Claudia Karsunke

Jonathans Erbe – Expedition in die Vergangenheit


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Und auch seine gelehrige Schülerin gab sich ein weiteres Mal dem Gefühl ihrer Liebe hin.

      Beinahe unmerklich mischte sich in die friedliche Atmosphäre des Tales ein Schwirren. Der Ranger löste sich von Dianne und lauschte aufmerksam. Das Geräusch schwoll an und füllte die Luft immer intensiver. Paddy richtete sich auf und schaute sich um. Ihre Fahrzeuge mit den aufgeschlagenen Dachzelten waren von dieser Stelle aus nicht zu sehen. Die vielen Biegungen der engen Schlucht versperrten ihm den Blick zurück. Stattdessen entdeckte Paddy einen Reiter, der wie aus dem Nichts aus dieser Richtung auftauchte und auf sie zukam. Neben ihm ging ein Aborigine. Ehrfurchtsvoll und ängstlich verlangsamte er seine Schritte, als er den drohend auf sie herabschauenden felsigen Wächter des Tals entdeckte. Der Weiße auf dem Pferd hielt an und schaute interessiert ebenfalls zu dem markant geformten Stein hinauf.

       „Dieser Felsen ist eine weithin sichtbare Landmarke. Ich werde ihn in meinem Skizzenbuch festhalten.“ Der Mann zog ein Heft und einen Stift aus der Satteltasche und begann, ohne zu zögern, die Gesteinsformation zu skizzieren. Als er damit fertig war, trieb er sein Pferd weiter vorwärts. „Komm, Billy, das möchte ich mir mal näher anschauen.“

       Der Schwarze zögerte und folgte ihm dann doch ein paar Schritte, um erneut zu verharren. Keine Sekunde lang hatte er den Blick von der Gestalt abgewendet.

       „Halt, Sir! Wir dürfen dieses Gebiet auf keinen Fall betreten.“

       „Und warum nicht?“

       Der Schwarze deutete angstvoll nach oben.

       „Der Wächter des Tals verbietet es uns. Und hören Sie nicht das Schwirrholz? Es ist ein verbotener Ort.“ Er griff beherzt nach dem Zügel am Maul des Pferdes und wollte den Reiter zum Umkehren bewegen.

       Der Weiße schüttelte verständnislos den Kopf und hielt offensichtlich nichts von diesem Argument.

       „Aber, das ist nur eine geologische Formation und nichts Außergewöhnliches. Ich will mich hier einfach mal umschauen, verstehst du? Geologisch erscheint mir diese Gegend höchst interessant.“

       „Aber wir müssen hier umkehren, Sir! Es ist zu gefährlich. Wir werden sterben... “

       Der Reiter beugte sich ein wenig hinab.

       „Wovor hast du solche Angst, Billy?“

       „Dies ist der Eingang zu einem sehr heiligen Ort. Wer ihn betritt, muss sterben...“ Billy flehte ihn fast an und zerrte erneut am Zügel. Das Pferd trat unsicher auf der Stelle.

       Der Weiße schüttelte mitleidig den Kopf über diese Panik, die seinen schwarzen Begleiter ergriffen hatte, und beruhigte gleichzeitig das Tier.

       „Ho... Das ist doch nur wieder eins von euren Märchen und wissenschaftlich durch nichts bewiesen.“

       „Aber Sir...“ Der Aborigine versuchte es ein letztes Mal, das Pferd mitsamt seinem Reiter zurückzuhalten. Es reagierte nur mit einem ungehaltenen Wiehern. Noch kämpfte Billy offensichtlich darum, in seiner Verzweiflung ernst genommen zu werden.

       „Wer diesen Ort ohne Erlaubnis der Ahnengeister betritt, muss sterben, Sir!“

       „Wenn deine Angst vor euren eigenen bösen Geistern so groß ist, dann geh zurück ins Lager und sage Bescheid, dass ich die Gegend hier noch bis Sonnenuntergang untersuchen werde. Ich bin vor Einbruch der Dunkelheit zurück im Camp.“

       „Mister Kramer, Sir... bitte tun sie das nicht!“

       „Ich lasse mich einfach nicht beeindrucken von eurem Zauber, verstehst du? Ich bin Naturwissenschaftler und glaube nur an das, was ich selbst sehe. Und in diesem Moment sehe ich nur diese enge Schlucht und diesen Felsen da oben. Ich beabsichtige durchaus nicht, diesen Ort, den du als heilig bezeichnest, zu entehren. Ich bin Christ und werde lediglich meine geologisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Gegebenheiten ziehen.“ Verärgert über diese Art der Verzögerung, gab er seinem Pferd die Sporen. Das Tier schreckte auf und setzte sich mit einem Galoppsprung vorwärts in Bewegung.

