Claudia Karsunke

Jonathans Erbe – Expedition in die Vergangenheit


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kann es gar nicht glauben, dass er bis hierher gekommen ist!“ Annette mischte sich erneut ein. „Euch beide darf man offensichtlich nie aus den Augen lassen. Oder?“ „Ja. Es sieht ganz so aus.“ Dianne lächelte sie an. „Nun erzählt endlich, was da drinnen geschehen ist?“ Richie glühte vor Enthusiasmus. Er konnte jetzt einfach nicht länger auf die Details warten. Die Geschichte langweilte Annette inzwischen so sehr, dass sie beschloss, Richie mit seinem Lieblingsthema den beiden zu überlassen. „Okay, ich sehe mich noch ein bisschen in der Gegend um.“ Als sie keine Antwort bekam, spazierte sie allein auf die Schlucht zu.

      Es war inzwischen dunkel und das Feuer der Ort, an dem sie sich am Abend alle versammelten, um über die Ereignisse des fast vergangenen Tages zu reden oder über das, was sie für den nächsten Tag planten. Bis auf Jim und Annette saß das Team um die Feuerstelle herum.

       Dianne hatte sich an Paddy angelehnt und beobachtete die Flammen, während Frank gerade ein dickes Holzstück tiefer in die Glut hineinschob. Bill holte sich eine der letzten kalten Dosen aus der Kühlbox, trank sein Bier und beteiligte sich nicht an ihrem Gespräch. Er hatte sich ganz in seinen Unmut zurückgezogen und dachte offensichtlich nach. Richie und Hans hatten wieder ihre Karten vor sich ausgebreitet, ohne sie jedoch zu beachten.

       Paddy richtete sich auf. Sein Kopf schmerzte noch immer, wenn er sich bewegte. Aber das schien wirklich nicht das Schlimmste zu sein, das ihn quälte. Es waren die Selbstzweifel, die mit wachsender Intensität an ihm nagten.

       „Ich hätte es verhindern können, wenn ich mich ihm nur konsequenter in den Weg gestellt hätte!“

       Dianne drehte sich zu ihm um und protestierte zum wiederholten Mal vehement gegen diese Art von Selbstzerfleischung.

       „Aber Paddy, wir waren so überrascht über das, was wir sahen. Und außerdem hat er dich regelrecht über den Haufen geritten. Hast du das denn vergessen?“

       „Warum sollte er so etwas tun? Er war ein begnadeter Naturwissenschaftler. Etwas anderes hat ihn nie interessiert.“ Hans wollte nicht wahrhaben, was die beiden über seinen Ururgroßonkel behaupteten. „Und er war auch kein gemeiner Strauchdieb.“

       „Aber wir haben es mit eigenen Augen gesehen, wie er diese Edelsteine aus dem Fels herausgebrochen hat.“ Auch diesmal blieb die Zeugin des Geschehens bei ihrer Version und versuchte die Aussagen glaubhaft zusammenzubringen. Aber es gelang ihr nicht wirklich. Das, was Hans über seinen Verwandten sagte, passte so gar nicht zu dem, was sie beide in der Schlucht und in diesem Kessel erlebt hatten. Eindeutig war es, dass dieses Tal der Träume entweiht wurde und dass die Aborigines ohne ihre Träume schon über viele Generationen hinweg keine Chance hatten, sich in der Gegenwart der Weißen zu behaupten.

       „Wir müssen unbedingt wissen, wo er steckt. Vielleicht finden wir so unsere Träume wieder...“ Paddy richtete sich nur kurz auf und sank dann erneut in sich zusammen. Seine Augen starrten ausdruckslos in die Flammen. Die Schmach, die er für sein gesamtes Volk durch sein vermeintliches Versager erlitten zu haben glaubte, nagte nach dieser letzten fatalen Begegnung wie ein unsichtbarer Zahn an ihm.

       „Seit dem Tag, an dem ich die Kramer’sche Expedition am Springhill gesehen habe, versuche ich die Lösung unseres Auftrags zu finden, Paddy. Und ich werde es weiterhin versuchen.“ Richie war sehr bemüht, den Ranger in seiner Niedergeschlagenheit aufzufangen. Bisher war es ihm nicht gelungen. Niemandem. Sie hatten inzwischen schon drei Beweise für Kramers Existenz. Und sie wussten nun definitiv, dass er auch hier in diesem Tal war. „Wenn dir das auch nicht gefällt, was geschehen ist: Du kannst es nicht ändern. Niemand kann es ungeschehen machen. Du musst es leider so akzeptieren und einfach noch Geduld haben. Ich bin mir ziemlich sicher, wir finden ihn. Wir haben die besten Voraussetzungen dazu. Wir sind hier auf der richtigen Spur.“

       Auf Richie machte Paddy seit der Begegnung im Diamond Valley den Eindruck eines wandelnden Schattenwesens. Wenn es so war, wie die beiden glaubhaft geschildert hatten, dann traf den Aborigine keinerlei Schuld an dem Frevel, den ein anderer zweifellos begangen hatte. Und dieser andere war eindeutig ein Weißer gewesen. Aber war es tatsächlich der gesuchte Kramer? Was bislang nur im Reich ihrer eigenen Vermutungen kursierte, schien an diesem Abend, an diesem Ort und in dieser Runde zur Gewissheit geworden zu sein. Paddy hob den Kopf.

