Natalie Bechthold

Einen Schurken zum Bräutigam


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noch mit. Es war einmal ein Geschenk deines Vaters an deine Mutter.“

      Harrington sah in das kleine, braune Beutelchen hinein und entdeckte darin einen goldenen Ring mit einem roten Stein besetzt.

      „Der Rubinring wird ausgezeichnet zu dem Kleid passen.“

      Und er glaubte seinem Onkel.

      ***

      Plötzlich ging die Tür auf und Cassie zuckte erschrocken zusammen. Sie erkannte den Captain sofort und senkte ihren Blick. Harrington merkte das, aber ließ sich nichts anmerken, stattdessen schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Cassie hatte den ganzen Tag auf diesen Moment gewartet. Mit großer Angst und einer Menge unbeantworteter Fragen, wie: Wird er mich frei lassen? Was Harrington nicht wusste, war, dass sie noch immer auf demselben Platz saß, wie vor einigen Stunden, als sein Onkel noch bei ihr war und noch länger.

      Ein unangenehmes Schweigen herrschte in der Luft. Und Harrington fragte sich, wie er es brechen konnte. Auch, wie wird sie das auffassen, was ich ihr zu sagen habe?

      Langsam kam er auf sie zu, das Geschenk hinter dem Rücken versteckt und stand eine Minute schweigend vor ihr. Ihr trauriger Anblick tat ihm leid. Langsam kamen ihm Zweifel, ob er das Richtige getan hat. Er hat ihr schon einmal wehgetan und zwar heute Nacht. Musste er es unbedingt noch ein zweites Mal tun, hier und jetzt? Ja! Ich tat es nur zu ihrem Besten. Und das muss sie jetzt erfahren, auch wenn ich ihr noch einmal das Herz breche, redete er sich ein. Wäre es nicht einfacher, wenn er ihr zu einer Flucht verholfen hätte? Zum Beispiel nach Südafrika oder in das ferne Amerika? Doch, natürlich. Für einen Feigling schon. Aber er wollte für seine Tat gerade stehen, wie sonst auch immer. Während er vor ihr so da stand merkte er, wie viel Mitleid er mit diesem Mädchen hatte. Für einen Mann hätte er nicht ein bisschen Mitleid übrig. Doch wie groß sein Mitleid für sie auch war, eine Entschuldigung für seine verhängnisvolle Tat kam ihm nicht in den Sinn. Dafür war er viel zu stolz.

      Cassies Hände lagen auf dem Schoß und zitterten leicht. Ihr Kopf war leicht geneigt. Caleb sank in die Knie und versuchte ihr in die Augen zu sehen. Doch sie hinderte ihn daran, indem sie rasch das Gesicht von ihm abwandte. Glatte gold-blonde Haarsträhnen fielen ihr über das tiefe Dekolleté. Welch ein verführerischer Anblick!, dachte Harrington bei sich. Typisch, englische Mode.

      Harrington hüstelte und wartete, bis sie ihr hübsches Gesicht zu ihm drehte, wie es sich gehört, wenn man miteinander spricht. Doch, als sie es immer noch nicht tat, legte er seine kräftige, raue Hand auf die Ihre und war überrascht, welch eine Wirkung sie in der nächsten Sekunde zeigte. Und dann sah er die Angst in ihren kristallblauen Augen. Dieselbe Angst, die er längst kannte. Um ihr so schnell wie möglich die Angst wieder zu nehmen überreichte er ihr das Geschenk im hellbraunen Papier eingewickelt.

      „Hier, das ist für dich.“

      Überrascht und unabsichtlich gefror ihr Blick auf seinem Gesicht. Noch nie hatte ein Schänder seinem Opfer etwas geschenkt. Warum tut er das?, fragte sich Cassie. Anstatt eine passende Antwort zu finden, fand sie, dass der Schuft vor ihr gut aussah. Eiskalte, blau-grüne Augen und schwarzes, kurzes Haar. Über der Oberlippe hatte er eine Narbe, die bis zu der kurzen, geraden Nase reichte. Obwohl er doppelt so alt war wie sie faszinierte sie sein Anblick. Noch nie habe ich einen so schönen Mann gesehen.

      Als Cassie sich immer noch nicht rührte, legte er ihr das Geschenk auf den Schoß. Sofort kam Cassie zu sich und öffnete es. Während sie es vorsichtig öffnete bewunderte Harrington heimlich ihre Schönheit. Noch nie hatte er bisher so schöne, kristallblaue Augen gesehen, wie die von Cassie. Eine feine, gerade Nase und leicht gerötete Wangen. Ein Muss für jeden Künstler ihr schönes Gesicht auf einer Leinwand fest zu halten. Wie viele Männer werden mich dafür beneiden, dass du allein mir gehörst. Meine schöne Gemahlin. Bei dem Gedanken musste Harrington lächeln. Tja … , und da wären wir wieder. Die Stunde der Wahrheit. Und sein Lächeln verschwand wieder.

