Matthias Rathmer

Alexander Schalck-Golodkowski


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und die Fähigkeit Schalcks, seine Handelspartner zu täuschen, hatten sich danach frühzeitig auch im Ministerium für Staatssicherheit herumgesprochen. 17

      Es ist letztlich zweifelhaft, ob der junge Schalck tatsächlich diesen Schmuggelgeschäften nachging. Einige Fakten jedenfalls sprechen für diese Darstellung. Schalck lebte in den Zeiten allgemeiner Not gut, sehr gut sogar, glaubt man den Berichten. 18 Er hatte es kurz nach dem Krieg zu Wohlstand in Form einer beheizten Wohnung, einem gebrauchten Auto, Kleidung und reichhaltigen Nahrungsmitteln gebracht. Er pflegte freundschaftliche Verhältnisse zu seinen Vorgesetzten, die ihn bevorzugt mit nötigen Arbeitsmaterialen ausstatteten, auf die seine Kollegen schon seit Tagen warteten, um ihre Arbeit erledigen zu können. Und er schwelgte mitunter in bescheidenem Luxus, dann nämlich, er in Nachtlokalen und Bars der Westzonen zu alkoholfreudigen Exzessen einlud, die für einige Begünstigte noch heute in bleibender Erinnerung sind. Schalck war begehrt, auch oder gerade bei dem anderen Geschlecht. Von mannhafter Statur und ausgestattet mit einer gesunden Portion Berliner Mutterwitzes, ließ es sich an seiner Seite aushalten. 19 Noch einmal: was von diesen Überlieferungen stimmt, was sich beispielsweise als Legende entpuppt, oder was Zeitzeugen aus der Jugendzeit eines der mächtigsten Männer der DDR an Anekdoten über vierzig Jahre glaubhaft überliefern wollen, ist nur schwerlich zu kontrollieren. Die Darstellungen gewinnen aber gerade deshalb an Bedeutung, weil sie selbst in Details so überraschend übereinstimmen, dass sie bei aller Subjektivität durchaus glaubhaft erscheinen. Auch die späteren Stationen Schalcks im nachrichtendienstlichen Gefüge des Staatsapparates, einer alles umfassenden Kaderpolitik, bedingten nahezu einen frühen Kontakt zum MfS, auch wenn Schalck zu diesem Zeitpunkt kein offiziell geführter MfS-Mitarbeiter war.

      Wie auch immer die Darstellungen letztlich korrekt zu bewerten sind, entzieht sich profunder Kenntnisse. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung jedenfalls betrieb auch der neu gegründete Ost-Staat den Schwarzhandel. Walter Ulbricht hatte diesen Weg der Deviseneinnahmen angeordnet, um in den westlichen Besatzungszonen so dringend benötigte Waren wie Stahl oder Textilien bezahlen zu können. Die „operative Abwicklung" dafür übernahm offiziell die Hauptabteilung „Handelspolitik" im Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, dahinter aber verbarg sich tatsächlich die Abteilung „U9" des ZK und das Ministerium für Staatssicherheit. 20 Chef der Berliner Verwaltung der Staatssicherheit war Hans Fruck, der spätere Stellvertreter von Markus Wolf. Unter Frucks Leitung und Führung sollte der junge Schalck seine einmalige Machtposition erreichen.

      Bisweilen wurde das Bild vermittelt, immer wieder auch von ihm selbst, Schalck sei ein Zögling der DDR-Gesellschaft gewesen, der es auf geradezu geniale Art und Weise verstand, der maroden Staatswirtschaft Devisen um jeden Preis zu verschaffen. Zweifelsfrei verfügte er dabei über eine große praktische Intelligenz, doch Schalck war kein Analytiker. Den Prozess seiner politischen Sozialisation hat er vermutlich gar nicht wahrgenommen. Längere Zeit muss er gerade in seinen Berliner Jugendjahren daran gedacht haben, den Ostteil Berlins zu verlassen und sein Glück beim späteren Klassenfeind zu versuchen. Jedenfalls gehörte er nicht zu den Männern der ersten Stunde, die, wie etwa die Ulbricht-Gruppe, das politische und wirtschaftliche System des sowjetischen Kommunismus installierten. 21 Schalck dachte praktisch, organisierte sein Leben eigenständig und selbstbewusst, eher das eigene Wohl vor Augen, wie viele andere auch.

       Weichenstellungen und Freundschaften

      F. C. Gerlach, Export-Import, Parkstraße 76-77, Ost-Berlin: so lauteten Name und Anschrift der wohl wichtigsten Schaltstelle der finanziellen Überlebensstrategie ehemaliger SED-Wirtschaftsfunktionäre. Die traditionsreiche Firma betrieb den Außenhandel schon vor dem IL Weltkrieg. Während andere Betriebe dieser Art in der DDR verstaatlicht wurden, blieb F. C. Gerlach als eines von wenigen ausgesuchten Außenhandelsunternehmen privat. Am 2. Juni 1991 brannten Teile des Bürogebäudes, und die Feuerwehr rückte auf das Firmengelände. Mehrere hundert Aktenordner wurden durch den Löscheinsatz gerettet. 22 Vier Wochen später wurde der Geschäftsführer, Michael Wischnewski, verhaftet. Die Ermittler fassten damit einen der geistigen Väter des KoKo-Imperiums, Schalcks Lehrmeister und langjährigen Vertrauten. Michael Wischnewski, alias Hersz Libermann, alias Heinrich Libermann, alias Dr. Gebhardt begann seine Karriere nach dem IL Weltkrieg. Seine Erfahrungen hatte er im kriminellen Milieu gesammelt und war, protegiert von Walter Ulbricht bis zu Erich Honecker, von Markus Wolf bis zu Erich Mielke, zu einer der schillerndsten Gestalten im deutsch-deutschen Filz aufgestiegen.

