Natalie Bechthold

Einen Schurken zum Bräutigam


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      Im Hintergrund spielte eine Mundharmonika. Ein Hund jaulte zu der Melodie und das störte keinen. Stattdessen übertönte er manche unangenehme Geräusche. Wie das von Cassie und das vielleicht von einer anderen Hure. Denn nicht jede Hure verrichtete freiwillig ihren Dienst. Es war nicht selten, dass eine junge Hure missbraucht wurde und ihr keiner dabei half.

      Plötzlich packte jemand den älteren Mann von hinten und zerrte ihn von Cassie weg.

      „Lass die Finger von ihr, Mann! Ich habe sie zuerst gesehen“, sagte Alan zu dem Mann. Mit der einen Hand hielt er den älteren Mann am Kragen fest und mit der anderen formte er eine Faust und drohte ihm zuzuschlagen.

      „Ist schon gut, ist schon gut.“

      Alan konnte seine Angst förmlich riechen. Er ließ den Mann schließlich los und konnte ihm nachsehen, wie er blitzschnell um die Ecke verschwand.

      Unter Tränen band Cassie ihr Mieder wieder zu. Für den ersten Moment glaubte sie, er habe sie gerettet, aber, als er sie zu schnell über den Rücken warf, dass sie gar nicht reagieren konnte, wurde ihr bewusst, dass sie sich gewaltig geirrt hatte. Was danach kam war für jede Frau das Schlimmste, was es auf Erden gab.

      Mit Cassie auf dem Rücken marschierte Alan auf den Hafen zu. Kein Mann und keine Frau wollten dem armen, wehrenden Ding helfen. Denn das Mitleid war längst über die Jahre im Herzen gestorben.

      Kapitel 2

       Der Schuft

      Auf dem Schiff angekommen brachte Alan Cassie in eine Kajüte. Dort stellte er das junge Mädchen ab und eilte zur Tür. In Sekundenschnelle war sie wieder allein. So glaubte sie. Plötzlich drückte jemand im Halbdunkeln die Türklinge von innen herunter und schloss nach Alan die Tür. Mit Gänsehaut hörte Cassie wie der Schlüssel umgedreht wurde. Sie saß nun in der Falle.

      ***

      Es war längst nach Mitternacht, als der Captain leise die Tür öffnete und sich aus seiner Kajüte schlich. Alan stand an der Reling und starrte auf das vom Mondschein erhellte, glitzernde Wasser. Bestürzt kam sein Captain zu ihm.

      „Und, war sie gut?“, fragte er seinen Boss.

      Der Captain überhörte seine Frage und stellte ihm sofort eine Gegenfrage: „Kennst du das hier?“

      Er hielt ihm eine Kette mit einem goldenen Anhänger entgegen. Eine Art Medaillon. Der Seemann nahm es in seine Hand, öffnete den Anhänger und erblasste. Denn das Mondlicht erhellte auf dem winzigen Bild das Gesicht eines Mannes, das er zu gut kannte.

      „Ralph...“

      Ralph Darton war der Viscount von Harwich. Ein adeliger, einflussreicher Mann. Und noch dazu Captain Harringtons Halbbruder.

      „Ralphs Verlobte“, hörte Alan seinen Neffen sagen.

      Jetzt erkannte Alan, welchen großen Fehler er begannen, als er das junge, unschuldige Mädchen seinem Neffen gebracht hatte.

      „Lady Cassandra Whitbread. Die jüngste und reichste Lady von ganz England“, erzählte der Jüngere.

      „Noch dazu, weißt du, was das aller Schlimmste ist?!“, Harrington wollte nicht länger auf die Antwort seines Onkels warten und sprach es sofort aus: „Ich habe sie entjungfert.“

      Alan nickte nur noch tief von seiner Schuld betroffen und gab seinem Neffen das goldene Kettchen wieder zurück. Harrington nahm das Medaillon schuldbewusst entgegen und steckte es in seine Hosentasche. Anschließend stützte er sich mit beiden Händen an der Reling ab und sah zum dunklen Horizont. Sein offenes, weißes Hemd flatterte mit dem Wind. Silberne Mondstrahlen tanzten verführerisch auf seiner behaarten Brust. Was soll ich nur tun?

      ***

      „Was willst du jetzt tun?“, unterbrach Alan das lange Schweigen. Harrington kehrte dem rauschenden Wasser den Rücken zu.

