Claudia Karsunke

Jonathans Erbe – Expedition in die Vergangenheit


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den Weg bis hierher schaffen, so verriet ihm das Zeichen, dass dieser Fluss bei der Ankunft von Kramers Expedition Wasser geführt hatte. Ich hatte mir außerdem erlaubt, ihn nach dem zu benennen, und in der an dieser Stelle noch unbeschriebenen Karte zu vermerken was er für mich selbst und meine gesamte Expedition bedeutet hatte: Welfare Creek. In meinem Skizzenbuch notierte ich noch zusätzlich die Koordinaten unseres Lagers, soweit es mir überhaupt möglich war, die Longitude exakt zu bestimmen. Ich würde sie nie vergessen: Dieser Platz lag in 25° 22’ südlicher Breite und 142° 44’ östlicher Länge. Allein der unbändige Wille, zu überleben hatte uns die Kraft gegeben, das rettende Wasser doch noch rechtzeitig zu finden. Als ich mich wieder einigermaßen von den Strapazen erholt hatte, ritt ich so lange an diesem gelblichgrauen und trüben Gewässer entlang, bis der natürliche Wasservorrat zu Ende war. Einen weiteren Stamm hatte ich hier markiert und meinem „K“ und dem Zeitpunkt auch noch einen Pfeil hinzugefügt, der in die Richtung des Wassers wies und damit seine momentane Ausdehnung markierte. So würde ich es auch künftig halten, für alle ein Zeichen zu setzen, die auf diesen Creek trafen, der ihre geschundenen Körper und Seelen auffing, wenn sie, wie wir selbst, den Glauben auf Rettung beinahe verloren hatten.

      3. Tag

      23° 38’04.34’’ S / 145° 13’00.50’’ O – Oxley Farm, Alice River, QLD Einfach phantastisch. Der Infrarotscanner hielt tatsächlich, was ihr Konstrukteur ihnen im Vorfeld der Such-Expedition versprochen hatte. Jim löste den Haltegurt, nahm vorsichtig das Gerät vom Stamm herunter und trug es zurück zu seinem Fahrzeug. Richie und Hans saßen da, in die Auswertung der gelieferten Bilder auf ihrem Notebookdisplay vertieft, und staunten. Schon zum wiederholten Mal schüttelte Hans ungläubig den Kopf, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. „Ich bin sprachlos, Richie.“ Seinem australischen Freund und bewährten Mitstreiter in Sachen Kramer fehlten ebenfalls die Worte. Er starrte auf das Display und entdeckte immer neue Feinheiten in der Linienführung dieser Markierung, die zweifelsfrei nur von Kramer sein konnte. „Ich kann es immer noch nicht fassen! Sieh dir das an, Hans!“ Richie zeichnete mit dem Finger den Buchstaben nach. „Hier ist sein K. Ganz eindeutig zu entziffern. Und hier: ein Datum: April 1849.“ Richie schaute auf und sah seine Gefährten, die sich inzwischen alle so hinter ihm postiert hatten, dass jeder zumindest einen kurzen Blick auf den ersten Erfolg ihres Auftrags werfen konnte. Auch Jim war zurück und lächelte zufrieden. „Damit haben wir endlich den Beweis. Er war tatsächlich hier. Und das Gerät ist eine Wucht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich bis vor einer halben Stunde daran gezweifelt.“ „Wirklich beeindruckend, Richie.“ Jim beugte sich vor, um das Ergebnis dieses Tests noch ein wenig genauer beurteilen zu können. „Ja. Ich werde sofort Jonathan davon berichten. Jetzt, wo wir sicher sein können, dass Kramer auf seiner letzten Reise hier war, sind wir jedenfalls schon mal auf der richtigen Spur. Nun können wir weiter nach Bäumen wie diesem hier suchen und sicher sein, dass wir auch uns noch unbekannte Markierungen finden. Was meint ihr dazu?“ Richies Augen blitzten vor Enthusiasmus für den eigentlichen Teil ihrer Expedition, die gerade erst begonnen zu haben schien. Bis hierher an den Alice River war die langweilige Fahrt über rund tausend Kilometer auf dem Highway eher nur eine Aufwärmphase gewesen, die die Erwartungen an diese Such-Expedition nur unnötig hinausgezögert hatte.

      Als Richie und Hans sich Jahre zuvor auf der Oxley Farm am Ortsrand von Barcaldine zum ersten Mal begegneten, um gemeinsam mit einer geladenen Gruppe von Kennern der Expeditionen des Australienforschers nach Belegen für dessen Routen der ersten, dann der zweiten und schließlich der dritten Entdeckungsreise im ganzen Land herumzufahren, da wurde ihnen am Alice River lediglich ein immerhin sehr alter Baumstamm präsentiert. Aus seiner Rinde war eine unübersehbare Stelle in Form eines gotischen Fensters großflächig herausgeschnitten. Von sichtbaren Initialen oder einer Jahreszahl konnte hingegen keine Rede sein. Man musste sich zu diesem Zeitpunkt einfach darauf verlassen, dass diese ganz offensichtliche Einkerbung dem Forscher und einer seiner Expeditionen zugeordnet wurde. Nachfolgende Siedler hatten einige Jahre nach dem Aufbruch zu Kramers dritter Reise die Stelle entdeckt, davon berichtet und die Information darüber weitergegeben.

