Claudia Karsunke

Jonathans Erbe – Expedition in die Vergangenheit


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Ranger sprach den Satz bewusst sehr langsam und ganz deutlich aus. Schließlich sollte Dianne ihn nachsprechen.

       „Mein Name ist Paddy Crocodile. Ich bin vom Stamm der Yalmangully in den Kimberleys.“

       Sie wiederholte seine Worte, aber irgendwie hörte es sich so komisch an, dass beide in ein lautes Gelächter ausbrachen. Dianne hatte erhebliche Mühe, den Satz korrekt und verständlich für jemanden vom Yalmangully-Clan wiederzugeben.

       „So ähnlich, Honey. Versuch’s einfach noch einmal! Mein Name ist Paddy Crocodile und ich bin vom Stamm der Yalmangully in den Kimberleys.“

       Wieder hatte der Aborigine sehr akzentuiert gesprochen. Diesmal klang die Wiederholung dem Original schon sehr viel ähnlicher. Beim dritten Mal hatte Dianne es endlich geschafft. Sie hatte ihren Liebsten darum gebeten, ihr einfach ein wenig von seiner Sprache beizubringen.

       „Sehr gut, Honey. Das wird immer besser. Vielleicht brauche ich mal eine Dolmetscherin, und dann weiß ich ja jetzt, wo ich die finde.“ Er stand zufrieden von der Holzbarriere auf, die den Campingplatz von der Umgebung trennte und zog seine gelehrige Schülerin hoch. Der Chor der dröhnenden Zikaden war inzwischen weitestgehend verstummt, ein sicheres Zeichen, dass es ein wenig kühler geworden war und die Sonne bald untergehen würde.

       „Komm, es wird Zeit! Ich zeig dir jetzt meinen Lieblingsplatz.“

       Paddy ging auf dem schmalen Weg vorwan und Dianne folgte ihm in kurzem Abstand, nachdem sie den angrenzenden Busch betreten hatten. Niedrige Palmen mit ausladenden Fächern, die bei jedem Anklopfen wie vollreife Wassermelonen klangen, wechselten mit hohen und schlanken Palmen ab, die in einen intensiv blauen und wolkenlosen Himmel ragten. Hin und wieder schreckten die beiden ein Wallaby auf, das im lichten Unterholz davonhüpfte. Oder sie vertrieben mit ihrem Lachen einen Bush Turkey, der im Boden scharrte. Das Krächzen der Sittiche und Kakadus in den Kronen schallte weithin hörbar.

       Der Pfad führte das ungleiche Paar einige hundert Schritte durch diesen dichten Hain aus Palmen. Sie passierten eine natürliche Quelle, die kristallklar aus der Erde sprudelte und deren blassblaues Wasser als schmaler Bachlauf zum nahegelegenen Fluss hin ablief. Auf ihrem Weg dorthin speiste die Quelle einen natürlichen Swimmingpool inmitten einer von der Natur geschaffenen Halle aus Fächerpalmen. Das, was Dianne hier sah und mit all ihren Sinnen erlebte, machte diesen Park zu einem wahren, unverwechselbaren Paradies.

       „Na, habe ich dir zu viel versprochen, Honey? Was hältst du von einem erfrischenden Bad? Solange wir den Pool noch für uns alleine haben... “ Paddy stand bereits in seinen Badeshorts am gemauerten Rand des Beckens. Geduldig wartete er darauf, dass Dianne sich satt gesehen hatte an dieser gewaltigen Kulisse, in der sie sich fasziniert umschaute.

       „Bisher habe ich immer gedacht, so etwas gibt’s nur im Film.“

       „Komm! Das Wasser ist sehr angenehm und kühl. Das Prickeln solltest du auf keinen Fall versäumen!“ Der Aborigine war schon ein paar Stufen in den Pool hineingestiegen. Endlich gelang es Dianne, sich von der einmaligen Umgebung loszureißen. Sie zog elegant ihre Sachen aus. Der perfekt sitzende einteilige Badeanzug, der zum Vorschein kam, unterstrich noch, was sie trotz ihrer sportlichen Figur sowieso schon war: eine wirkliche Lady. Auch sie stieg die Stufen hinab und tauchte vollkommen unter. Das Wasser war so tief, dass sie nicht stehen konnte. Dafür war es glasklar. Sie ließ sich untergehen.

       Paddy sah, dass sie unter Wasser schwamm. Er sprang ihr lachend hinterher. Erst am anderen Ende des Pools tauchten beide wieder auf.

       „Puh, das war großartig. Aber die Strömung ist stärker, als ich dachte.“ Dianne war ein bisschen außer Puste. Aber sie war gut trainiert, und daher betrachtete sie dieses Bad als eine willkommene Bereicherung ihres sonstigen Fitnessprogramms.

       Sie schwammen und tauchten noch eine ganze Weile und fühlten sich belebt durch dieses Wasser, das sehr angenehm auf der Haut prickelte und trotzdem an Weichheit nicht zu überbieten war.

       Dann änderte sich die Stimmung. Schon von weitem hörten Dianne und Paddy Stimmen herübersschallen. Damit wurde es unruhig am Pool. Mit dem Frieden, den sie bei ihrer Ankunft vorgefunden hatten, würde es bald vorbei sein.

