Martin J. Ost

Unheimliche Tage


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an die ich als Ingenieur einfach nicht glaube, scheint mir das doch etwas weit hergeholt zu sein.“ – „Wenn es tatsächlich Zusammenhänge geben sollte, werden wir wohl oder über unsere Vorstellungskräfte bemühen müssen, denn alles, was wir bisher in den letzten Tagen erlebt haben, lässt sich nicht so einfach erklären. Apropos Blut, wann hast Du Dir zum letzten Mal ein Blutbild anfertigen lassen?“ – „Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich noch nie.“ – „Du solltest das mal machen. Vielleicht finden wir eine Gemeinsamkeit, oder wir können zumindest eine Überlegung ausschließen. Ruf doch mal meinen Hausarzt an und lass Dir ein Blutbild anfertigen, das geht doch ganz schnell.“ Ihre Theorie kam mir weit hergeholt vor, aber etwas Besseres fiel mir auch nicht ein. Ich rief also ihren Arzt an und fragte, ob es möglich sei, kurzfristig ein Blutbild anfertigen zu lassen. Um weiteren Fragen zuvorzukommen, erklärte ich, ich sei gerade hier im Urlaub. Mein Hausarzt habe mich durchgecheckt und dummerweise sei meine Blutprobe verloren gegangen. Ich vereinbarte für den nächsten Morgen einen Termin zur Blutentnahme.

      Nachdem wir eher wenig gegessen, aber umso mehr Mineralwasser getrunken hatten, entschlossen wir in den Wald zu gehen. Bald kam Angelika auf den Fernsehturm zu sprechen, den sie im Traum gesehen hatte, und der offensichtlich große Ähnlichkeit mit dem Turm auf der Egge hatte. „Es ist doch merkwürdig“, sagte sie, „Du siehst im Traum eine Frau, die Du nicht kennst, die es aber tatsächlich gibt, ich träume von einem Fernsehturm, den ich noch nie gesehen habe, der aber offensichtlich genauso existiert, wie ich ihn im Traum gesehen habe. Du hast geträumt, wie wir beide auf diesen Turm zugegangen sind. Sie sah mich an: „Ich möchte mir diesen Turm ansehen.“ – „Ich finde, das ist eine gute Idee. Das gibt mir außerdem die Möglichkeit, mich für Deine Gastfreundschaft zu revanchieren. Ich stelle Dir gern mein Gästezimmer zur Verfügung.“ Wir vereinbarten, am nächsten Tag an meinen Wohnort zu fahren. An diesem Nachmittag legten wir noch viele Kilometer durch den Wald zurück. Nur selten sprachen wir miteinander, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Ereignisse der letzten beiden Tage hatten mich abgelenkt und die Trauer um den Verlust meiner Frau in den Hintergrund gedrängt. Jetzt kam sie zurück, und ich versuchte, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Auch Angelika wirkte niedergeschlagen, was mich nicht überraschte, sie hatte ja ihren Mann verloren. Gegen 17.30 Uhr verließen wir den Wald auf dem Weg, der zu Angelikas Haus führte. Dort angekommen, tranken wir größere Mengen Wasser gegen unseren mittlerweile erheblichen Durst, anschließend verkündete Angelika, dass sie eine Dusche brauche, und verschwand im Bad.

      Ich hatte im Flur neben meinem Zimmer eine Gästedusche entdeckt, und so machte ich es ihr nach und spülte den Schweiß und den Staub des Bienwaldes aus meinem Haaren und von der Haut. Als ich fertig war, zog ich mich an und trat auf die Terrasse heraus. Angelika saß bereits dort, mit einem weiten T-Shirt und einer kurzen Sporthose bekleidet. Vor ihr stand ein Glas mit Eiskaffee. „Möchtest Du auch ein Glas?“ fragte sie mich. „Wenn es Dir nicht zu viel Mühe macht, gerne.“ – „Kein Problem“, sie lächelte mich kurz an, verschwand in der Küche und war kaum eine Minute später mit einem großen Glas Eiskaffee zurück. Er schmeckte hervorragend. „Das ist ein tolles Rezept“, sagte ich anerkennend. „Danke, ich mache so etwas gerne, es ist ein Hobby von mir.“ Danach versanken wir wieder in Schweigen. Erschöpft von der Hitze des Tages und ausgebrannt von den Ereignissen der jüngeren Vergangenheit fehlte uns in diesem Moment schlicht die Energie für eine Unterhaltung.

      Nach ungefähr einer Stunde stand Angelika auf, um das Abendessen vorzubereiten. Ich bot ihr meine Hilfe an. Sie hatte am Vormittag im Supermarkt eingekauft. Während sie Filets in Streifen schnitt, hackte ich wie am Vortag Kräuter und zusätzlich Chilischoten und getrocknete Früchte. Danach bat sie mich, den Tisch zu decken und den Wein zu öffnen. Ich war kaum damit fertig, da servierte sie bereits das gebratene Fleisch auf den mit Kräutern und Früchten angemachten Salat. Dazu gab es wieder den Weißburgunder vom Vortag. Zum Schluss brachte sie noch zwei Teller Eis, das von Sahne gekrönt war. Alles hatte mir sehr gut geschmeckt. „Das war wirklich gut, Du könntest ein Restaurant aufmachen“, sagte ich zu ihr. Sie schüttelte den Kopf. „Nein danke“, sagte sie, „meine Eltern hatten eins. Ich ziehe es vor, Autos zu reparieren. Die sind nicht ständig am meckern, wenn Du sie bedienst, und wenn die Besitzer unzufrieden sind, gehen sie erst einmal zum Chef. Das ist entschieden stressfreier.“ – „Bist Du anfällig gegen Stress?“ – Sie lachte. „Eigentlich nicht, bei der Bundeswehr musste ich teilweise sogar eine ganze Menge Stress aushalten, aber ich suche ihn nicht, wenn ich ihn vermeiden kann, tue ich es.“ Ich hütete mich zu erwähnen, dass wir beide im Moment wohl unter einem extremen Stress standen und setzte die Unterhaltung in lockerem Ton fort. Der Wein tat sein Übriges, und es war längst dunkel geworden, als wir uns erhoben und unsere Zimmer aufsuchten.

