Dominik Michalke

Arym Var


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      Ohne nachzudenken hastete Murdoc an dem Kadaver vorbei zu seinem Neutronengewehr und hob es auf. Ein markerschütternder Schrei schoss durch das Kom seines Helms. Er wirbelte herum und sah, wie Giebels mit seiner Waffe auf den fünften Wächter einschlug, während dieser versuchte, sie ihm aus der Hand zu reißen.

      »Giebels, geh zur Seite!« schrie Murdoc. Giebels gehorchte augenblicklich und ließ sich nach hinten fallen. Murdoc zielte und schoss. Er konnte die rasche Ausweichbewegung des Wächters ausmachen, bevor der blauweiße Lichtblitz des Neutronengewehrs seine Augen blendete. Nach dem Abklingen des Effekts auf seiner Netzhaut war der Wächter verschwunden.

      »Wo ist es? Wo ist es hin, Giebels, verdammt!«, keuchte Murdoc.

      »Scheiße, verdammt noch mal«, fluchte Giebels. »Es ist da durch glaub ich.

      Nein warte ... ach Mist! Sonarstoß!« Giebels schloss die Augen, öffnete sie wieder für drei Erdsekunden und schloss sie erneut. »Ja, es ist da durch, aber warte ... es haut ab ... es bewegt sich weg von uns, und das rasend schnell. Es ... es ist außer Reichweite!«

      »Das war verdammt knapp! Warum hat uns keiner gesagt wie schnell diese Biester sind!« sagte Murdoc. Er zitterte noch am ganzen Körper.

      »Das sind keine gewöhnlichen Wächter. Auf dem letzten Einsatz in den Kleipp-Asteroiden sind wir ja auch welchen begegnet. Aber die waren anders, die waren viel langsamer. Irgendetwas stinkt hier ganz gewaltig in diesem Loch!« Giebels hatte immer noch die Augen geschlossen während er sprach.

      Murdoc überprüfte sein Neutronengewehr. »Ist mit dir alles in Ordnung?«

      Er versuchte beiläufig zu klingen. Er wunderte sich im gleichen Augenblick über sich selbst angesichts der Tatsache, dass sie sich vor kurzem noch in Lebensgefahr befunden hatten und er dennoch bereits wieder seinen Standard-Groll gegenüber Giebels hegte.

      Giebels öffnete die Augen und grinste. »Na, Kleiner, brauchst keine Angst haben«, sagte er in gönnerischem Ton. »Onkel Alfred gibt nicht so leicht den Löffel ab.«

      »Wenn ich nicht gewesen wäre, würdest du wahrscheinlich gerade nicht solche Sprüche klopfen«, murmelte Murdoc.

      Giebels grinste lediglich weiter und überprüfte seinen Anzug auf Schäden während er sprach. »Jetzt versuchen wir erst noch einmal Foster zu kontaktieren. Bei Misserfolg krallen wir uns den Fötus und dann – Abflug.«

      Zwei Erdminuten lang versuchte Giebels per Team-Kom Foster zu erreichen, jedoch erfolglos. Wohl wissend, dass es kaum einen Unterschied machen würde, veränderte er mehrmals seine Standposition innerhalb des Gewölbes.

      Murdoc wunderte sich, wie schnell sich Giebels von dem eben erlebten Schrecken erholt hatte.

      Die Anzugenergie von Murdocs Cheops Mark IV Kampfpanzer betrug nur noch fünfundfünfzig Prozent, doch Murdoc war zu unsicher um auf ununterbrochene Sonarstöße zu verzichten. Die Gefahr, erneut die Spinnenfüße eines Wächters auf seinen Helm donnern zu spüren, war ihm zu riskant. Doch lediglich die roten eierförmigen Objekte – die Föten – waren ringsum zu erkennen.

      »Absolute Totenstille«, sagte Giebels leise. »Wo ist der nächstgelegene Fötus? Oder sollen wir ‚Ene, Mene, Miste‘ machen?« Giebels’ Raucherwiehern dröhnte umso lauter durch das Kom.

      »Da lang«, knurrte Murdoc und deutete auf einen der zahlreichen Verbindungsdurchgänge des Höhlengewölbes, in das drei Rinnen mit grünlicher Masse führten.

      Der Weg zu dem Fötus entpuppte sich als schwieriger, als Murdoc erwartet hatte. Nach dem Durchgang waren sie durch mehrere kleine Höhlengewölbe gekommen und befanden sich nun in einem regelrechten Labyrinth aus Tunnelsystemen, die durch das schwache, leicht pulsierende Licht der fluoreszierenden Masse in den Rinnen am Boden beleuchtet wurden. Ohne die Funktionen des Sonarstoßes und der Topografiescanning-Einrichtung des Cheops-Panzers hätte Murdoc sich mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett verirrt. Hinzu kam, dass die Bodenoberfläche sich verändert hatte. Während sie bis zu dem großen Höhlengewölbe relativ glatt und eben gewesen war, war sie jetzt umso zerfurchter und rau. An manchen Stellen ragten schiefrige Spitzen aus dem Boden, die den Gravitationsstiefeln das Aufsetzen erschwerten.

