Matthias Rathmer

Alexander Schalck-Golodkowski


Скачать книгу

seit langer Zeit einen traditionell hohen Industriestandard aufwiesen. 39

      Als 1949 schließlich die DDR gegründet wurde und die zentrale Planwirtschaft in die Verfassung verankert wurde, war auch der Außenhandel der DDR zum staatlichen Monopol geworden. Der erste Außenhandelsminister, Heinrich Rau, begründete mit bekannt leeren Worthülsen führender SED-Funktionäre, warum dieses Prinzip in die Staats- und Wirtschaftsordnung der DDR aufgenommen wurde: „Das Vorhandensein des staatlichen Außenhandelsmonopols ist für jeden sozialistischen Staat eine politische und ökonomische Notwendigkeit, die sich daraus ergibt, dass alle außenwirtschaftlichen Operationen unseres (...) Staates (...) den Interessen, der Festigung und Stärkung unserer Arbeiter- und Bauernmacht dienen müssen. Nur auf der Grundlage des staatlichen Außenhandelsmonopols können die außenwirtschaftlichen Beziehungen entsprechend den Erfordernissen unseres Staates geplant, gelenkt, kontrolliert und mit dem höchsten volkswirtschaftlichen Nutzeffekt geleitet und durchgeführt werden." 40

      Die ordnungspolitischen Institutionen zur Durchsetzung dieser monopolistischen Ansprüche waren rasch installiert: das „Ministerium für Außenhandel und innerdeutschen Handel (MAI)" wurde 1949 gegründet, 1967 in „Ministerium für Außenwirtschaft" umbenannt, um dann 1973 wieder „Ministerium für Außenhandel" zu heißen. Als handelspolitische Instrumente des Ministeriums wurden im ganzen Land sog. „Außenhandelsbetriebe" (AHB) gegründet, die ihren Hauptsitz in Ost-Berlin hatten. 41 Alle Produktionsmittel waren „gesamtgesellschaftliches Volkseigentum", das von der staatlichen Plankommission (SPK) kontrolliert wurde.

      Zusammen mit dem Ministerium für Außenhandel und innerdeutschen Handel gab die SPK den Außenhandelsbetrieben Zielprogramme vor, deren verlässliche Erfüllung Voraussetzung für weitere Aufträge war. In den 60er Jahren erfuhr das Wirtschaftssystem zwar einige Veränderungen, doch an den strukturell bedingten ökonomischen Defiziten sozialistischer Planwirtschaften änderte sich, wie zu sehen sein wird, wenig. 42 So wurde z.B. der Außenhandel 1963 durch die Reform des „Neuen Ökonomischen Systems (NÖS)" grundlegend neubewertet. 43 Bis dahin kamen den Importen die bloße Funktion zu, nur das einzuführen, was die eigenen Betriebe nicht herstellen konnten. Die Exporte hatten die Aufgabe, diese Importe zu finanzieren. So war der Außenhandel streng von der Binnenwirtschaft getrennt. Der Handel wurde ausschließlich durch das MAI abgewickelt, das die Waren durch die AHB auf den Märkten ein- oder verkaufte. In- und ausländische Preisrelationen aber wichen z.T. so erheblich voneinander ab, dass die entstandenen Verluste aus dem Staatshaushalt getragen werden mussten. Mit dem NÖS, im DDR-Jargon als „wissenschaftlich-technische Revolution" ausgerufen, übernahmen die Kombinate und VEB selbständig den Import und Export ihrer Waren. Dazu wurden Kommissionsverträge zwischen dem zuständigen AHB und den Produktionsbetrieben abgeschlossen. Der AHB verkaufte zwar immer noch die Waren, aber auf Rechnung der Betriebe. Die neuen Handels- und Organisationsformen wurden im Laufe der Jahre in verschiedene Wirtschaftsbereiche eingeführt. Einige exportstarke Betriebe waren dadurch sogar in der Lage, ihre Waren ohne Mitwirkung der AHB auf den Weltmärkten zu veräußern, so z.B. die WB Schiffbau, das Uhrenkombinat Ruhla, das Kombinat Carl Zeiss Jena, Robotron und das Strumpfkombinat ESDA in Thalheim. 44

      Der Außenhandel war seit drei Jahren staatliches Monopol, als der 20jährige Schalck von Hans Fruck im Sommer 1952 in den Außenhandelsbetrieb „Elektrotechnik" delegiert wurde. Der Betrieb hatte darüber zu entscheiden, wie viele Radiogeräte in den Wirtschaftsraum des RGW exportiert werden sollten. Generaldirektor dieses Betriebes war Fritz Koch, einer der zuverlässigsten Agenten Frucks. Glaubt man den Aussagen ehemaliger Mitarbeiter im MAI, so wurde der 1910 in Dresden geborene Koch von Fruck erpresst. Koch hatte demnach seine Mitgliedschaft in der NSDAP verschwiegen, in die er 1940 eingetreten war. 43 Schalck sollte von Koch lernen. Fruck aber wollte vor allem wissen, ob sein Lehrling auf Dauer den westlichen Einflüssen würde widerstehen können. können. Der Ost-West-Konflikt verschärfte sich in dieser Phase zunehmend. Frucks Agentenringe spionierten im Westen, gegnerische Geheimdienste infiltrierten die eigenen Ministerien. Im Oktober enttarnte das Fruck-Team den Abteilungsleiter „Export" im Außenhandelsministerium, Franz Krause, als Agent des britischen Geheimdienstes. Das hochsensible, weil technische Standards offenbarende Ressort musste neu besetzt werden, und Fruck bestimmte Koch, auf dessen Immunität dem Klassenfeind gegenüber er sich verlassen konnte. Fruck verfügte ebenso, dem jungen Schalck eine Aufgabe im Außenhandelsministerium anzuvertrauen.