       „Komm, ich zeig dir noch mehr. Das hast du bestimmt noch nicht in natura gesehen. Wollen wir wetten?“ Der Aborigine stieg aus dem Pool. Dianne folgte ihm gerne, weil der Lärm wesentlich schneller näher kam, als ihr lieb war. Außerdem hatte Paddy ihren Sportsgeist wieder entflammt.

       „Um was wetten wir denn diesmal?“

       „Um dich, Honey?“ Er sah sie ein kleines bisschen herausfordernd an.

       Sie überlegte nur einen kurzen Moment.

       „Einverstanden. Und wenn du verlierst, Liebster?“ „Dann natürlich um mich...“ Dianne brach in ein schallendes Gelächter aus. „Was gibt’s da zu lachen?“ Paddy wurde angesteckt von ihrer guten Laune. „Diesmal hätte ich eigentlich nichts dagegen zu verlieren.“ Ihr Lachen verwandelte sich plötzlich in ein betörendes Lächeln. Verliebt schaute der Ranger ihr in die Augen und senkte seine Stimme, die weich und zärtlich klang. „Ich auch nicht, Honey.“ Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn ganz nah an sich heran. Nur schwer konnte sich Paddy aus ihrer Umklammerung befreien. Nach einem nur gehauchten Kuss lösten sie sich voneinander. „Wir sollten uns beeilen, bevor es hier ungemütlich wird!“ Sie schlüpften beide in ihre Sachen. Dann führte er sie auf einem ausgetretenen Fußweg weiter in den Busch hinein. „Hey, wohin entführst du mich?“ „Keine Angst, wir sind gleich da!“ Die Geräuschkulisse veränderte sich jetzt mit jedem Schritt mehr. Die tierischen Laute kamen eindeutig aus den Kronen der Palmen und Bäume, die vor ihnen wuchsen. Dianne hatte Mühe, den Lärm zu übertönen. „Was ist das denn für ein Höllenspektakel?“ „Wirst du gleich sehen.“ Paddy zog sie noch etwa fünfzig Meter weiter und blieb schließlich direkt am Fluss stehen. Das Gekreische kam vom gegenüberliegenden Ufer. In den Bäumen hingen viele tausend fliegende Füchse wie überdimensionale Fledermäuse mit ihren Köpfen nach unten an den Ästen. Mit den Füßen klammerten sie sich fest. Ihre weiten Flugarme hatten sie wie enge Mäntel um ihre Körper geschlungen. Dianne sah dem Gewusel und Geflatter mit Interesse zu. Ständig waren diese Tiere in Bewegung. Sie verließen ihren Platz und flatterten umher, um ihre Körper an einem anderen Ast wieder aufzuhängen. Paddy hatte den Arm um Diannes Taille gelegt, und sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter, als sie es fühlte. „Ein faszinierendes Schauspiel.“ Sie hatte zwar schon oft fliegende Füchse an der Küste in New South Wales gesehen. In ihrer Kindheit gab es sie noch wesentlich zahlreicher als jetzt. Aber diese Unmasse von Tieren sah sie tatsächlich zum ersten Mal. „Wenn du willst, kannst du das jeden Abend haben, Honey. Ich bin hier so gut wie zu Hause.“ Er wiederholte die beiden letzten Sätze in der Sprache seines Volkes. Die Frau an seiner Seite reagierte diesmal nicht. Der bellende Lärm und dieses faszinierende Naturschauspiel lenkten sie zu sehr von seinen Worten ab. „Das sind unsere fliegenden Füchse.“ Der Aborigine wiederholte auch diesen Satz ein zweites und drittes Mal in seiner eigenen Sprache. „Eigentlich sind es Flughunde. Wenn du genau hinhörst, dann hörst du ihr Bellen.“ Erst jetzt registrierte Dianne, was Paddy gesagt hatte. Sie sah ihn lächelnd an und versuchte die Worte zu wiederholen, soweit sie sie akustisch verstanden hatte. Mitten im Satz verstummte sie, weil Gewehrschüsse die Luft zerrissen. Alarmiert flogen nun alle Tiere beinahe gleichzeitig auf und flatterten aufgeregt durch die Luft. Die Schüsse nahmen kein Ende. Die beiden Zaungäste gingen automatisch in Deckung und schauten sich irritiert um, da die Kugeln offensichtlich ganz in ihrer Nähe abgefeuert wurden. „Was soll das denn? Dass hier Krieg herrscht, hast du mir bisher verschwiegen, Ranger.“ Dianne sah ihn verärgert an. Paddy war genauso überrascht von dem, was vor sich ging, und zuckte seine Schultern. „Ich habe keine Ahnung, was hier los ist. In diesem Park ist Jagen strengstens verboten. Und das ganze Gebiet gehört zum Nature Park.“ „Das scheint sich aber noch nicht überall herumgesprochen zu haben.“ Dianne wollte ihren Unmut nicht verbergen und war entschlossen, diesen Frevel zu beenden. Als Paddy sah, was sie vorhatte, gab er ihr ein Zeichen. „Bleib in Deckung, ich sehe mir das mal aus der Nähe an!“ „Okay, aber sei vorsichtig, Liebster! Die Wettschulden sind noch nicht bezahlt, und ich bestehe diesmal auf einer korrekten Einlösung.“ Obwohl ihre Bemerkung eher wie ein Scherz klang, war Dianne in Wirklichkeit sehr