich kamen wir an eine Lichtung. Gut einhundert Meter vor uns stand von Bäumen und Büschen umgeben ein einzelnes Haus. Meine Begleiterin wies darauf hin: „Hier wohne ich. Wahrscheinlich sind Sie jetzt in dieser Hitze genauso durstig geworden wie ich. Also sollten wir jetzt erst einmal etwas trinken.“

      Als sie das sagte, merkte ich, wie Recht sie hatte. Die vergangenen beiden Stunden waren für mich so aufregend gewesen, dass ich weder die enorme Hitze noch irgendwelchen Durst verspürt hatte. Jetzt bemerkte ich allerdings, wie mir die Zunge fast am Gaumen festklebte.

      Wie beeilten uns auf dem kurzen Weg durch die sengende Sonne bis zu ihrem Haus. Sie schloss auf und aufatmend trat ich ein. Im Haus war es deutlich kühler als draußen in der Sonne. Sie bot mir einen Platz in der großen, abgedunkelten Küche an und holte aus dem Kühlschrank einen Krug mit kaltem Wasser, in dem sich einige Zitronenscheiben befanden. Nach den ersten beiden gierigen Schlucken ließ ich mit trotz meines großen Durstes Zeit, auf eine Magenverstimmung legte ich nun wirklich keinen Wert. Die Frau hatte mir gegenüber Platz genommen. Sie blickte mich an. „Ich glaube, wir haben uns bisher noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Angelika Angermann.“ – „Werner Caldenberg“ sagte ich. - „Angesichts der Gemeinsamkeiten die uns verbinden, könnten wir eigentlich auch „du“ zueinander sagen.“ – „Einverstanden. Dann könntest Du mir vielleicht einen Tipp geben, wo ich hier in der Gegend übernachten kann. Ich glaube, dass es ganz sinnvoll ist, wenn ich ein paar Tage hier bleibe und mich mal umsehe.“ Angelika nickte zustimmend. „Das denke ich auch. Wenn Du willst, kannst Du hier übernachten, das Haus ist groß genug und ein Gästezimmer gibt es auch.“

      Etwas später fuhr sie mich zu dem Parkplatz, auf dem mein Auto stand. Ich stieg ein und folgte ihr zu dem Haus. Ihr Angebot, dort zu übernachten, hatte ich sofort akzeptiert. Die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit erschien mir in dieser Hitze eher mühsam und außerdem konnten wir uns so ohne große Umstände weiter unterhalten. Gesprächsbedarf gab es zu mindestens aus meiner Sicht ohnehin mehr als genug.

      Nach unserer erneuten Ankunft zeigte sie mir mein Zimmer. Zum Abendessen bereitete sie einen Salat mit gebratenen Speck-und Brotwürfeln zu. Ich half ihr und schnitt mit einem Wiegemesser verschiedene Kräuter, die ich zuvor aus dem Garten des Hauses gepflückt hatte. Wir aßen auf der Terrasse, neben dem Wasserkrug stand in einem Weinkühler eine Flasche mit Weißwein ohne Etikett. Angelika erklärte mir, dies sei ein Weißburgunder, den ein Vetter von ihr für sich und seine Verwandtschaft privat keltere. Der Wein und auch das Essen schmeckten mir sehr gut und ich verspürte zum ersten Mal seit den Ereignissen, die mein Leben aus der Bahn geworfen hatten, fast schon so etwas wie Zufriedenheit. Auch Angelika wirkte einigermaßen entspannt. Wir trugen das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und gossen den restlichen Wein in unsere Gläser. Im lockeren Ton unterhielten wir uns über alltägliche Dinge. Es schien, als wären wir stillschweigend übereingekommen, die merkwürdigen Ereignisse, die uns zusammengeführt hatten, an diesem Abend nicht mehr zu erwähnen. Nachdem ich Angelika von meinem Werdegang und bisherigen Leben berichtet hatte, erzählte sie von sich. Aufgewachsen im südlichen Teil von Rheinland-Pfalz in einem kleinen Weindorf nahe der französischen Grenze hatte sie das Gymnasium besucht und war nach dem Abitur als Zeitsoldatin zur Bundeswehr gegangen. Da sie handwerkliches Geschick besaß, hatte sie in der Fahrzeuginstandhaltung gearbeitet und einen Berufsabschluss im Kfz-Handwerk erworben. Auf Grund ihrer körperlichen Fitness und guten Auffassungsgabe hatte sie bereits einige anspruchsvolle Lehrgänge mit Auszeichnung bestanden. Sie war im Begriff, Berufssoldatin zu werden, als sie ihren kürzlich verstorbenen Mann kennen lernte. Er war knapp zehn Jahre älter als sie und hatte sich bereits einen guten Ruf als Architekt erworben. Wohl wissend, dass sich Ehe und eine Karriere als Berufssoldatin nur begrenzt miteinander vertrugen, ließ sie ihren Zeitvertrag auslaufen und heiratete. Da ihr Mann auf Grund seiner vielen Aufträge oft auswärts unterwegs war, hatte sie eine Beschäftigung in einer Kfz-Werkstatt angenommen. Als ich sie fragte, ob sie ihren Mann vermisse, antwortete sie: „Natürlich, aber er war häufig weg, ich bin das allein sein gewohnt. Wahrscheinlich hat es Dich schlimmer getroffen.“