      Libermann wurde am 8. Mai 1928 im polnischen Szerzerzowie geboren. 14jährig wurde er von den Nationalsozialisten in ein Kinderlager deportiert, bis er schließlich, der Adoption für unwürdig erklärt, nach mehreren anderen KZ-Deportationen in Dachau gezwungenermaßen für die SS spionierte und so den Holocaust überlebte. Nach dem Krieg schloss er sich in Paris international operierenden Schmugglerbanden an, transportierte Medikamente, Gold, Falschgeld und Drogen durch ganz Europa. In kurzer Zeit wurde er zum Kopf einer kriminellen Organisation, die in Paris, Hamburg, Kopenhagen und schließlich auch in Ost-Berlin agierte. Libermann war der Mann fürs Grobe. Er ließ Alkohol, Lebensmittel und Kaffee über die Sektorengrenzen verschieben und organisierte Einbrüche. 23 Mit exklusiven Artikeln versorgte er bereits in den 50er Jahren Mitarbeiter der Staatssicherheit, des Politbüros und des Zentralkomitees. Libermann war begehrt, so begehrt, dass ihn ein Staatssicherheitskommando im Auftrag Frucks bei seiner Flucht aus dem Alt-Moabiter Untersuchungsgefängnis unterstützte. Da saß er seit dem 22. August 1949 ein, verurteilt zu dreieinhalb Jahren Gefängnis, weil er im Auftrag der DDR mit falschen Hundertmarkscheinen handelte. 24

      Hans Fruck, zwischenzeitlich zum Stellvertreter von Wolfs HVA aufgestiegen, warb Libermann an, nicht für den Nachrichtendienst, sondern um dringend benötigte Devisen aller Art zu organisieren: bevorzugt West-Mark, Schweizer Franken und US-Dollar. Zu diesem Zweck wurde schließlich F.C. Gerlach eingebunden, gewissermaßen als erste „betriebseigene" Firma der HVA. Schon nach wenigen Jahren setzte das Unternehmen Millionen um, handelte mit allem, was gewinnbringende Aussichten besaß, von Metallen über Lebensmittel, von Industriegütern bis hin zu Schuhen. Auf den europäischen Finanzmärkten galt F. C. Gerlach als seriös und solide, schon bald wurden Niederlassungen in Liechtenstein und der Schweiz gegründet. Libermann war in der DDR unantastbar geworden, er war persona grata, denn Hans Fruck und Markus Wolf bedienten sich vor allem Libermanns glänzender Verbindungen zum israelischen Geheimdienst Mossad, die Libermann seinem engsten Freund, Simon Goldenberg, verdankte.

      Die allgemeine nationalsozialistische Hetzjagd auf die jüdische Bevölkerung war immer erbarmungsloser geworden, die meisten Juden standen dem Terror hilflos gegenüber. Nur einigen wenigen Verfolgten gelang es, zudem vielfach gezwungen, sich soweit mit dem NS-Regime so zu arrangieren, dass die akute Lebensgefahr vorerst gebannt war. Zu solchen Männern dürfte wie Libermann auch Simon Goldenberg gezählt haben, auch wenn er den Nationalsozialisten seine Dienste freiwillig angeboten hatte. 1946 hatten sich beide in Paris kennen gelernt, verschoben gemeinsam Waren, tauschten Informationen. Libermann verkaufte in den Osten, nach Ost-Berlin, Goldenberg in den Westen.

      Goldenberg kam 1976 in die Bundesrepublik. Er galt außerdem als Kontaktperson gleich mehrerer ost-europäischer Geheimdienste. 25 In einem Dossier des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz heißt es über ihn: „Wie vom Bundesamt für Verfassungsschutz und einem befreundeten Dienst mitgeteilt wurde, kam Simon Goldenberg als staatenloser türkischer Herkunft im Jahre 1921 nach Frankreich. Dort befasste er sich später mit diversen gewinnträchtigen Handelsgeschäften. Nach Unterschlagungen und Scheckbetrügereien flüchtete er 1951 aus Frankreich. Ab 1951 hielt sich Simon Goldenberg kurze Zeit in West-Berlin auf. Im Dezember 1953 zog er aus Ost-Berlin in West-Berlin erneut zu und wurde „(...) 1954 nach unbekannt verzogen abgemeldet." 26

      Am 1. Mai 1976 traf Goldenberg im bayerischen Söchtenau ein, im Gästehaus von Josef März. Die Gebrüder März, die seit Anfang der 60er Jahre vor allem Rinder und andere Fleischprodukte aus der DDR zu Niedrigpreisen bezogen, leisteten logistische Aufbauhilfen. 27 So mietete Goldenberg im Haus der März KG Büroräume an und gründete die Firma „Großhandel -Export/Import sowie Industrievertretungen". Goldenberg hatte den bayerischen Fleischgroßhandel ins DDR-Geschäft gebracht, und mit dem