Claudia Karsunke

Jonathans Erbe – Expedition in die Vergangenheit


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zu steigen und die Werbeeinnahmen in die Höhe zu treiben. Niemand wagte es, sich ihr zu widersetzen. Eine ganze Weile schien sich jeder darum zu reißen, in Sheilas Sendung eingeladen zu werden, weil die Quote stimmte. Inzwischen fanden sich für ihre Talkshows jedoch kaum noch Freiwillige, die sich ihren Angriffen uneingeschränkt und öffentlich aussetzen mochten. Sheilas Erfolgsstern hatte erneut zu sinken begonnen, als Jonathan Miller ihre Einladung überraschend annahm. Obwohl ihm diese Sheila schon seit längerer Zeit mit ihrer Art missfiel, wollte er sich den Vorwurf ersparen, nur ihretwegen nicht zu erscheinen. Er hatte es nicht zum Manager des Jahres 2011 gebracht, um sich von ihr alles bieten lassen zu müssen. Natürlich riefen seine Erfolge auch die ewigen Neider auf den Plan. Jonathan bekam diese negative Kraft von Zeit zu Zeit zu spüren, wenn sie auch bislang unbeschadet an ihm abgeprallt war. Heute, in dieser Talkshow, meldete sie sich plötzlich wieder zurück. Diese Sheila hatte ein empfindliche Saite angerissen und damit seine Vergangenheit. Diesmal stand er ihr etwas hilflos gegenüber. Was hätte er denn antworten sollen? Womit hätte sich ausgerechnet diese Frau zufrieden gegeben? Wenn überhaupt? Worauf wollte sie hinaus? Was diese Sheila so brennend zu interessieren schien, dass sie scheinbar nichts von der Wahrheitsfindung abhielt? Er wusste es einfach nicht. Und zum ersten Mal machte sich ein ungutes Gefühl breit, da er selbst die Antwort auf ihre Frage nicht kannte. In ein paar Tagen, sobald die Vorbereitungen abgeschlossen waren, würden seine Leute sich auf den Weg machen und etwas versuchen, was noch niemandem vorher gelungen war. Sie würden die alten Spuren Kramers wiederfinden, der inzwischen seit mehr als 160 Jahren irgendwo da draußen im Nirgendwo Australiens verschollen war. Es würde ihnen zweifellos gelingen, auf neue Hinweise zu stoßen. Und sie würden hoffentlich bei dem Vermissten selbst landen. Das war Jonathans Anspruch bei diesem Unternehmen. Und er hoffte, dieses hochgesteckte Ziel mit der Hilfe seiner Leute tatsächlich zu erreichen. Zugegeben, es war bisher nur Theorie, die Jonathan da leitete. Gleichzeitig war es aber auch seine Intuition, die ihn, trotz aller gelegentlichen Zweifel, darin bestärkte, an den Erfolg dieses Projektes zu glauben, es irgendwie Wirklichkeit werden zu lassen. Das Ergebnis dieses Wagnisses kannte indes niemand. Auch Jonathan musste sich in Geduld üben, bis seine Leute wirklich Neues entdeckten. Irgendetwas würden sie finden. Und diese Zuversicht, auf etwas Wichtiges im Zusammenhang mit Kramer und seiner letzten Expedition zu stoßen, regte zweifellos die Kreativität seiner Leute an. Er hatte es schon oft genug erlebt, weil das gegenseitige Vertrauen ein Garant für diese Art von Erfolgen war. Jonathan war sehr gespannt, was dieses außergewöhnliche Projekt alles zutage fördern würde. Für ihn selbst wurde es vermutlich langsam Zeit, den Chefsessel für seinen Sohn zu räumen und sich mehr seinen persönlichen Dingen zuzuwenden, die möglicherweise noch unerledigt waren. Warum sonst meldeten sich vorhin diese leisen Zweifel? Er, Jonathan, würde sich wohl in den nächsten Monaten Stück für Stück zur Ruhe setzen und seinem Sohn das gut bestellte Feld gerne überlassen, wie es der alte Morley ihm vor vielen Jahren übereignet hatte.