      „Sie heiraten.“

      „Das ist nicht dein Ernst?!“, sah Alan seinen Neffen erschüttert an. „Doch, mein voller Ernst! Und zwar noch heute Morgen.“

      „Aber, wie willst du das anstellen? Dazu brauchst du ihre Einwilligung. Ich glaube nicht, nach dem du sie ... hast, dass sie noch deine Frau werden möchte.“

      „Sie wird keine andere Wahl haben“, antwortete Harrington entschlossen und ließ seinen Onkel an der Reling alleine stehen.

      Alan konnte seinem Neffen nur noch mit offenem Mund nach sehen.

      ***

      Cassie war noch wach, als sie den Captain wieder zurück kommen hörte. Sie stellte sich schlafend und spürte, wie ihr Herz vor Angst immer schneller schlug. Harrington schloss hinter sich die Tür, drehte den Schlüssel geräuschlos um und versteckte ihn in seiner Hosentasche. Anschließend legte er seine Kleidung ab und schlüpfte unter die Decke. Seine Nähe machte ihr Angst. Angst vor seinem Verlangen. Doch Harrington ahnte nichts davon und schlief gelassen neben ihr ein. Für Cassie verging eine sehr lange Zeit bis sie sich sicher war, dass er tief und fest schlief. Vorsichtig, um ihn ja nicht zu wecken, stand sie auf und warf sich ihre weiße, dünne Decke über, hob ihr goldenes Kleid vom Boden auf und ging leise auf Zehenspitzen auf die Tür zu. Im Halbdunkeln legte sie ihre Hand auf die Türklinge, warf noch einen letzten Blick auf ihren Schänder, der friedlich in seinem Bett ruhte, und drückte anschließend runter. Doch die Tür sprang nicht auf. Sie war für Cassie verschlossen. Er muss es geahnt haben. Verzweifelt lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür und rutschte hinunter, auf den Boden, presste ihr goldenes Kleid gegen das Gesicht und weinte. Warum? Ich wollte doch nur meinem Verlobten entkommen. Soll das etwa die Strafe dafür sein?

      Als Cassie wieder erwachte fand sie sich wieder in seinem Bett vor. Ihr Kleid hing ordentlich über seinem Stuhl. In weniger als einer Minute fügten sich Cassies einzelne Erinnerungen, wie die Teile eines Puzzles, zusammen und aus einem geglaubten Traum entstand ein Albtraum.

      ***

      „Bist du dir sicher, dass du das Richtige tust?“, wollte Alan wissen, ehe er mit seinem Neffen die Kirche betrat.

      „Ja und jetzt komm!“, antwortete Harrington etwas genervt.

      „Ist nicht das viele Geld, das dich zu dieser Tat reizt? Geld ist wirklich nicht alles auf dieser Welt“, versuchte Alan sein bestmöglichstes, um Harrington noch in letzter Sekunde umzustimmen.

      „Pschhht! Nicht so laut!“, warnte Harrington seinen Onkel, als er merkte, wie sein Reden den ganzen Kirchensaal erfüllte.

      „Geld hat noch keinem Mann geschadet“, flüsterte er zurück.

      Pater Edmund hörte, wie leise Stimmen auf ihn zu kamen. Deshalb betete er zu Ende. Doch ehe er sich erheben konnte, standen Harrington und Alan schon bei ihm und der Jüngere hielt ihm ein Dokument hin. „Ich möchte, dass Sie das hier unterschreiben!“, sagte Harrington mit einer Härte in seiner Stimme.

      „Was ist das, mein Sohn?“, blieb Pater Edmund freundlich.

      Er nahm das selbstverfasste Dokument und überflog es.

      „Nein, das kann ich nicht“, antwortete er schließlich und gab es ihm wieder zurück.

      „Doch!“, erhob Harrington unbewusst seine Stimme und das einsilbige Wort erfüllte ungewollt den ganzen Raum.

      Schuldbewusst ließ er schnell seinen Blick über die Sitzreihen wandern, vergewisserte sich, dass sie alleine waren und sprach anschließend leise weiter: „Das können Sie!“

      „Nicht, wenn Lady Cassandra Whitbread nicht vor mir steht und dies ebenfalls von mir möchte.“

      Ungeduldig packte Harrington den Pater an seinem Kragen und drückte den armen Mann gegen die kalte Kirchenmauer.

      „Lady Cassandra kann aber nicht erscheinen!“

      Als der Pater merkte, dass er keine Chance gegen diesen