Claudia Karsunke

Jonathans Erbe – Expedition in die Vergangenheit


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benötigt. Die Vorratshaltung tat ein Übriges. Bisher sah ich mich dennoch in meinem Vorhaben bestärkt, und es blieb abzuwarten, welchen Weg meine Expedition vorfinden würde auf ihrem weiteren Vordringen bis zum Indischen Ozean.

       Mein Ziel war der Swan River. Ich könnte nach eigener Einschätzung wohl noch zwei Jahre benötigen, um dorthin zu gelangen. Was auch immer geschah: ich würde meinen Traum wahrmachen: Und dieser Traum war und blieb die Durchquerung des Kontinents von Osten nach Westen.

      8. Tag

      14° 27’ 38.80’’ S / 132° 15’53.52’’ O – Katherine, Aboriginal Community Health Forum Diannes und Paddys gemeinsam erlebte Geschichte löste eine neue Diskussion bei ihren Zuhörern aus. Nun gab es schon zwei unerwartete Zusammentreffen mit Kramers Expedition, wenn es sich ganz offensichtlich auch um verschiedene Reisen handelte. Diese neue Ausgangslage verlieh dem verantwortlichen Leiter ihrer Suche wieder das Selbstvertrauen, die weiteren Planungen für die nächsten Tage festzulegen. Und die Orte aufzusuchen, die er gemeinsam mit Hans anhand der alten Aufzeichnungen ausgewählt hatte, weil sie ihm den größten Erfolg versprachen. Ihre eigenartige Jagdbegegnung im Nature Park am Tag zuvor gab für die Ethnologin aus Newcastle und den Ranger aus den Kimberleys den Anlass, weiter nördlich nach Spuren von Kramers Expedition zu fahnden. Paddy kannte einige der Aborigines in der Umgebung von Katherine. Sie gehörten fast alle zur Stammesgruppe der Jawoyn. Also regten die beiden einen Umweg an, der das Team höchstens einen halben Tag kosten würde. Sie verließen Mataranka früh und fuhren nach Katherine. Inzwischen hielten sie sich schon eine gute Stunde im Ort auf. Richie Schwarz hoffte bislang jedoch vergeblich, in den ansässigen Communities ein paar Aborigines zu finden, die ihm brauchbare Hinweise über Kramers Verschwinden geben konnten. Oder wollten. Hier schlug der Crew stattdessen eine weithin spürbare Feindseligkeit schon bei der Erwähnung des Namens entgegen. Die Skepsis und das Misstrauen gegenüber den Weißen waren in jedem Winkel der Stadt zu spüren.

      Sobald sich Hans und Richie dem Gesundheitszentrum zu Fuß näherten, zerstreuten sich wie auf Kommando alle anwesenden Aborigines und verschwanden in ihren eigenen Behausungen. Dort sah man sie dann in Gruppen sitzend lautstark lamentieren und die Weißen aus sicherem Abstand beobachtend. Für Hans war es ein Schock, diese Ablehnung so hautnah zu erleben.

       Ihm kam es vor, als fasste man hier in Watte, als hätte sich im Verständnis zwischen den Kulturen von heute und zu Anfang der Besiedelung des Kontinents nicht viel verändert, als sei an diesem Ort der Umgang miteinander von altem Hass und den Vorbehalten der Ureinwohner gegen die Weißen, alle Weißen geprägt. Hans hatte davon gelesen, aber hier fühlte sich dieser Konflikt doch wieder ganz anders an. Zweifellos rührten die alten Ressentiments von der Rücksichtslosigkeit der britischen Eindringlinge her, die schon damals alles für sich beanspruchten und nie auch nur ansatzweise gefragt hatten, ob sie willkommen waren. Im Gegenteil. Sie ließen den Aborigines immer weniger Möglichkeiten, sich von ihrem eigenen Boden zu ernähren. Als Nomaden waren sie es gewohnt, im Land umher zu ziehen und zu wissen, wo sie wann etwas Essbares für sich und die Familien fanden. Ein Lebensrhythmus, der sich über Tausende von Jahren manifestiert hatte, wurde fast über Nacht in Frage gestellt, als die ersten Weißen in Sydney ihren Fuß auf diesen Kontinent setzten und von da an Stück für Stück die fruchtbarsten Territorien in Besitz nahmen.

       Die hier und jetzt unübersehbare Verwahrlosung und die vielen Gescheiterten im Straßenbild von Katherine lieferten plötzlich auch für den Ururgroßneffen des Entdeckungsreisenden einen eindeutigen Beweis für die Entwurzelung der Aborigines aller verlorenen Generationen der letzten beiden Jahrhunderte. Aber war wirklich sein Vorfahr der einzig Schuldige an diesem alten Verbrechen, das im neunzehnten Jahrhundert keineswegs als Verbrechen galt, sondern ein Indiz für die Macht des Stärkeren war? Die Erwähnung des Namens Kramer löste hier jedenfalls überall schroffe Ablehnung aus.

