Matthias Rathmer

Alexander Schalck-Golodkowski


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Schieberorganisationen der DDR bekannt, organisierte Schalck den Kauf illegal und schmuggelte die Ware von West- nach Ost-Berlin. Der Preis jedoch hatte sich auf neun Dollar erhöht. Schalcks westliche Händler hatten rasch erkannt, dass der Zwang der Planerfüllung ein ideales Druckmittel war, Konditionen zu diktieren. Dennoch erntete Schalck Anerkennung und ein Prämie. Die nämlich hatte Außenhandelsminister Rau allen Staatshändlern bei unerwarteten Geschäftsabschlüssen versprochen. 56

      Sein Fernstudium, das er im November 1957 mit „gut" abschloss, war durch einen zweiten Grund bedingt. Im Dezember 1955 heiratete Schalck. Die Lebensumstände im Internat der Hochschule in Staaken hatten ihm von Beginn an nicht genügt. Nun drängte ihn seine Frau, nach Berlin zurückzukehren, und Schalck fügte sich. Magarethe Becker war sieben Wochen jünger als Schalck, geboren am 23. August 1932 in Berlin. Sie lernte ihren Mann kurz nach seinen Auslandsreisen kennen und war fasziniert von den Berichten Schalcks über das für sie so unerreichbare Frankreich und Holland. Sie bewunderte diesen Mann, der sich auch Dank seiner Statur Respekt verschaffen konnte. 57

      Schalck entwickelte auch in seinem Privatleben DDR-Standard. Schon zu früheren Zeiten gehörte keine Tochter aus dem verpönten Bürgertum zu seinen Freundinnen, sondern Mädchen der Arbeiterklasse. Magarethe Becker arbeitete als Schneiderin. Sie nähte und flickte die Uniformen der Ost-Berliner Volkspolizei. Erst in den 60er Jahren wurde sie dank der wachsenden Macht ihres Mannes in den Bundesvorstand des FDGB berufen. Die Familie Schalck wuchs. Am 28. November 1956 wurde Sohn Thomas geboren, am 21. Dezember 1966 Tochter Petra. Aus dem Alltag der folgenden Jahre ist wenig bekannt. Die Schalcks lebten zurückgezogen, der Position und Aufgabe des Vaters angemessen.

      Alexander Schalck war nach der Wende von 1989/1990 umringt von zahlreichen Legenden. Sein Aufstieg zum „obersten Devisenbeschaffer der DDR" wurde gleichgesetzt mit der märchenhaften Gestalt des „Geistes aus der Flasche", dessen perfekt funktionierendes Imperium derart verschleiert nahezu ins Unermessliche wuchs. 58 Übersehen werden die Fakten. Schalck war von Beginn an ein Kind des DDR-Systems. Fünfzehnjährig durchlebte er die Nachkriegszeit wie viele tausende andere Jugendliche auch. Er erlag den vollmundigen Versprechungen von einer neuen Gesellschaft, die ihm suggerierten, einzig der soziale Erfolg stabilisiere die politische Einheit und demonstriere somit eine sozialistische Alternative gegenüber dem Westen. Die SED war angetreten, soziale Unterschiede erst gar nicht zuzulassen. Alles war sozial gerecht, weil alles auf sozialer Gleichheit basierte, wenn man bereit war, sich dem Führungsanspruch der Partei zu unterwerfen. Schalck war es, wie Millionen andere auch. Erste Erfolge schienen der sozialistischen Alternative Recht zu geben, ließen Schalcks vorsichtige Zweifel verschwinden. Erst mit seiner Aufgabe im MAI kam er in den Genuss von unzähligen Privilegien der Nomenklatura, des begünstigten Zugangs von knappen und höherwertigeren Gütern und Waren. Auch diese verdeckte Ungleichheit, die den propagierten Leistungsanspruch ins genaue Gegenteil verkehrte, war nicht seine Idee gewesen. Selbst diese Eitelkeiten hatte er übernommen, von Männern wie Fruck, Wolf und auch von Ulbricht. Als es galt, den Herrschaftsanspruch der SED nicht in bloßer Theorie verkommen zu lassen, da bedurfte es unterhalb der obersten Führungsebene dienstwilliger Befehlsempfänger. Genau dazu gehörte Schalck in den Jahren seines Aufstiegs. Und er sollte sich fortan genau dadurch profilieren.

      Der Arbeitsstätte kam in der DDR eine besondere Rolle zu. Für Schalck muss dies mehr als für andere gegolten haben, waren die Betriebe für ihn doch eher ein zweites Zuhause als bloßer Produktionsort. Schnell dürfte ihm überdies bewusst geworden sein, dass sein weiteres Fortkommen an die Parteimitgliedschaft, Kirchenaustritt und Kampfgruppenbeitritt gebunden war. Er wollte Karriere machen. Derart involviert war für den zielstrebigen Schalck alles möglich. Sein systemkonformes Verhalten war der frühzeitige Garant für höhere Aufgaben.

      Schalck war zwar seit seiner Kindheit mit einer gesunden Physis versehen, doch erst im Reifeprozess mag auch er selbst eingesehen haben, dass dies keine mangelnde Bildung ersetzt. Schritt für Schritt entwickelte sich der junge Schalck, bis ihm die Grenzen seiner schulischen Versäumnisse deutlich aufgezeigt wurden. Die durchschnittliche Schulbegabung, so wird zu sehen sein, vermochte er nicht immer zu kaschieren. Oftmals dürfte er selbst nicht mehr verstanden haben, was er in schauderhaftem Deutsch zu schreiben in der Lage war.