      Die Hauptabteilung „Export" wickelte den Maschinenbau ab. Schalck erkannte rasch, dass der Handel vornehmlich ein logistisches Problem war und sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Der bürokratische Aufwand war enorm, denn Preisverhandlungen, Kalkulationen, Lieferspezifikationen und Planzahlen mussten über die hauseigene „Abteilung B" stets verschlüsselt und in versiegelten Umschlägen übermittelt werden. Die Benutzung eines Telefons war grundsätzlich verboten. Ähnlich hinderlich waren die Bedingungen in der „Abteilung Geschäftsreisen". Auf vier Karteikarten hatte der Antragsteller aufzulisten, mit wem, wo und warum er geschäftlich kontaktierte. Eine Ausfertigung blieb im Ministerium, je eine erhielten das Außen- und Innenministerium. Die vierte schließlich gelangte dorthin, wo auch entschieden wurde, ob der Antragsteller berechtigt ist, ins feindliche Ausland zu reisen: sie wurde im Ministerium für Staatssicherheit archiviert. Gelehrig ordnete sich Schalck diesen Bedingungen unter. Er fertigte Dossiers über Mitarbeiter seiner Abteilung an, informierte Fruck detailliert über alles, was er sah und hörte. Von Fruck gefördert, avancierte Schalck so in den Reisekader. Er sollte für die Volkswirtschaft Umsätze erzielen und Kontakte knüpfen, die sich zur Spionage eignen könnten.

      Auf der Internationalen Messe vom 30. März bis 8. April 1954 in Utrecht vertrat Schalck zum ersten Mal in offizieller Mission den Außenhandel der DDR. Er kam mit namhaften Beauftragten und Managern der niederländischen Wirtschaft zusammen, u.a. mit der Amsterdamer Handelscentrale, mit der Firma Nehandor aus Sassenheim und dem Chef der Prodag in Den Haag. Es sollten die ersten Unternehmen sein, die später in anderen Gesellschafterformen als SED-Briefkastenfirmen die Anteile einiger KoKo-Firmen im westlichen Ausland hielten. Schalck war begeistert, er genoss seine neue Aufgabe. Ihn faszinierte der Umgang mit den ideologischen Gegnern der DDR Fern ab von der Tristes in seinem Ministerium offenbarte sich in ihm durch die ungezwungene Atmosphäre auch eine lebenslustige Seite. Es wurde fein gegessen, man hob die Gläser zu kameradschaftlichen Trinksprüchen und gab sich gewandt. Schalck besaß fortan eine wichtige Funktion. Als einer von wenigen Protagonisten vertrat er die DDR im Handel mit westlichen Industrieländern. Es beginnt damit die Zeit, in der Schalck auch intensiv politisch zu denken bemüht ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er fast ausschließlich die eigenen volkswirtschaftlichen Engpässe vor Augen.

      Fruck, der Schalcks Berichte las, seinen Schützling aber auch mehrfach privat aufsuchte, um sich berichten zu lassen, registrierte mit größter Genugtuung, dass Schalck die Gegensätze zwischen der ärmlichen DDR und dem protzenden Westen annahm. Genau dieser Kontrast zog Schalck an, berauschte ihn nahezu in seinen Berichten. Er hielt eine Symbiose aus den guten Errungenschaften seiner Partei mit den materialistischen Prinzipen des Westens für möglich. Fruck missfiel diese von vielen SED-Ideologen als „Diversion" ausgelegte Wertung keinesfalls. Im behagte, dass Schalck politisch überzeugt war, ihn erfreute, dass Schalck scheinbar bis zur Selbstaufgabe die Interessen der DDR vertrat, ihm gefiel, dass Schalck präzise Gesprächsnotizen über seine westlichen Bekanntschaften ablieferte und dabei den allergrößten Wert auf scheinbare Nebensächlichkeiten legte: Anzahl der Kinder, Name der Ehefrau, beruflicher Werdegang usw. 46 Durch dieses nachrichtendienstliche Potential empfahl sich der junge Schalck. Nur fünf Wochen nach seiner ersten Auslandsreise vertrat er die Interessen seines Landes erneut, auf der Pariser Messe, vom 22. bis zum 29. Mai 1954.

      Frankreich hatte schon früh eine nicht ganz uneigennützige Affinität zur DDR entwickelt, denn der neuen Bundesrepublik misstrauten die Franzosen, noch. Das französische Interesse am sozialistischen Deutschland bezog sich vor allem die Handelsbeziehungen. Der westdeutsche Nachbar exportierte Obst, Kaffee, Kakao, Wein, Wolle, Edelhölzer und Walzwerkzeuge. Ost-Berlin lieferte Pressglas, Bleikristall und Molkereiausrüstungen. 1954 erreichte der Handel zwischen beiden Nationen einen stattlichen Umfang von über 8 Milliarden US-Dollar. 47 Die Banque Commercial pour L'Europe, in den DDR-Fachkreisen bereits damals schon ehrfurchtsvoll „unsere Eurobank" genannt, war als einziges