       „Mein Volk braucht unbedingt seine Träume zurück. So kraftlos können wir nicht mehr leben.“

       Bill stand genervt auf und klopfte dem Aborigine im Vorbeigehen auf die Schulter.

       „Na dann, viel Glück, Kumpel. Ich gehe jetzt schlafen. Wenn ihr mich braucht, sagt Bescheid.“

       Richie sah zu ihm auf.

       „Okay, Gute Nacht.“

       Auch Frank erhob sich, schob noch das bereits ausgebrannte Ende eines halbverkohlten Astes bis zur Mitte des Feuers und verabschiedete sich ebenfalls.

       „Mich entschuldigt ihr bitte auch. Ich will noch mal telefonieren.“

       „Okay, dann machen wir an dieser Stelle Schluss für heute. Gute Nacht.“ Richie erhob sich und reckte seine steifen Glieder. „Ich werde mir noch kurz die Beine vertreten.“ Er schaute sich um. „Sag mal Hans, wo sind eigentlich Annette und Jim abgeblieben?“

       Hans saß noch am Feuer bei Paddy und Dianne. Er hatte sehr konzentriert und fast ungläubig zugehört. Und es widerstrebte ihm, den Worten der beiden zu glauben. Nun schaute er sich einigermaßen beunruhigt um.

       „Keine Ahnung, Richie.“ Er hatte sie nach dem Essen nicht mehr gesehen.

       „Sie ist vermutlich bei Jim.“ Dianne erinnerte sich, dass Annette noch gar nicht das Poloshirt bei ihr abgeholt hatte. „Vielleicht solltest du doch mal nachsehen, wo sie steckt, Hans.“

       „Annette ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen.“ Diese Frau ging ihm bisweilen tierisch auf die Nerven, seitdem sie unterwegs waren. Er hätte sie niemals mitbringen dürfen. Wo sie erschien, wirbelte sie überall in kurzer Zeit alles durcheinander. Hans merkte plötzlich, wie wütend er auf sie war.

      Nebeneinander spazierten Annette und Jim den schmalen, unbeleuchteten und sandigen Weg entlang. Um sie herum zirpten noch immer vereinzelt Grillen, während sich über ihnen beinahe grenzenlos der sternklare Nachthimmel wölbte.

       „Meinst du wirklich, wir finden diesen Kramer? Irgendwie scheint mir das alles ein bisschen verrückt, was wir hier machen.“

       Jim hatte seinen Arm um Annettes Schultern gelegt und hörte ihr aufmerksam zu.

       „Unsere Ausrüstung ist die beste, die du dir überhaupt vorstellen kannst.“

       „Also ich glaube das erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe, Jimmy.“

       „Wenn du mich nach meiner ganz ehrlichen Meinung fragst, dann sind wir leider noch ein ganzes Stück von unserem Ziel entfernt.“ Er lächelte sie an. „Du musst also noch eine Weile durchhalten.“

       „Ich werde mein Bestes geben.“ Annette war bereit, auf dieser seltsamen Reise noch weiter mitzuspielen. Schließlich hatte sie ihre Teilnahme an dieser Expedition selbst forciert. „Wenn wir nur öfter eine Waschmaschine für unsere Klamotten ...“

       „Sag mal, kann das sein, dass du an dieser Stelle...“ mit einer eindeutigen, kreisenden Handbewegung an seiner Stirn unterstrich der blonde Australier seine Frage, „... eine kleine Macke hast?“

       „Was unterstellst du mir, Jimmy?“ Die große Einschränkung ihrer kreativen Möglichkeiten machte Annette das Leben auf dieser Reise zugegebenermaßen ziemlich zu schaffen. Dennoch verteidigte sie sich gegen diese Idee mehr als entrüstet.

       „Ach, das war nur so ein Gedanke... Was hältst du davon, wenn wir uns hier ein wenig niederlassen?“

       Bevor Annette ihm eine Antwort gab, setzte er sich auf die Erde und zog sie zu sich hinunter.

       „Wir könnten gemeinsam die Sterne beobachten und den Grillen lauschen.“

       Widerwillig ließ sie sich neben ihm nieder.

       „Aber nur für einen Moment. Die anderen vermissen uns bestimmt schon.“

       Jim lehnte an einem Felsen und blickte in den Himmel.