       „Also, ich verstehe das einfach nicht.“ Dennoch gab Hans nicht so schnell auf, selbst wenn er bisher noch niemanden gefunden hatte, der bereit war, sich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen. Entweder begannen die Männer ihn zu beschimpfen, sobald er sie ansprach oder sie ließen ihn einfach stehen und suchten sich einen anderen Platz, an dem sie ungestört blieben. Das ging nun schon eine ganze Weile so. Deshalb war Hans sehr erstaunt, als eine Aborigine mit einem zweifellos weißen Elternanteil auf ihn zukam und sich betont kämpferisch zeigte.

       „Kramer? Alle Leute hier in Katherine hassen ihn für das, was er den Aborigines angetan hat.“ Mit ihrem nicht enden wollenden Redeschwall ließ Camilla keinen Zweifel daran, dass man in Kramer denjenigen sah, mit dem das Elend der Vertreibung im Nordterritorium begann. Durch diese Frau erfuhr das Such-Team sehr drastisch, was man hier im Norden von einem Mann hielt, durch dessen Erschließungen von Aboriginalland für die weißen Siedler und deren Viehherden sehr viel Leid und Willkür über die Urbevölkerung gekommen war.

      Todd, den Paddy persönlich kannte, und der den Lebensunterhalt für seinen Biruga-Clan in Arnhemland und das Geld für seinen persönlichen Alkoholkonsum durch das Malen und Verkaufen von Bildern an die Touristen verdiente, schüttelte nur den Kopf. Immerhin ließ er dem Ranger gegenüber offen, was seine Stammesältesten weiter nördlich zum Thema Kramer und dessen spurloses Verschwinden‘ zu sagen hatten.

       „Sollen Dianne und ich da nachhaken?“ Paddy sah seine Angebetete lächelnd an.

       Richie überlegte nur kurz. Port Essington, das Ziel der ersten Entdeckungsreise, diente Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als australischer Brückenkopf nach Asien und damit nach Europa und ins Mutterland England. Der Ort, der schon lange nicht mehr existierte, lag in Arnhemland, das heute nur mit Erlaubnis des dortigen Aboriginal-Rates von Weißen betreten werden durfte. Soviel wusste er.

       „Eine Genehmigung dafür zu bekommen, dauert aber vermutlich ein paar Wochen.“ Paddy grinste bei dieser Bemerkung vielsagend.

       Für Dianne, die sich schon auf einen unerwarteten Ausflug mit ihrem Ranger gefreut hatte, war die Auskunft ernüchternd. Sie hatte sich innerlich schon darauf eingestellt, bei den Jawoyn nachzubohren. Das war wie ein Heimspiel für sie, die sie sich mit der alten Kultur der Aborigines so gut auskannte. Jetzt und hier schien sie jedoch an reale Grenzen zu stoßen. Für Dianne eine ganz neue Erfahrung, die ihr gänzlich widerstrebte.

       „Und jetzt? Was machen wir jetzt, Richie?“

       Jim folgte diesem unsinnigen gedanklichen Exkurs mit einigem Unbehagen. Irgendwie uferte diese von Anfang an unfruchtbare Diskussion nun aus. Er schüttelte entschlossen den Kopf.

       „Glaubt ihr im Ernst, dass Kramer sich da oben versteckt hat?“

       „Ich frage gerne noch einmal im Community Center nach. Dann können wir die Sache immer noch abhaken.“ Dianne machte sich unbeirrt auf den Weg, ohne eine Antwort abzuwarten.

       Richie blickte ihr nur kurz hinterher.

       „Ich denke auch, dass wir uns den Weg nach Norden sparen. Wir sind hier sowieso schon ein ganzes Stück entfernt von unserer Route zum Indischen Ozean, Freunde.“

       Bill kam nun auch zurück. Den Rest der Debatte fing er noch auf. Und er spürte die allgemeine Aufbruchstimmung

       „Ich habe ja gleich gesagt, dass es völlig überflüssig war, hierherzukommen.“ Er hatte sich erst gar nicht an der Befragung der Aborigines beteiligt. Was ging ihn das alles hier an? „Auch wenn das unserem schwarz-weißen Liebespaar sicher gut gefallen hat, sich unter ihresgleichen wiederzu...“

       „Bill, hör auf damit!“ Jim fuhr seinem Gefährten messerscharf über den Mund.

       Der hielt im Wort inne und wechselte sofort das Thema.

       „Komm, Frank, wir gehen schon mal zum Wagen.“ Bill drehte sich um und strebte auf die nächste Hausecke zu. Frank folgte ihm zögernd nach.

       „Wartet, ich komme gleich mit euch mit.“ Auch Annette hatte genug von diesem Katherine. Zunächst war sie gemeinsam mit Frank durch den Ort spaziert. Ich muss noch mal eben telefonieren. Sieh dich einfach alleine noch ein bisschen um. Die sind ganz harmlos, hatte er gesagt, bevor er in der ersten, halbwegs sauberen Fernsprechzelle verschwand, an der sie vorbeikamen. Etwas unsicher ging Annette durch die Straßen mit den zumeist eingeschossigen Häusern. Der Anblick der vielen heruntergekommenen