       Hans war damals zum ersten Mal in Australien gewesen. Als ein späteres Familienmitglied des Forschers wurde er natürlich gerne herumgereicht und zu den Orten geführt, die mit dem Wirken seines Ururgroßonkels in Zusammenhang standen. So kam der Ururgroßneffe mit einer Vielzahl von Anhängern des Vermissten in Kontakt. Richie Schwarz war einer dieser Menschen, die sich sehr intensiv mit dem Leben Kramers beschäftigten und viel mehr darüber wussten als Hans. Richie war zudem älter als der Deutsche. Er kannte Australien und die meisten Stellen, an denen man Belege des seit 1848 Vermissten gefunden hatte oder zumindest gefunden zu haben glaubte. Nur ein paar wenige Plätze waren Richie jetzt selbst noch zu entdecken geblieben. Mit Jonathans Kramer-Such-Expedition würde er endlich nach Jahrzehnten diese letzten Lücken füllen können.

       Die Oxley Farm hier am Alice-Fluss war also ein Ort der dritten Entdeckungsreise, wie die Zeitangabe auf dem Stamm eindeutig bewies, und damit erheblich für ihre Suche. In Richies Kopf reifte eine Routenplanung heran, die sich genau auf dieses erste Ergebnis stützte. Sobald er mit Jonathan gesprochen und Hans keine Einwände gegen seine Vorschläge hatte, würde er sie gleich morgen früh bekannt geben. Er konnte davon ausgehen, dass auch Jim und die anderen sich ihm anschließen.

      Inzwischen waren sie drei Tage unterwegs. Auf den schier endlos sich dahinziehenden Highways und Pisten Queenslands war es auch heute noch ein weiter Weg, wollte man von Brisbane aus an die nördlichen und westlichen Grenzen der alten Kolonie gelangen.

       Richie war beim letzten Mal gemeinsam mit Hans der Route von Kramers erster Entdeckungsreise hinauf zum Carpentaria Golf gefolgt. Die beiden überquerten auf ihrem Weg dorthin gleich ein halbes Dutzend Flüsse, die Kramer entdeckt und benannt hatte. Das alte Tagebuch des Entdeckungsreisenden wies zudem auf zahlreiche weidetaugliche Gebiete hin, die von den nachstrebenden Siedlern des neunzehnten Jahrhunderts als willkommene Empfehlungen für das eigene, neue Zuhause in der australischen Wildnis dankbar aufgenommen wurden.

       Beinahe mühelos konnten sich auch Richie und Hans anhand der gemachten Berechnungen von Breiten- und Längengraden und Kramers genauen Landschaftsbeschreibungen orientieren. Die für seine Zeit und auf dieser Expedition mitgeführten bescheidenen Instrumente reichten in den meisten Fällen für erstaunlich präzise Ortsangaben aus. Selbst die Stelle, an dem einer von Kramers wissenschaftlichen Begleitern damals den Tod fand, konnten sie, mit einiger Mühe zwar, aber dennoch aufgrund der geographischen Angaben wiederfinden. Als hilfreich bei der Suche erwies es sich, dass die Landschaften der Cape-York-Halbinsel auch über 150 Jahre später fast unverändert geblieben waren.

       Den Weg bis hinauf nach Dunbar, wo sie das Grab entdeckt hatten, würden sie sich diesmal ersparen. Der Ort lag für die Such-Expedition viel zu weit nördlich und war somit ohne Bedeutung für ihr aktuelles Projekt. Richie peilte stattdessen die Fortsetzung ihrer Reise nach Nordwesten an. Und die Route sollte dabei sehr viel südlicher verlaufen als der 1843 von Kramer eingeschlagene Weg nach Port Essington. Richie schloss allerdings die Möglichkeit bewusst ein, dass sich die Routen der ersten und der dritten Reise an dem einen oder anderen Punkt dennoch kreuzten. Ja, er hoffte sogar darauf, als er den Ausdruck mit der Planung fertig in seinen Händen hielt.

      4. Tag

      19° 26’ 55.00’’ S / 140° 43’ 41.00’’ O Colullah Track, Nord-QLD Ein hochbeiniges Fahrzeug bewegte sich auf der Straße nach Norden. Die Luft vibrierte über dem staubigen Untergrund, während die Reifen des Wagens auf einem Meer von wabernden Luftschichten zu schwimmen schienen. Obwohl die Natur jetzt erst langsam dem Sommer entgegenging, flirrte die Atmosphäre unter der Hitze. Die Sonne stand hoch am Himmel und warf nur kurze Schatten. Da, wo ihre unbarmherzigen Strahlen auf unerwarteten Widerstand stießen. Das Land war in ein hartes Licht getaucht und die Hitze beinahe unerträglich. Mit dem Näherkommen des Fahrzeugs wurden seine Umrisse langsam deutlicher. Sie ließen sich inzwischen sogar trennen von einem zweiten und dann einem dritten Wagen. Auch der Fahrzeugtyp wurde jetzt erkennbar. Es handelte sich eindeutig um Four Wheel Drives, ausgerüstet für die Unwägbarkeiten, die das Landesinnere oft genug für den bereithielt, der es wagte, bis in diese Wildnis und Einsamkeit des australischen Busches vorzudringen.