Matthias Rathmer

Alexander Schalck-Golodkowski


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wirrer politischer Zeiten. Erinnern wir uns. Krause war parlamentarischer Staatssekretär des letzten Ministerpräsidenten der DDR. Zusammen mit Wolfgang Schäuble unterschrieb ausgerechnet er 1990 den deutsch-deutschen Einigungsvertrag, er, ein Mann, der zweifelhafter kaum sein konnte. Zweieinhalb Jahre später trat Krause als Verkehrsminister zurück. Die Affäre um den Verkauf der ostdeutschen Autobahnraststätten und die „Putzfrauenaffäre“ entzauberten ihn als eher einen um den eigenen Vorteil bemühten Ostdeutschen denn als integren Demokraten und machten ihn als Politiker unglaubwürdig. Wegen Untreue, Betrug und Steuerhinterziehung aufgrund von Bankrottdelikten und Insolvenzverschleppung wurde einer der beiden „Väter des Einheitsvertrages“ schließlich, als er sich, ohne alte Seilschaften bestens vernetzt, der Marktwirtschaft zu stellen versucht hatte, zusätzlich in den folgenden Jahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. „Ach, wie schade! Über Herrn Krause wollen Sie auch nicht mehr reden, Herr Schäuble! Wie wäre es dann mit Herrn Rohwedder oder Frau Breuel, den ehemaligen Präsidenten der Treuhandanstalt, Sie wissen schon, die, die den letzten Rest an Vermögen verschleudert haben, das, was von der DDR noch übrig war, als all die Schalcks und Krauses mit ihr fertig waren.“

      Sicher. Am Ende, seit mehr als fünfundzwanzig Jahren, stand und steht das einmalige Geschenk der Einheit, mit allem, was sie wem auch immer wie gebracht hat. Die vielen Milliarden, die in einer Art Raubrittermanier verloren gingen, als dem politischen Untergang der DDR der totale Ausverkauf folgte, störten damals schon niemanden wirklich. Eine reiche Nation kann eben auch reichlich Verluste verkraften, und was Kriminologen White Collar Crime nennen, besitzt für viele Politiker die Qualität, das Machbare zu erreichen. Gehörig mehr wiegt da schon der Verlust von Glaubwürdigkeit. So stehen all die Schäubles, Schalcks und Krauses nach wie vor eben auch für eine Kultur bewusst unterlassener Vergangenheitsbewältigung.

      Zweifelsfrei. Schalck hat politischen Schutz genossen, und er genießt ihn noch heute. Wenn eines Tages die Archive des Bundesnachrichtendiensts und des Kanzleramts Einblick gewähren, nur dann können die fehlenden Kapitel einer genauso einzigartigen Vereinigungskriminalität geschrieben werden. Auslandsgeheimdienst und die Ämter für Verfassungsschutz wollen den Offizier der Staatssicherheit vor dem Zusammenbruch des Honecker-Regimes nicht begleitet haben. Wenn das zutreffen sollte, haben sie in einer Qualität versagt, die an Dilettantismus nie mehr zu überbieten wäre und postum jedem beteiligten Stasi-Offizier einen dicken Orden samt großzügiger Rente einbringen müsste.

      „Keine Sorge, Herr Schäuble! Wir kennen sie alle. Wir haben das alles im Griff. Sie machen nur Geschäfte. Krumme zwar. Aber denen steht das Wasser bis zum Hals. Müssen wir eben auch mal beide Augen zukneifen.“ Nur so oder ähnlich blind werden alle Kanzleramtsminister und Koordinatoren in gleichem Amt gewesen sein, eingestielt durch die Regierung Schmidt und schließlich vollendet durch die Regierung Kohl. Für die Einheit Deutschlands haben die Deutschen schon viel, viel früher kräftig bezahlt. Und zwar alle.

      Man mag anführen, dass mittlerweile offiziell alle rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren gegen Schalck abgeschlossen sind. Fünf Wochen saß er nach seiner Flucht in den Westen in der Moabiter JVA ein, freiwillig. Zwei Verurteilungen brachten ihm Haftstrafen von insgesamt etwas mehr als zwei Jahren ein, die aber zur Bewährung ausgesetzt worden sind. In seinen Memoiren „Deutsch-deutsche Erinnerungen“, die im Jahr 2000 veröffentlicht wurden, besticht der „Mann, der die DDR retten wollte“, auf bewährte Weise. Zu wichtigen Ereignissen schweigt er nach wie vor beharrlich, zu vielen anderen Vorwürfen entwickelt er in Teilen Schutzbehauptungen, in wieder anderen Bewertungen wird er bekannt peinlich. Anlässlich seines 80. Geburtstags 2012 würdigten ihn zwei Autoren in einer Darstellung des Verlags „Edition Ost“ gleichfalls in unverbesserlicher Art. Die Generation der alten Stasi- und Parteiseilschaften kann einfach nicht anders. Wer einst derart stramm stand und wie Schalck denen hinterher lief, die eine politische Überzeugung wesentlich mit Unrecht, Lug und Betrug zu realisieren versuchte, ist Zeit seines Lebens von seiner verzerrten Wahrnehmung der Realitäten unheilbar verblendet. Der große Bruder, der mit dem vielen Geld in der Tasche, hatte nichts anderes gewollt.