      Wir unterhielten uns noch über ein paar Belanglosigkeiten, bevor wir schlafen gingen. Trotz der Hitze schlief ich, nur mit einem dünnen Laken bedeckt, tief und traumlos. Als ich erwachte, zeigte der Wecker 08.30 Uhr. Im Haus war es völlig ruhig. Ein Blick aus dem Fenster verhieß einen weiteren viel zu heißen Tag. Ich duschte, zog mir ein T-Shirt sowie eine kurze Hose an, schlüpfte in meine Schuhe und ging in die Küche. Dort fand ich einen Zettel: „Ich werde gegen 11.00 Uhr zurück sein. Frische Brötchen sind in der Tüte auf dem Tisch, der Aufschnitt ist im Kühlschrank. A.“

      Ich kochte den Kaffee absichtlich sehr stark, so konnte ich anschließend ein paar Eiswürfel hineinwerfen, um ihn abzukühlen, ohne dass er zu dünn wurde. Anschließend belegte ich mir die Brötchen und frühstückte behaglich. Danach sah ich mir das Haus an. Es war relativ groß, die Wohnfläche auf den beiden Etagen betrug mindestens 200 Quadratmeter. Den Außenmauern zufolge musste das ursprüngliche Haus kurz vor oder nach dem letzten Krieg gebaut worden sein, die Innenausstattung war jedoch modern und es sah aus, als wäre es im Inneren erst vor kurzem gründlich umgebaut worden. Eine breite Treppe führte in den Keller, der in einen Partyraum und mehrere Lagerräume unterteilt war. Ansonsten war diese Haus genau so unauffällig wie das Haus, welches Christine und ich vor zwei Jahren von einem in finanziellen Nöten steckenden Autohändler erworben hatten. Meine irrationale Hoffnung, hier Anhaltspunkte zu finden, die die Geschehnisse der vergangenen Tage erklären oder zumindest transparenter machen konnten, erfüllte sich nicht.

      Als Angelika wie angekündigt gegen 11.00 Uhr, zurückkam, saß ich in einer schattigen Ecke ihrer Terrasse und schwitzte erbärmlich. Sie schien die Hitze längst nicht so zu beeindrucken. Zu ihrem eher unauffälligen ärmellosen Kleid trug sie Ballerinas. Sie hatte eingekauft und ihren Arbeitgeber um zwei weitere Wochen Urlaub gebeten. Jetzt nahm sie mir gegenüber Platz. Ohne Umschweife lenkte sie das Gespräch auf die seltsamen Ereignisse, die wir beide erlebt hatten. „Ich habe heute Morgen lange nachgedacht. Vielleicht treibt irgendwer ein perverses Spiel mit uns. Aber das alles ergibt für mich überhaupt keinen Sinn. Und wer hat könnte überhaupt eine solche Macht über uns haben? Vor allen Dingen, hast Du irgendeine Ahnung, was das ganze soll?“ – „Auch ich grüble schon seit geraumer Zeit herum, aber ich bin kein bisschen klüger als Du. Aber wir sollten vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob es schon vor dem Tod unserer Ehepartner irgendwelche merkwürdigen Ereignisse gab, die im Zusammenhang mit den jetzigen Geschehnissen stehen könnten.“ – Sie schüttelte den Kopf. „Daran habe ich auch schon gedacht, aber alles bis zu diesem 10. Juli kommt mir total normal vor. Da ist einfach nichts.“ – „Denk nach. Vielleicht ist es nur eine Kleinigkeit, die man damals nicht weiter beachtet hat, aber jetzt in Zusammenhang mit den letzten Ereignissen bedeutsam sein könnte.“ Sie krauste die Stirn. Über eine Minute saß sie da, konzentriert, mit gesenktem Kopf, offensichtlich über Ereignisse der Vergangenheit nachdenkend. Schließlich sagte sie: „Da war etwas. Eher eine Kleinigkeit, die ich fast vergessen habe. Eine Blutuntersuchung, kurz vor meiner Entlassung bei der Bundeswehr. Der Stabsarzt sprach mich an. Meine Blutprobe hätte völlig unsinnige Ergebnisse erbracht. Es war ihm absolut unerklärlich. Er wollte mir am nächsten Morgen erneut Blut abnehmen. An diesem Abend schlug bei einem Gewitter ein Blitz in seiner Nähe ein. Dabei wurde er verletzt. Er war mehrere Tage dienstunfähig, also ging ich am nächsten Morgen nicht auf die Sani-Station und ein paar Tage später wurde ich entlassen. Mein Blut habe ich nicht mehr untersuchen lassen, wozu auch, ich fühle mich kerngesund und ich war davon überzeugt, dass sie meine Probe falsch behandelt hatten.“ – „Wir träumen von Blitzen, ein Arzt, der etwas Ungewöhnliches findet, wird von einem Blitz getroffen. Gibt es da einen Zusammenhang, oder geht mit uns jetzt die Fantasie durch?“ Angelika wirkte nachdenklich. „Wir wissen nicht, ob es trotz allem nur ein Zufall war, das wir uns getroffen haben oder ob irgendetwas anderes dahinter steckt. Wenn das der Fall ist, haben wir vielleicht etwas gemeinsam, was für jemanden, den ich einmal „X“ nenne, von Interesse ist. „Etwa eine ungewöhnliche Blutzusammensetzung? Und dafür lässt „X“