Matthias Rathmer

Alexander Schalck-Golodkowski


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Weimarer Republik erlaubte. Er schränkte jedoch sofort beschwichtigend ein, dass sie diese Tätigkeit ja nicht ausgeübt habe.

      In Danzig jedenfalls heiratete Schalcks Mutter zum zweiten Mal. Peter Golodkowski war ein Staatenloser russischer Abstammung, ein Status, der ihm das Leben im sog. Danziger Korridor erheblich erschwerte. Hier schlug ihm Fremdenhass entgegen. Polen und Deutschland stritten um diesen Landstreifen, der zusammen mit der Freien Stadt Danzig Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet trennte. So mag der Wunsch, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, verständlich wirken, als Peter Golodkowski die Ehe einging. Es existieren jedoch mehrere, unabhängig von einander gemachte Aussagen, dass der Vater Schalcks für seine Einbürgerung weitere Hilfen in Anspruch nahm. Danach bat er einen Freund, nämlich Fritz Schalck, einen Offizier der SS, ihn zu adoptieren. Schriftliche Quellen, Dokumente über diese Adoption, liegen nicht vor. Ein Umstand, der in der Vergangenheit zu den wildesten Spekulationen über die Herkunft Schalcks führte. Eine Version ging soweit, dass Schalck selbst von jenem SS-Angehörigen in Krakau adoptiert wurde und nicht sein Vater. Glaubhaft scheinen andere Quellen zu sein. Danach diente der Vater als Offizier in der Armee des russischen Zaren, flüchtete vor den Bolschewisten und arbeitete schließlich für die Deutsche Wehrmacht als Leiter der russischen Dolmetscherschule in Moabit. Der Hinweis auf diese mögliche, für einen späteren Werdegang in der SED belastende Vergangenheit Alexander Schalcks soll Anlass für die spätere DDR-Staatssicherheit gewesen sein, alle verfügbaren Unterlagen aus den Archiven zu entfernen. 6

      Alexander Schalck wuchs in Berlin-Treptow auf. „(...) Meine Erziehung war überwiegend meiner Mutter überlassen. Beide Elternteile und auch mein Halbbruder waren nicht Mitglied der NSDAP (...)." 7 Knapp nur beschrieb Schalck die eigene Kindheit. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 befürchtete die Familie mehr denn je, in die allgemeine Hetzjagd nationalsozialistischer Rassenpropaganda zu geraten. Die Schalcks lebten zurückgezogen und unauffällig, in bescheidenen Verhältnissen. Der Beruf des Vaters dürfte ein Grund gewesen sein, warum sich eher die Mutter seiner Erziehung annahm. 8

      Ehemalige Mitschüler, Schalck wurde sechsjährig 1938 in die Volksschule Treptow eingeschult, erinnern sich an einen ängstlich gehemmten und schweigsamen Jungen, der sich, gehänselt ob seiner behäbigen Art und fülligen Masse, auf dem Schulhof eher mit den Fäusten durchzusetzen verstand als mit Verstand und verspieltem Kinderwitz. Seine Schulnoten waren zudem nicht die besten, lediglich Fremdsprachen weckten sein schulisches Interesse. 9 Darüber hinaus ist von dem jungen Schalck nichts bekannt. Wann und wo der Vater mit Beginn des Krieges getötet wurde, ist nicht bekannt. 10 So wurde der neunjährige Schalck 1942 in eine Internatsschule geschickt. Dies geschah wohl in erster Linie, um dem Sohn in Zeiten allgemeiner Kriegswirren doch noch eine solide Schulausbildung zukommen zu lassen. „Ich besuchte die Internatsschule in Waldsieversdorf bei Buckow/ Märkische Schweiz bis zum Jahre 1947 mit einer kurzen Unterbrechung zum Kriegsende, als die Schule nach Brandenburg an der Havel ausgelagert wurde. Nach Abschluss der neunten Klasse im Internat Waldsieversdorf, später Einheitsschule, habe ich eine Voluntär-Tätigkeit bei der Firma Hopstock in Berlin-Treptow, Herstellung von Kinovorführgeräten, aufgenommen, in der mein Bruder als Feinmechanikermeister tätig war." 11 Mehr teilte Schalck über seine Kindheit und Jugend nicht mit.

      Der Krieg war vorüber, Deutschland geteilt. In der sowjetischen Besatzungszone unterstützte Schalck seine Familie mit Hilfsarbeiten. Ende 1946 beispielsweise arbeitete er als Türsteher im „Cafe Astoria, Unter den Linden". Der junge bullige Schalck hatte sich zur Respektsperson entwickelt. Eine Lehre als Bäcker, die er nach Kriegsende begonnen hatte, brach er ab. In einem späteren Vernehmungsprotokoll des BND gab er weiter an: „Nach Abschluss der Volontär-Tätigkeit habe ich 1948 eine Berufsausbildung als Feinmechaniker bei den Elektroapparate-Werken Berlin-Treptow, ehemals AEG, zu diesem Zeitpunkt SAD-Betrieb, aufgenommen und im Rahmen des Berufswettbewerbes 1950 vorzeitig erfolgreich abgeschlossen. Ich habe danach noch kurze Zeit in dem Betrieb als Feinmechaniker gearbeitet und später als Arbeitsvorbereiter. 1951 habe ich den Betrieb gewechselt und bin zum RFT-Anlagenbau Berlin (VEB Radio- und Fernmeldetechnik, d.A.) als Arbeitsvorbereiter gegangen. Diese Tätigkeit übte ich bis Mai 1952 aus." 12 Schalck entwickelte ein überdurchschnittliches technisches Geschick im Umgang mit Messgeräten.