      Am nächsten Morgen fuhr ich noch vor dem Frühstück zu dem Arzt, den Angelika mir empfohlen hatte, ließ mir Blut abnehmen, hinterließ meine Heimanschrift und bezahlte bar im Voraus. Die Arzthelferin versicherte mir, dass ich auch am nächsten Tag anrufen könne, um mich nach dem Ergebnis zu erkundigen. Ich hielt die ganze Aktion zwar für überflüssig und rechnete nicht mit irgendeiner Überraschung, außer vielleicht der Mitteilung, dass der eine oder andere Wert bedenklich sei, aber ich hatte gestern dieser Maßnahme auf Angelikas Vorschlag hin zugestimmt, also ließ ich sie auch durchführen.

      Nach meiner Rückkehr frühstückten wir gemeinsam und saßen noch eine Weile auf der Terrasse. Ich beschrieb Angelika den Weg zu meinem Wohnort und gab ihr meine Anschrift. Anschließend packte ich meine Tasche und fuhr los. Angelika wollte noch zum Friedhof und das Haus in Ordnung bringen und dann in ihrem eigenen Auto nachkommen.

      Gegen sechzehn Uhr kam ich zuhause an. Die Hitze war kaum weniger schlimm als am Bienwald, und nach der Fahrt im meinem angenehm klimatisierten Auto traf sie mich wiederum wie ein Hammer. Das Haus war eine Sauna, während meiner Abwesenheit waren ja alle Fenster geschlossen gewesen, und ich hatte bei meinem merkwürdigen, irgendwie ferngesteuerten Aufbruch nicht daran gedacht, die Jalousien zu schließen. Ich riss alle Fenster auf und sprang unter die Dusche. Dann packte ich meine Tasche aus und begab mich zum Friedhof. Das Grab sah sauber und aufgeräumt aus. Wahrscheinlich hatten die Schwiegereltern während meiner Abwesenheit Hand angelegt. Ich würde sie später noch anrufen.

      Ich war bis kurz vor meine Haustür gekommen, als Angelika mit ihrem Auto schwungvoll um die Ecke bog und direkt vor mir hielt. Die Gardine im Nachbarhaus bewegte sich. Nachbarin Amann war wieder auf Posten. Als Angelika ausstieg, wurde die Gardine weggezogen, Frau Amanns Neugierde ließ jetzt jede Diskretion zurücktreten. Der frischgebackene Witwer und seine Neue, das wäre ein Topthema bei jedem Kaffeeklatsch. Ich verwünschte sie im Geiste und begrüßte Angelika mit einem knappen „Hallo“. Sie hatte bereits ihre Tasche aus dem Wagen geholt und begleitete mich auf dem Weg zur Haustür. „Wie ich sehe, werde ich wohl bald einen angemessenen Platz im Rahmen des Dorfklatsches einnehmen“, sagte sie spöttisch und warf einen eindringlichen Blick in Richtung der Amannschen. Hastig wurde dort die Gardine wieder zugezogen.

      Sie war über zwei Stunden nach mir losgefahren, aber nur wenig mehr als eine Stunde später angekommen. Auf meine Frage, ob sie einen Teil der Strecke im Flug zurückgelegt habe, antwortete sie lediglich, dass sie gerne Auto fahre. Ich zeigte ihr das Gästezimmer und das Bad und sagte ihr, ich würde sie auf der Terrasse erwarten. Als sie wenig später herunterkam, blieb sie einen Moment wie angewurzelt in der Terrassentür stehen. Sie starrte den Fernsehturm an, der wenige Kilometer entfernt, von meiner Terrasse aus gut zu sehen war. Nach ein paar Sekunden löste sie sich aus ihrer Erstarrung. Aufgeregt setzte sie sich neben mich. „Das ist genau der Turm, von dem ich ein paar Mal geträumt habe, ich bin mir absolut sicher.“ Wir sahen uns an. Es war schon bis jetzt nicht mehr sehr wahrscheinlich gewesen, das die Ereignisse der letzten beiden Tage lediglich auf mehr oder weniger wahrscheinlichen Zufällen beruhte. Angelikas jetzige Feststellung schloss Zufälle nun mit nahezu aus. Was steckte hinter alledem, was in den vergangenen Tagen passiert war und was wollte man von uns?

      Ich ging in die Küche um etwas zu trinken zu holen. Auf dem Weg dorthin fiel mein Blick auf den Anrufbeantworter. Die Signallampe blinkte. Ich drückte auf den Knopf um die Mitteilung abzuhören. Es war die Arztpraxis, bei der ich mir heute Morgen Blut hatte abnehmen lassen. Meine Blutprobe ließe sich auf Grund eines unerklärlichen Fehlers leider nicht auswerten.