Matthias Rathmer

Alexander Schalck-Golodkowski


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über seine Unterredungen mit französischen Geschäftspartnern. Einige der damaligen Gesprächspartner Schalcks erinnern sich heute daran, dass Schalck im Gegensatz zu seinen mitgereisten Genossen sein neues Feld unkonventionell und gelöst betrat. Spontaneität und Flexibilität machten ihn zu einem beliebten und verlässlichen Unterhändler. 48

      „In der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten Arbeiter- und Bauernstaat in Deutschland, werden auf allen Gebieten unseres friedlichen Aufbaus entscheidende Erfolge errungen. Im Kampf um die Verwirklichung des neuen Kurses hat der Staatsapparat ständig größere Aufgaben zu erfüllen. Die richtige Kaderpolitik ist ein wichtiger Schlüssel dieser Aufgabe." 49 Schalcks Qualitäten entsprachen dieser von Walter Ulbricht verordneten Rekrutierung der Führungselite. Folgerichtig sollte Schalck SED-Mitglied werden. Das aber war nicht so einfach. Niemand konnte so einfach in diese Partei eintreten. Der Antragsteller wurde zuerst „Kandidat". Das aber auch nur, wenn ein SED-Mitglied als Bürge für den Anwärter auftrat. Ausnahmen waren nur dann möglich, wenn der Bewerber Produktionsarbeiter war oder sich am Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv beteiligt hatte. Bis zu zwei Jahre mussten die Aspiranten in den 50er Jahren warten, um in die Partei aufgenommen zu werden. Bei Schalck dauerte es nicht einmal sechs Monate, Koch, also wesentlich Hans Fruck, der jedoch aufgrund seiner Position nicht in Erscheinung treten durfte, bürgten für ihn. 1955 wurde Schalck Mitglied der SED.

      Die noch junge DDR steckte in einer schweren Krise, als Schalck Stärke, Zuverlässigkeit und das rechte Klassenbewusstsein zeigte. Der Tod Stalins am 5. März 1953 schockte die Staats- und Parteiführung, denn die neuen Machthaber im Kreml forderten eine Kurskorrektur. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs. Unterdrückung, Repressalien und perspektivlose Lebenslage: die Menschen hatten genug vom „verschärften Klassenkampf zum Aufbau des Sozialismus". Allein 1953 flüchteten über 300.000 von ihnen in die Bundesrepublik, bis zum Ende Jahres 1955 waren es sogar über eine dreiviertel Million DDR-Bürger. In erster Linie gingen diejenigen, die die DDR-Führung besonders umwarb: Jugendliche, Arbeiter und Bauern. Unter sowjetischen Druck beschloss das Politbüro einen „Neuen Kurs". 50 Der sah im Kern eine bessere Versorgung mit Konsumgütern vor. Gegenüber der Arbeiterschaft aber blieb die SED hart. Der Protest gegen die im Mai 1953 drastisch erhöhten Arbeitsnormen gipfelte in den Aufstand vom 17. Juni, den die DDR-Regierung und sowjetische Truppen blutig niederschlugen. Die Menschen in der Ost-Republik mussten die bittere Erfahrung machen, dass der Versuch einer gewaltsamen Veränderung des politischen Systems keinerlei Aussicht auf Erfolg hatte, solange die Sowjetunion das bestehende Regime stützte. Gänzlich folgenlos blieb der Aufstand dennoch nicht, so wurde die Produktion in der Schwerindustrie zugunsten der Erzeugung von Konsumgütern und Lebensmitteln gedrosselt. Die Preise wurden gesenkt, und die UdSSR-Regierung erklärte sich bereit, ab 1954 auf alle Reparationen zu verzichten. Die Besatzungskosten wurden auf 5% des Staatshaushaltes begrenzt, SAG-Betriebe der DDR als Staatsbetriebe übereignet.

      Parteiintern folgte eine umfassende „Säuberung". Die DDR-Bürger, die ihre persönlichen Perspektiven eher mit dem westdeutschen Wirtschaftswachstum verbanden und in die BRD übersiedelten, waren aus allen Bereichen gekommen: aus der Polizei, dem Staatsapparat, den kommunalen Behörden. Selbst die Staatssicherheit verlor vertraute Mitarbeiter, die natürlich westdeutschen Institutionen und auch Geheimdiensten berichteten. Sie legten Personen und Strukturen offen. Ulbricht, gestärkt durch die neuerliche Unterstützung aus dem Kreml, setzte auf diese neue Kaderpolitik, und da kam Schalck gerade recht. Nur die zuverlässigsten Mitglieder der SED erhielten die Möglichkeit, höhere Aufgaben zu übernehmen. Das MfS wurde zur Auswahl und Überprüfung dieser Kandidaten immer intensiver eingebunden. Schalck, ein Kind der so gefürchteten Staatssicherheit, erfüllte diese Kriterien des „Neuen Kurses".

      Der Aufstand war erfolgreich überstanden, als im MAI einer neuer FDJ- Sekretär gesucht wurde. „Die Mitgliederversammlung der FDJ-Grundeinheit wählte mich am 3. Juli zum 1. Sekretär. Besonders durch diese Funktion konnte ich mir durch die starke Unterstützung der Genossen der Zentralen Parteileitung und der leitenden Mitarbeiter im MAI ein umfangreiches politisches und fachliches Wissen aneignen." 51 Es war der 21. Geburtstag Schalcks, an dem er als neuer FDJ-Sekretär in die Nomenklatura aufstieg.