      Die Fähigkeiten des 18jährigen und die Position des Arbeitsvorbereiters deuteten frühzeitig an, dass er mehr zu leisten im Stande war als ein normaler Facharbeiter. Die meisten Betriebe wurden in dieser Zeit als deutsch-sowjetische Aktiengesellschaften unter strenger Kontrolle geführt. Sie waren Teil der Reparationsleistungen an die sowjetischen Besatzer. Nur wer als faschistisch unbelastet und kommunistisch gesinnungstreu in Erscheinung trat, konnte in den Gründungsjahren der DDR eine derartige Vertrauenspositionen erhalten. „Aufgrund meiner Erziehung im Elternhaus und im Internat war mein Klassenstandpunkt 1947 nicht ausgeprägt. Erst mit Beginn meiner Lehre in den Elektro-Apparate-Werken Treptow bekam ich Kontakt zur FDJ und zur Sportbewegung. Bereits 1948 wurde ich Mitglied des FDGB und der BSG EAW-Treptow-Sektion Boxen." 13 Mit gewisser Enttäuschung skizzierte Schalck sein Elternhaus. Er, der Sohn eines Kraftfahrers, hatte eine bürgerlich-konservative Erziehung genossen. Dass es ihm dennoch frühzeitig gelang, den Ansprüchen der sozialistischen Ideologie eines Arbeiter- und Bauernstaates zu entsprechen, führte er auf sein ausgeprägtes politisches Interesse zurück. Mit 19 Jahren schien Schalck erkannt zu haben, dass er ohne die allgegenwärtige Partei keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten besaß. Fraglich dabei bleibt, wie er sein politisches Bewusstsein in jenen Jugendjahren reflektierte. Er war eben nicht zum sozialistischen Kämpfer erzogen worden, der mit Vehemenz für die neu gegründete DDR eintrat. Weit mehr hatte Schalck die eigenen Existenzsorgen vor Augen, als er den Kontakt zu den führenden SED-Genossen suchte.

      „Im Herbst 1950 wurde ich mit einigen Sportlern des Widerstandes gegen die Staatsgewalt in Westberlin angeklagt. Nach Beratung mit einem zuständigen Justitiar im Nationalrat der Nationalen Front nahm ich am Prozess teil und wurde aufgrund meines Alters freigesprochen." 14 Schalck wurde von der Westberliner Polizei verhaftet, weil er Wahlpropaganda für die SED gemachte hatte, Plakate geklebt hatte. Die Genossen hatten den robusten Boxer Schalck für diese Einsätze angeworben. Im Gegenzug, quasi als Auszeichnung für jene nicht ungefährlichen Politausflüge über die Sektorengrenze, durfte der parteilose Jugendliche am Parteilehrjahr der SED teilnehmen. "Hier stellte ich bereits meinen ersten Antrag zur Aufnahme als Kandidat der SED, der aufgrund einer Aufnahmesperre für Angestellte zu diesem Zeitpunkt noch nicht berücksichtigt werden konnte." 15

      Die Kinder- und Jugendjahre Schalcks dürften sich im wesentlichen tatsächlich so ereignet haben, wie Schalck sich selbst mehrfach, in Nuancen zwar unterschiedlich, erinnerte. Alle Schilderungen verweisen auf einen zentralen Aspekt: aus eigenem Antrieb hatte Schalck die sozialistischen Ideale des Arbeiter- und Bauernstaates für sich verbindlich gemacht und der Partei die Führungsrolle zu dessen Errichtung und Festigung uneingeschränkt zuerkannt. In einem zentralen Punkt seines Lebenslaufes aber tauchen Widersprüche auf.

      Es sind Zeitzeugen, Weggefährten Schalcks und ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit, die darauf aufmerksam machen: als Alexander Schalck im Herbst 1950 von der Westberliner Polizei kurzzeitig verhaftet wurde, dann deshalb, weil er einträchtigeren Geschäften nachgegangen sein soll, als allein den Lebensunterhalt in einer schwierigen Zeit durch eine solide Berufstätigkeit zu erwerben. Schalck soll Lebensmittel von West nach Ost geschmuggelt haben, mit Zigaretten, Medikamenten und Alkohol einen schwunghaften Handel betrieben haben. Gewiss: private Tausch- und Schmuggelgeschäfte gehörten in dieser Phase des Nachkriegsdeutschlands zwar zum Existenzkampf vieler, in der Version des jungen Schalck jedoch soll der illegale Gütertransfer über die Sektorengrenzen nahezu perfekt organisiert gewesen sein. Tagelange Untersuchungshaft und stundenlange Verhöre durch Mitarbeiter einer Sonderkommission der Alliierten, die den Schwarzhandel zwischen den Besatzungszonen bekämpfen sollten, zeugten davon, so verschiedene Quellen übereinstimmend, dass Schalck in kurzer Zeit einen ansehnlichen Umfang mit seinen Schmuggelgeschäften erzielt haben muss. 16 Die Angst vor einer unsicheren Zukunft soll-

      Schalck später auch dazu getrieben haben, den MfS-Verantwortlichen Personen und Strukturen seiner Schmugglerringe preiszugeben. Beeindruckt ob der präzisen, peniblen vor allem aber verlässlichen Angaben Schalcks über den illegalen Handel, wollen die Ost-Ermittler