      Giebels blieb an einer Kreuzung zweier Höhlengänge stehen und schwenkte seine Waffe von rechts nach links und wieder zurück. »Wohin jetzt, werte Höhlenführungskraft?« spottete er.

      Murdoc befragte sein Vis und wies nach links, als er antwortete. »Dort entlang. Es kann nicht mehr weit sein. Wächter sind keine in Sicht.« Im selben Moment fragte sich Murdoc, warum Giebels überhaupt ihn fragte, anstatt selbst das Vis zu benutzen.

      Giebels wollte etwas Spöttisches erwidern, doch im selben Moment rutschte er ab und glitt mit seinem rechten Bein in eine der fußbreiten Rinnen, die die grünlich leuchtende Masse führten. Er knurrte etwas Unverständliches und stemmte sich hoch, während Murdoc versuchte, seinen Lachreiz zu unterdrücken.

      »Gottverdammt, jetzt habe ich das Zeug auch noch an meinem Stiefel«, grunzte er und rubbelte mit dem Handschuh des Cheops-Anzugs über seinen Fuß, der fast komplett mit der fluoreszierenden klebrigen Masse bedeckt war.

      Dadurch wurde der Stiefel jedoch nicht sauberer, die Masse wurde lediglich verschmiert und befand sich nun zusätzlich an Giebels Handschuh.

      Murdoc konnte sich nicht mehr halten und prustete los, wodurch einen Augenblick die gesamte Anspannung verlorenging, die ihre Situation in ihm hervorgerufen hatte.

      »Sehr witzig. Du bist der nächste der grün leuchtet, aber am ganzen Körper, das versprech’ ich dir.« Giebels klang überhaupt nicht begeistert.

      Als Murdoc sich wieder gefasst hatte begann er sich zu fragen, ob die Masse eine negative Einwirkung auf den Anzug haben könnte. Ihm fiel auf, dass sie in der gesamten Zeit noch keine stoffliche Analyse vorgenommen hatten.

      Murdoc ärgerte sich über sich selbst. ‚Umgebung analysieren und bei Informationsklarheit zielstrebig voranschreiten‘, so war ihnen Grundsatz Nummer eins in Außenmissionen auf der Akademie der Karndalf-Kantongarde eingebläut worden. Noch mehr jedoch ärgerte er sich über Giebels, der ihn durch seine Spötteleien stets abgelenkt hatte und selbst auch nicht auf die Idee gekommen war.

      Bevor Murdoc dazu kam, sein Vis zu aktivieren und die stoffliche Analyse zu initialisieren, bekam er einen Schock, dass er fast in seinen Anzug uriniert hätte. Auch Giebels zuckte merklich zusammen und riss instinktiv seine am Boden abgelegte Waffe hoch, als das Team-Kom mit einem lauten Zischen die Ruhe durchbrach.

      Was zu hören war, ließ Murdoc augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren. Fosters Stimme war sehr undeutlich, kombiniert mit Rauschen, in Sprachfetzen zu vernehmen. Im Hintergrund schien ein Kampf zu toben. Das Geschrei von Lanzett und Akriba in Fosters Kom war unüberhörbar.

      »Foster Hier, Murdoc Gieb ... melden! Fos ... doc ... .melden! Akrib ... kommt, pass auf! ... haben hier ... hafte Probleme! Gott ... das ... schnell ...«

      Einen Moment lang ging die Stimme komplett im Rauschen unter. Giebels fluchte und versuchte zu antworten. »Giebels hier, Foster, melden sie sich! Foster! Was zum Teufel ist los bei ihnen? Foster! Sind es Wächter?«

      Eine Sekunde war absolute Stille zu vernehmen, nicht einmal Rauschen.

      Dann wurde sie von einem lang gezogenen, schrillen Schrei durchbrochen.

      Murdoc war eiskalt, obwohl die Innentemperatur des Cheops-Anzugs auf eine angenehme Standardtemperatur von dreiundzwanzig Grad eingestellt war. Er wollte irgendetwas sagen, doch er schaffte es nur, Giebels mit offenem Mund anzustarren. Giebels starrte zurück.

      Da meldete sich das Team-Kom wieder. » ... keine Wächter ... nie ... unbekannt ... so schnell! Keine Zeit ... brauchen dringend Hilfe! ... mich ... standen? ... chen ... dri ... Hilfe! Lanzett ... schwer verletzt ... Fötus ... kommt ...« Die letzten Worte waren kaum mehr zu verstehen und wurden von anschwellendem Rauschen und Zischgeräuschen überlagert, bis die Verbindung komplett abbrach.

      Fosters Stimme echote in Murdocs Ohren. »Was sollen wir jetzt machen?«,