      Bis auf dieses Vorwort und kleinere Korrekturen, die der Formatierung und neuerer Software geschuldet waren, ist diese politische Biographie unverändert geblieben. Sie entstand 1995. Damals schon bestimmten die Erstellung wesentliche Fragen übergeordneter Art. Warum fehlt wieder einmal eine politische Kultur, wahrhaftig die eigene Geschichte erzählen zu können? Warum all dieses Schweigen, all die Verblendung und all die Lügen? „Wo soll das bloß alles enden?“ fragte mich ein Begleiter dieser Darstellung nach der ersten Lektüre.

      Schalck ist heute ein alter, kranker Mann, der noch immer in Rottach-Egern lebt. Auf dem Friedhof des Ortes liegt Franz Josef Strauß begraben, einer der Männer, der Schalck in den Wirren des Untergangs der Ostrepublik geschützt und geholfen hatte. So wird zumindest eine der Fragen beantwortet. Ein schwer gewichtiger Teil deutscher Vereinigungsgeschichte endet im Grab. Dort, wo alles endet.

      Kairo, im Februar 2015

      Matthias Rathmer

       Einleitung

      Der Auftritt ist gelungen, und das Gelächter im Sitzungssaal verhallt nur langsam. Gerade hat Dr. Alexander Schalck-Golodkowski im besten Berlinerisch einen Frontalangriff auf parlamentarischen Dilettantismus erfolgreich abgeschlossen. „Sie bestimmen die Fragen, und ich bestimme die Antworten." 1 Die Cleverness dieses Mannes ist beeindruckend. Während der Vorsitzende Mühe hat, die Ernsthaftigkeit dieser Veranstaltung aufrecht zu erhalten, sitzt Schalck mit seiner fast zwei Meter hohen Gestalt und großem, rundem Gesicht gelöst an einem Tisch. Er wirkt gepflegt. Der Anzug ist maßgeschneidert. Entgegen einiger Darstellungen scheint er körperlich gesund. Mehrere überregionale Zeitungen titelten zuvor, ihn plage die Gicht. Da präsentiert er sich also nun, einer der angeblich größten Wirtschaftsverbrecher deutscher Geschichte, der Oberbösewicht. Sein Anwalt begleitet ihn, obwohl Schalck gewandt genug ist und diesen nicht wirklich braucht. Die Rückkopplungsgeräusche der Mikrofonanlage pfeifen erneut durch den Raum, und der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses wartet auf eine Antwort Schalcks. Der nimmt die Brille ab und wendet sich zur Seite. Erneut in bestem Berlinerisch gibt er zurück: „Ihre Fragen klingen interessant. Gibt es auch Beweise?" 2 Wieder lachen alle Anwesenden. Dr. Alexander Schalck-Golodkowski hat während seines ersten Auftritts vor den nach Aufklärung bemühten Bonner Parlamentariern im September 1991 alles fest im Griff. Gut beraten schweigt er über sein Wirken und über die, die einst mit ihm waren.

      Schalck-Golodkowski zählt sicher zu den schillerndsten Figuren der Zeitgeschichte. Nachdem im Dezember 1989 und in den darauf folgenden Monaten mehr und mehr von seiner Mission bekannt geworden war, wucherten beispiellos eine Fülle von Legenden und Halbwahrheiten über den ehemaligen Außenhändler der DDR. Für viele war er ein gerissener Gauner des ostdeutschen Regimes. Andere bezeugten ihm aufrichtiges Engagement in seinem Bemühen um eine effiziente Devisenerwirtschaftung außerhalb des Staatsplans. Für andere wiederum gehört er zu den Verantwortlichen sozialistischer Misswirtschaft wie z.B. Günter Mittag und Gerhard Schürer. Für jene, die mit ihm Geschäfte machten, war er ein ungewöhnlich dynamischer Pragmatiker, der das ökonomische Lenkungssystem des real existierenden Sozialismus mit kapitalistischen Methoden überwand. Als Unterhändler in deutsch-deutschen Verhandlungsgesprächen war er schließlich Ansprechpartner westdeutscher Politik. Fast immer aber wurden bislang sein Stellenwert und sein Einfluss innerhalb des politischen Machtapparates der DDR überschätzt. Allenfalls der Aufschub des Untergangs der DDR war ihm gelungen.

      Mit rechtsstaatlichen Mitteln scheint der ehemalige Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo), MfS-Offizier im besonderen Einsatz und Staatssekretär nicht zu fassen zu sein. Zwar muss sich der einstige Devisenbeschaffer der DDR im September 1995 vor dem Berliner Landgericht wegen der illegalen Einfuhr von Waffen und Militärgütern verantworten, doch eine Verurteilung ist fraglich. 3 Schalck soll, so die Ermittler, zwischen 1987 und 1989 insgesamt 102 Pistolen, Flinten und Gewehre für 330.000 US-Dollar sowie 246 Nachtsichtgeräte im Wert von 2,8 Millionen Mark aus der Bundesrepublik in die DDR eingeführt haben. Die rechtliche Konstruktion der Berliner Staatsanwaltschaft scheint jedoch grundsätzlich zweifelhaft, da selbst das diese Importe verbietende Militärregierungsgesetz Nr. 53 der Alliierten in seiner Gültigkeit vom Rechtsbeistand