      Mit dem Aufstand vom 17. Juni 1953 verhärteten sich die Fronten zwischen beiden deutschen Staaten weiter. Die Regierung um Bundeskanzler Adenauer hatte nach ihrem triumphalen Wahlsieg im gleichen Jahr jegliche Kontakte zur DDR-Regierung abgelehnt, wie schon in den Jahren zuvor und auch im späteren Verlauf. Gegen die KPD war schon im November 1951 ein Verbotsverfahren eingeleitet worden. Die mündlichen Verhandlungen dazu begannen im November 1954, im August 1956 erfolgte schließlich das Verbot der Partei. In der DDR selbst ging der Strukturwandel weiter. Bei den Wahlen für die Volkskammer und die Bezirkstage im Oktober 1954 ergab sich ein fast schon gewohntes Bild: 99,45% Ja-Stimmen für die Einheitsliste. Ein Jahr später endete der erste Fünfjahresplan, der mit 105% erfüllt wurde. Unter schwierigen Umständen und nur mit erheblichen Anstrengungen verfügte das Land jetzt über eine schwerindustrielle Grundlage. 52 Zehn Jahre nach Kriegsende hatte die SED ihre Herrschaft dank der sowjetischen Unterstützung festigen können, ohne jedoch von der Bevölkerung akzeptiert zu werden. In einer krisenhaften Gesellschaft fehlte die allgemeine Zustimmung für die z.T. gewaltigen sozialen Umschichtungen. Breite Teile der Bevölkerung blickten voller Neid auf den wirtschaftlich weitaus erfolgreicheren Nachbarn.

      Schalck störte das nicht, er war eingebunden. Unter Heinrich Rau war er Ende 1953 ins Ministerbüro des Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel vorgedrungen. Dort entwickelte er einen enormen Arbeitseifer. Nicht selten verließ er das Büro erst gegen Mitternacht, arbeitete häufiger auch am Wochenende. Von seinen Mitarbeitern forderte er ungeniert, gleichen Einsatz zu entwickeln. Freizeit gab es für Schalck nur selten. Im Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel arbeiteten etwa 300 Personen, und alle Abteilungen hatten reichlich zu tun. Als Anfang 1954 die Reparationen ausliefen und die beschlagnahmten Betriebe rück übereignet wurden, gab es plötzlich in der neu gewonnenen Selbständigkeit keine Abnehmer für die hergestellten Waren und Güter mehr. Zwar wickelte die DDR den Großteil des Außenhandels mit den Ländern des Comecons ab, doch Handelsstruktur- und Niveau waren von Beginn an unangemessen, zu Lasten der DDR-Volkswirtschaft. Die Sowjetunion fiel für einen intensiven Handel erst einmal aus, sie hatte sich bereits reichlich bedient. In den sozialistischen Bruderstaaten fehlten entweder die Valuta oder die Kompensationsbereitschaft, so dass der DDR schon frühzeitig nur ein Abnehmer blieb: der Klassenfeind im Westen.

      Noch aber war Schalck kein diplomierter Ökonom. Der Schulabschluss der Neunten Klasse berechtigte ihn nicht zu einem Studium. Folgerichtig trieb es ihn an die Berliner Humboldt-Universität, an der er 1954 eine Sonderprüfung ablegte. Die Lehranstalt galt als „Arbeiter- und Bauern-Fakultät" und war genau zu jenem Zweck errichtet worden, eine fehlende Schulbildung begabter Kandidaten nachzuholen. „Auf Empfehlung der ZPL des MAI begann ich im Oktober 1954 an der Hochschule für Außenhandel in Staaken ein Intensivstudium." 53 Die Parteileitung seines Ministeriums hatte ihn für dieses Studium vorgeschlagen. Nachdem Schalck 1955, dank Hans Fruck, endlich in die Partei aufgenommen war, begann er auch an der Hochschule für die allgegenwärtige SED zu arbeiten. Schon im März 1955 wurde er zum zweiten Sekretär der Grundeinheit seines Studienjahres gewählt. 54

      Jetzt war Schalck nicht mehr aufzuhalten, nicht nur als politischer Aktivist. Als Hundertschaftsleiter der „Gesellschaft für Sport und Technik (GST)", einer paramilitärischen Organisation als Vorstufe zur Armee, die genauso allgegenwärtig existierte wie die SED, bildete er seine Kommilitonen im Umgang mit Waffen aus. „Zur Qualifizierung der militärischen Ausbildung unter den Studenten wurde ich zu einem Sonderlehrgang „Kampfsport" der GST zur Zentralschule nach Rechlin delegiert. Hier habe ich mir in 8 Wochen eine militärische Grundausbildung angeeignet. (...) Meine Abschlussprüfung im Dezember 1955 bestand ich mit der Note „sehr gut". Mit der Ausbildung erwarb ich mir das Mehrkampfabzeichen und das Schießabzeichen in Gold." 55

      Auch an der Universität zeichnete sich Schalck durch politische Linientreue, Fleiß und Erfolg aus. Das dritte Studienjahr absolvierte er als Fernstudent, arbeitete daneben weiter im MAI. Hier lagen seine Stärken auf anderen Gebieten. Im Ministerium fiel er durch seine Improvisationskünste auf. So benötigte Ost-Berlin im August 1957 beispielsweise