       Billy ließ kraftlos die Zügel fahren und schaute seinem Herrn von Panik ergriffen hinterher.

       „Aber Sie werden uns alle in Gefahr bringen, Sir...! Das ist das Tal unserer Träume.“

       Der Weiße trieb jetzt sein Pferd in die Schlucht hinein, die sich vor ihm immer mehr verengte. Er konnte die letzten, verzweifelten Worte des Schwarzen offensichtlich nicht mehr hören. Das Schwirren füllte die Luft immer stärker aus und verschluckte beinahe seine Worte.

       Paddy und Dianne hatten stumm die Szene beobachtet, die sich in einiger Entfernung von ihnen abspielte. Sie schauten sich ungläubig an.

       „Träume ich oder passiert das da gerade wirklich? Vielleicht kneifst du mich mal!“

       Der Aborigine konnte sich auch nicht erklären, was vor sich ging, aber er hörte weiterhin deutlich das Schwirrholz, dessen Klang immer noch eindringlicher zu werden schien.

       „Hörst du das auch, Honey?“

       Dianne nickte irritiert. Was war hier los? Träumten sie gerade oder war das alles real? Sie sah wortlos zu, als Paddy sich neben ihr wie selbstverständlich erhob und den Reiter, nachdem der den Felsenwächter schon passiert hatte, von seiner erhöhten Position aus ansprach. So laut, dass er nicht zu überhören war.

       „Stopp! Bleiben Sie stehen! Sie dürfen auf keinen Fall weiter in diese Schlucht hineinreiten!“

       Der Weiße drehte seinen Kopf irritiert in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Als er den Schwarzen endlich auf seinem Felsvorsprung entdeckte, rief er zu ihm hinauf.

       „Was willst du von mir?“

       „Das Tal der Träume ist uns Aborigines heilig, Sir. Sie dürfen es auf keinen Fall betreten. Wenn Sie nicht auf der Stelle umkehren, werden Sie schon bald ein toter Mann sein!“

       Das Pferd tänzelte auf der Stelle. Ärgerlich antwortete Kramer.

       „Willst du mich jetzt etwa auch von meinen wissenschaftlichen Untersuchungen abhalten?“

       Paddy schüttelte den Kopf über die Hybris dieses Mannes.

       „Sind die tatsächlich so wichtig, dass Sie das Tal unserer Träume dafür betreten und entweihen müssen? Dieser Ort ist für jeden tabu, der nicht eingeweiht wurde. Egal, ob schwarz oder weiß.“

       Kramer winkte ab.

       „Das entspringt doch nur eurer Phantasie.“

       In Paddy stieg eine unbändige Wut hoch.

       „Ich warne Sie jetzt zum letzten Mal, Sir. Kehren Sie um! Reiten Sie zurück zu Ihren Leuten, und reiten Sie nicht weiter da hinein!“

       Der scheinbar Unbeirrbare trieb sein Pferd mit einem unsanften Tritt in die Flanke vorwärts.

       „Auch du wirst mich nicht aufhalten, Aborigine!“

       Der Ranger stieg sehr flink die Felsen in die Schlucht hinunter. An der engsten Passage, die den Reiter noch vom Tal ihrer Träume trennte, stellte er sich dem Weißen in den Weg und griff überraschend in die Zügel. Das Pferd scheute und bäumte sich augenblicklich auf.

       „Lass sofort los!“

       Sobald das Tier stillstand, griff der Mann nach seinem Gewehr und wollte es aus dem Halfter herausziehen. Aber Paddy reagierte blitzschnell und verhinderte auch dies.

       „Sie werden sterben, noch bevor Sie die Küste erreichen und die Ergebnisse Ihrer Reise der Welt mitteilen können, Sir.“

       Der Weiße schüttelte verächtlich lachend den Kopf.

       „Mit dieser Drohung wirst auch du mich nicht von meinem Vorhaben abhalten können!“ „Kehren Sie um, Sir! Noch ist es möglich!“ Der Aborigine hielt den Zügel fest mit seiner Rechten. „Wer bist du, dass du es wagst, mir derart zu drohen?“ „Mein Name ist Paddy Crocodile vom Stamm der Yalmangully. Als Ranger des...“ „Und wenn schon.“ Der Reiter trat seinem Pferd verärgert in die Seiten. Es versuchte, dem Druck nachzugeben, aber Paddy versperrte ihm auch jetzt noch den Weg. Er machte einen weiteren Versuch, diesen Weißen zur Vernunft zu bringen. „Ich verspreche Ihnen: Ihr Name wird im Munde aller Aborigines