      Cassie nahm den purpurroten Stoff vorsichtig in ihre Hände und faltete ihn auseinander. Entzückt leuchteten mit jedem Mal ihre Augen auf. Ein Kleid. Ein wirklich sehr schönes Kleid. Mit den Fingern fühlte sie seine Weichheit und Geschmeidigkeit.

      Harrington sah ihr leichtes Lächeln und wusste, dass ihr das Kleid gefiel. Als seine Mutter das Kleid zum ersten Mal trug war sie fünfunddreißig Jahre alt. Längst eine erwachsene Frau. Und wie alt ist sie? Siebzehn, erinnerte er sich noch ganz verschwommen an den Zeitungsbericht vor einer Woche. Ein halbes Kind noch. Harrington schämte sich für seine Tat. Nun sag es endlich! Entschuldige dich für dein Vergehen, sagte ihm eine innere Stimme. Sonst wird es keinem von euch beiden leichter. Harrington fasste seinen ganzen Mut zusammen und öffnete den Mund, als Cassie ihn unerwartet mit ihrer Frage wieder schloss.

      „Warum? Warum tun Sie das?“, und zeigte auf das Kleid.

       Perfekt. Der Zeitpunkt ist wirklich perfekt. Jetzt musst du es ihr sagen, sonst …

      Ihre kristallblauen Augen sahen ihn eindringlich an und Harrington verließ der Mut.

       Diese Augen…

      „Ich …“, er stockte und wand das Gesicht von ihr ab.

      „Ich dachte, es wird dir gefallen.“

      Cassie war überrascht diese Antwort zu hören. Alles hatte sie erwartet, nur nicht das. Aber noch viel mehr überraschte sie, wie schnell der Captain die Flucht ergriff. Wovor hat er nur Angst?, fragte sie sich.

      Nur der Captain allein kannte die Antwort auf ihre Frage. … sie schreien nach der Wahrheit. Und für diese Wahrheit fand er keinen Mut. Feigling!, fluchte er.

      „Ich warte draußen auf dich“, sagte er noch, ehe er die Tür hinter sich schloss.

      Dann legte sie ihr goldenes Kleid ab und schlüpfte in das neue Kleid. Das purpurrote Kleid mit goldenen Fäden. Und es passte ihr wie angegossen. Ja, das wird ihm gefallen, stellte sie fest, als sie sich im großen, ovalen Spiegel mit kunstvollem, goldenem Rahmen betrachtete. Ihr Lächeln strahlte, beinahe zu echt. Obwohl Cassie Kleider liebte, wollte sich ihr Herz nicht hundertprozentig an dem Geschenk erfreuen. Sie seufzte. In diesem Moment ging die Tür auf und der Captain kam, ohne vorher anzuklopfen, herein. Ihm stockte der Atem, als er Cassie vor sich im purpurroten Kleid erblickte. Ihr gold-blondes, langes Haar fiel ihr lose über die Schultern. Fasziniert von ihrer Schönheit verschlug es ihm zunächst die Sprache. Ihre Blicke trafen sich. Eigentlich müsste ich ihm jetzt für das Kleid danken, erinnerte sich Cassie an das Gute Benehmen. Aber so einfach wollte es ihr nicht über die Lippen kommen. Wäre er jemand anders, dann, so war sich Cassie sicher, würde es mir viel leichter fallen. Zu schmerzhaft war noch die Erinnerung an die letzte Nacht.

      „Du bist sehr schön!“, und damit meinte er sie nicht nur in dem Kleid.

       Ein Traum jeden Mannes.

      Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ihr ein Kompliment gemacht hatte und errötete. Noch nie hatte er zuvor einem ein Kompliment gemacht, nicht einmal einer Frau. Wieso ausgerechnet jetzt? Nur Weicheier machen das.

      „Danke“, sagte Cassie pflichtbewusst und ahnte nicht, was gerade in seinem Kopf vorging.

      Anschließend senkte Cassie den Blick, aber nicht aus Verlegenheit. Und das rief Harrington ins Gedächtnis, weshalb er eigentlich zu ihr gekommen war.

      „Komm, lass uns gehen! Unsere Kutsche wartet“, er streckte ihr seine Hand entgegen, wie es für einen Gentleman gehört, und wartete.

      „Wohin wollen Sie mich bringen?“

      Und er sah wieder die Angst in ihren schönen Augen.

      „Keine Angst! Es wird dir nichts geschehen. Vertrau mir!“

      Ja, das - Vertrau mir! - war gerade richtig, dachte Harrington mit einem Sarkasmus.

      „Und mein Name ist Captain Caleb Harrington, aber du darfst zu mir Caleb sagen.“