      Genosse und Tschekist

      Schalck durchlief, wie gesehen, bis zum Abschluss seines Studiums alle zur sozialistischen Erziehung installierten Organisationen: FDJ, Parteilehrjahr, GST und schließlich SED. Waren andere Jugendliche und junge Erwachsene beispielsweise nur in die GST eingetreten, um den Führerschein zu erwerben, tat es Schalck aus Überzeugung. Schalck ging niemals den Weg des geringsten Widerstandes, er übernahm Verantwortung, drängte sich bisweilen nahezu auf. Prägend und von entscheidender Bedeutung waren jene zwei Auslandsreisen nach Utrecht und Paris. Bis dato hatte er seine Umgebung als sozialistische Heilswelt begriffen, die im stetigen Kampf mit dem kapitalistischen Ausland stand. Die doppelte Staatsgründung verstand er als Resultat unterschiedlicher ideologischer Machtkonstellationen. Nun kam er direkt mit jenen in Berührung, die ihm im Staatsbürgerkundeunterricht als Klassenfeinde vorgestellt wurden. Neben dem illustren Ambiente und dem weltmännischen Flair faszinierte ihn erstmals vor allem die Bereitschaft, ideologische Ketten zu sprengen, wenn man ein gutes Geschäft machen konnte. Nicht Parteidiktionen führten Regie, sondern Absatz- und Umsatzzahlen. Die Gegensätze zu seinem System nahm er billigend an, vor allem reifte die Überzeugung, den Erzfeind im Westen, die verhasste Bundesrepublik, so zu schädigen, wie sie es seiner Meinung nach verdiente.

      Schalck sah insbesondere zukunftsträchtige Handelspartner und Märkte, mit denen der Außenhandel das eigene Wirtschaftssystem stärken konnte. Als er ins MAI wechselte, war er ein studierter Ökonom. Er hatte alle sich bietenden Entwicklungsmöglichkeiten seines Staates genutzt und saß nun in verantwortungsvoller Position. Und er gehörte zur Führungselite seines gepriesenen Sozialismus. Der Parteisoldat Schalck dürfte dabei wie viele andere Mitglieder der Kaderpolitik auch Gedanken der Macht entwickelt haben, ideologischen genauso wie egoistischen Ursprungs. Nach wie vor trieb ihn der Ehrgeiz. Die realen Verhältnisse, d.h. die marode Binnenwirtschaft, uneffektive Außenwirtschaft, Bürokratismus und die Schwächen der Planung waren für den Praktiker alltäglich sichtbar.

      Schalck wurde aus allen genannten Gründen also nicht - wie vielfach geschildert - frühzeitig aufgebaut, um diese wirtschaftlichen Defizite zu beheben. Er trat an, wie alle anderen Außenhändler auch, im Rahmen des Monopols Handel zu betreiben, mehr nicht. Immer noch leitete ihn die Ideologie. Zwar wurde ihm die Parteiarbeit zunehmend lästiger, doch er war gewillt, der einmal übernommenen Verantwortung gerecht zu werden. Parallel pflegte Schalck enge Kontakte zum MfS, zur HVA. Dies war ebenfalls keine besondere Variante Schalcks, sondern sozialistischer Alltag. Die meisten totalitären Systeme sahen und sehen in ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen grundsätzliche Gefahrenmomente. In der DDR galt dies in besonderem Maße, da der „kapitalistische Nachbar" gleicher Nationalität war. Alle, die der Führungselite der Partei angehörten und zudem noch grenzüberschreitenden Aufgaben nachgingen, wurden überwacht. Der Führungsoffizier des MfS gehörte ganz einfach dazu, zur Kontrolle und Begleitung gleichermaßen. Ein Staat, dessen Führung soziale Gleichheit mit Unmündigkeit und Unterdrückung verwechselte, musste so handeln. Schalck indes faszinierten nicht ausschließlich die nachrichtendienstlichen Perspektiven, ihn begeisterten die Möglichkeiten, unter konspirativen Umständen schneller, effektiver und unkomplizierter arbeiten zu können. Der Handel, den das MfS mit Männern wie Fruck, Wischnewski und Goldenberg betrieb, blieb zunächst auf die Finanzierung der HVA und anderer MfS-Abteilungen beschränkt. Erst 1966 sollte Schalck dieses System auf die Devisenerwirtschaftung für die Partei und später auch für die leeren Valutakassen des Staatshaushaltes ausweiten. Dem MfS und seinen führenden Repräsentanten blieb Schalck jedoch im besonderen Maße verbunden. „Kaderpolitische Bedenken bestehen nicht", so begann Major Bücker seine Stellungnahme vom 26. September 1966, als Schalck durch die MfS- Hauptabteilung Kader und Schulung für seine bevorstehenden Aufgaben als KoKo-Leiter überprüft worden war. 59 Die Einschätzung des Kandidaten hätte besser kaum ausfallen können. „Genosse Schalk-Golodkowski gehört zu den Leitungskräften und Funktionären, die sich aufgrund ihrer Intelligenz und Fähigkeiten, eines wissenschaftlichen Studiums sowie politischer Überzeugung und Entwicklung,