      27° 28’ 16.00’’ S / 153° 02’ 10.57’’ O Brisbane City, QLD Dieser Mann hatte doch etwas zu verbergen. Sheila tobte. Sie schritt im Büro ruhelos auf und ab wie ein Raubtier in seinem Käfig. „Warum wehrt sich dieser Miller eigentlich so vehement dagegen, dass ein Fernsehteam die Expedition begleitet? Kannst du mir das vielleicht sagen? Unsere Zuschauer haben ein Recht darauf, es zu erfahren. Und auf eine lückenlose Berichterstattung. Im einundzwanzigsten Jahrhundert sollte das zu den Grundrechten gehören! Schließlich leben wir hier in einem freien Land und nicht in einer Diktatur.“ Sheilas Chef stand am Fenster und blickte aus dem 7. Stock hinunter auf den Brisbane River und den CityCat, der soeben am Pier des Expo-Geländes gegenüber anlegte. Ein paar Dutzend Menschen gingen von Bord des Katamarans und verteilten sich langsam auf der Uferpromenade. Samuel hatte jedes Wort seiner Mitarbeiterin registriert. „Weil es seine Expedition ist, und weil er ein Recht darauf hat, seine Leute abzuschirmen und in Ruhe arbeiten zu lassen. Er hat ein Kamerateam angeheuert, das die Expedition begleitet und ihre Arbeit dokumentiert. Er hat also vorgesorgt, dass die Welt erfährt, was da draußen passiert. Offensichtlich bedeutet es für ihn mehr als nur eine Fahrt ins Blaue. Und außerdem: Wer sollte denn, deiner Meinung nach, diese Berichterstattung übernehmen? Ich nehme an, du hast dich selbst dafür ausgesucht, stimmt’s?“ Sheila blieb stehen, sah ihren Chef einen kurzen Moment unverhohlen an und nickte. Sam schien zu begreifen. Ein Lächeln tauchte um ihre Mundwinkel auf. Sie musste jetzt trotzdem vorsichtig sein. Schließlich hatte sie gestern ganz schön alt ausgesehen, als dieser Jonathan sie derart abservierte, dass ihre eigene Zukunft nun auf dem Spiel stand. Sheila wäre allerdings nicht Sheila gewesen, wenn sie die neue Ausgangslage nicht gewinnbringend für sich selbst zu nutzen verstanden hätte. Sie war bereits auf einem guten Weg dahin. Sie kannte jetzt nur noch ein Ziel: Sie wollte Jonathan Miller vernichten. Und sie war bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, wenn nötig, sogar jeden Preis! „Überleg doch mal, Sam, wir müssen schließlich unsere Zuschauer darüber informieren, was in diesem Lande geschieht. Die Satellitentechnik macht es uns heute möglich, live aus jedem Winkel der Erde zu senden. Da ist doch das Outback kein Problem. Und ich habe die beste Qualifikation, die du dir vorstellen kannst, um diesen Job zu machen, das weißt du auch. Warum gibst du mir also nicht noch diese eine Chance?“ Inzwischen waren Passagiere zugestiegen und die Schnellfähre hatte abgelegt, um die nächste Pier anzusteuern. Samuel drehte sich zu seiner Mitarbeiterin um. „Du hast sie gehabt. Und du hast sie gestern gründlich vergeigt. Begreif das doch endlich! Ich kann dir nicht mehr helfen. BrisbaneQTV ist für Sheila Young passé, endgültig passé. Pack also schleunigst deine Sachen zusammen und verlass dieses Büro! Niemand hier wird dir auch nur eine Träne nachweinen. Du hast mit dem Vertrauen deiner Kollegen und der Geschäftsleitung gespielt. Und du hast es missbraucht. Das werden sie alle hier nicht so schnell vergessen. Im Gegensatz zu dir haben viele eine Familie zu ernähren. Und nun müssen sie um ihren Job bangen. Drei unserer besten Werbekunden sind bereits für das nächste Quartal abgesprungen. MorleysPartnership Enterprises sind zwar noch da, aber wenn ich noch einen Finger für dich rühre, spricht sich das sofort herum. Dann ist auch Jonathan Miller weg und wir können dichtmachen. Du bist fertig, Sheila, verstehst du? Geh weit weg von hier und such dir woanders eine neue Plattform für deine Eskapaden! Vielleicht hast du Glück, und du findest Anschluss, bevor das ganze Ausmaß des Schadens, den du hier angerichtet hast, öffentlich wird! Mehr kann ich nicht für dich tun.“ Sheila hatte sich die Vorwürfe ihres Chefredakteurs äußerlich geduldig angehört. Innerlich kochte sie vor Wut. „Aber versteh doch, ich musste das tun. Dieser Mann hat was zu verbergen. Das spüre ich ganz genau. Was auch immer es ist, es ist der Schlüssel. Dieser Mann will mich fertigmachen, und in diesem Punkt ...“ Sheila wollte einen neuen Anlauf nehmen, um das Blatt doch noch zu ihren Gunsten zu wenden, aber sie hielt mitten im Satz inne. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, den sie so schnell wie möglich in die Tat umsetzen wollte. Sie zögerte nicht länger, packte in Windeseile ihre persönlichen Dinge vom Schreibtisch in einen Faltkarton. Sam sah ihr dabei zu. „Es freut mich, dass du offensichtlich einsiehst, dass es zwecklos ist, deinen Job in diesem Laden weiterzumachen.“ Sheila antwortete nicht. Sie benötigte nicht viel Zeit zum Einpacken. In einer Minute war sie fertig. Sie klappte den Deckel zu und schaute sich noch einmal im Raum um. Sie hatte nichts vergessen, hob den halbvollen Karton und lächelte Sam an. „Ja okay, ich habe verstanden.“ Er wartete, bis sie sich der Tür zuwendete, und folgte ihr in kurzem Abstand. „Pass in Zukunft einfach besser auf, wie du deine Sache verkaufst! Und das meine ich ganz ehrlich. Als Freund, nicht nur als dein Chef.“ Gemeinsam verließen sie das Büro, das einmal Sheilas ganze Macht repräsentierte und von dem aus sie ihre Fäden gezogen hatte.

      Ich hatte diese große Entdeckungsreise nach Swan River zwar ebenso begonnen wie die beiden zuvor. Während der ersten ausgedehnten Durststrecke nach nur zwei Monaten kamen mir jedoch große Zweifel, ob ich so jemals mein weitgestecktes Ziel erreichen würde. Wir waren voraussichtlich mehr als zwei, wenn nicht sogar drei Jahre unterwegs und völlig auf uns allein gestellt. Schon zu diesem Zeitpunkt der Expedition wurden wir durch die Umstände unserer Reise gezwungen, umzudenken, wollten wir lebend am Indischen Ozean ankommen. Über mehr als hundertachtzig endlose Meilen hatten wir uns täglich weiter durch ein ödes und trockenes Gebiet vorangequält und am Ende selbst vorwärtsgetrieben wie unsere eigenen Tiere. Unter Aufbietung unserer allerletzten Kraftreserven waren wir auf ein Flussbett gestoßen, das an dieser Stelle ganzjährig mit Wasser gefüllt zu sein schien. Ich ließ sofort einen