Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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Arbeitszimmer, beantworte E-Mails von Kunden. Gegen fünf stecke ich den Kopf in Monas Zimmer.

      Sie liegt bäuchlings auf dem Bett, das Buch vor sich.

      „Schau mal, da an der Tür, Berkamp.“

      In Augenhöhe hängt, frisch mit Klebestreifen angebracht, ein großes hellgrünes Papier. In fetter, dunkelblauer Handschrift, am Rande geziert von grellroten Blitzen, steht darauf:

      „Nichts ist persönlich !!!“

      Beim Abendessen berichtet Mona über die Geschichte und das Wesen von Tai Chi, Kung-Fu and anderen Kampfsportarten.

      Corinna sendet uns immer noch kein Lebenszeichen. Ihr Verhalten bloß unhöflich zu finden, darüber bin ich hinaus.

      Mich beschleichen besorgte Gefühle.

      Für den Abend schlägt Mona den DVD-Film „LA Crash“ vor, ein packender Polizeifilm, gemäß ihre neuen Lernlust in englischer Sprache.

      *

      Gegen zehn Uhr hören wir die Wohnungstür ins Schloss fallen.

      „Wehe, Berkamp!,“ ermahnt Mona mich sogleich. „Nichts ist persönlich. Bleib ja sitzen, hörst Du!“

      Den Geräuschen nach geht Corinna in die Küche und startet den Heißwassertopf. Anschließend geht die Toilettenspülung im Badezimmer. Bis auf Geschirrklappern von der Küche her bleibt es für längere Zeit still.

      Schließlich schaut Corinna, kauend mit einem Essensbrett in der einen und dem Teepott in der anderen Hand, ins Wohnzimmer. Mona und ich tun, als nähmen wir keine Kenntnis von ihrem Erscheinen. Corinna verzieht sich wortlos, wenig später rauscht die Dusche.

      Wahrscheinlich hat sie die Ohren gespitzt. Die Schlussmusik des Films verklingt, schon öffnet Corinna vorsichtig die Wohnzimmertür. Sie hebt abwehrend beide Hände.

      „Ihr habt ja recht! Aber was soll ich denn tun, Mona, Robert? Es tut mir leid, wirklich. Ich hätte mir auch etwas anderes ...“

      „Vergiss es, Mammi,“ fällt ihr Mona schroff ins Wort und steht auf.

      „Ich höre ohnehin nicht mehr hin. Aber ich habe viel gelernt heute. Berkamp, schlaf gut. Und danke für den netten Tag.“

      Sie stakst an ihrer Mutter vorbei und verschwindet im Badezimmer.

      Corinna steht unschlüssig nahe der Tür.

      „Bist Du auch sauer, Robert?“

      „Ja sicher, aber es ist nicht persönlich. Komm, setz dich und erzähl!“

      Sie lässt sich erleichtert neben mir auf der Couch nieder, hat noch feuchte Haare, ist wieder in meinen schwarzen Bademantel gehüllt. Ich ziehe sie an mich, sie schnauft erschöpft..

      „Was habt ihr zwei denn noch gemacht im ...?“

      „Lenk nicht ab, Corinna. Was war los?“

      Sie richtet sich auf, rückt ein wenig weg von mir, um mich anzusehen.

      „Du wirst es nicht glauben, Robert! Den gibt es tatsächlich, diesen Miesmann. Harald Miesmann.“

      „Welchen Miesmann?“

      „Erinnerst Du dich, der Anruf mit der Kinderstimme am Mittwoch ...“

      „Bei dir im Büro, Feuerteufel?“

      „Genau, die Kinderstimme. Der heißt wirklich so. Wohnt oben in Sachsenhausen in einem Hochhaus in der Mailänder Straße. Jetzt halt dich fest: Er fährt einen Mercedes E-Klasse 320. Der Wagen ist letzte Nacht vollständig ausgebrannt.“

      „Oh. Letzte Nacht? Geht ihr von Brandstiftung aus?“

      „Aber ja! Da hat einer gewusst, wie es geht. Zwischen drei und vier Uhr morgens. Bis die Feuerwehr kam, stand der Wagen in hellen Flammen. Einwandfrei Brandstiftung; glühender Schrott.“

      „Und deshalb musstest Du Stunden später ...?“

      „Nein, warte; deswegen nicht. Du brauchst einige Zeit, bis du den Halter eines völlig ausgebrannten Wagens ausfindig machst.“

      Wie gesagt, Miesmann. Irre Sache. Wohnt oben im neunten Stockwerk. An der Wohnungstür, halb unter der Fußmatte, finden die Kollegen eine Nachricht. Computerdruck auf Massenpapier, Inhalt: Wir haben den Vogel. Damit er der Asche entkommt, folgt unserer Forderung.

      Corinna fährt sich mit beiden Händen durch die fast trockenen Haare, schüttelt sie kurz lose.

      „Okay, weiter!“

      „Jetzt wird es rätselhaft. Keine Spur vom Wohnungsinhaber Miesmann. Es fehlt jeder Hinweis auf seinen Verbleib.“

      Die Kollegen klingeln, niemand öffnet. Dann fällt ihnen der Wagen ein. Darin finden sich keine menschlichen Überreste, auch nicht im Kofferraum. Ohne begründeten Verdacht können sie nicht eine x-beliebige Wohnung knacken. Der abgefackelte Wagen und die Nachricht sind allerdings hinreichend starke Hinweise auf weitere Gewalttaten. Also wird der Kriminaldauerdienst verständigt.

      Corinna gerät in Redeschwung.

      „Die waren rücksichtsvoll genug, haben den Hausmeister aus dem Nebenhaus bemüht, um in die Wohnung zu gelangen.“

      Die Wohnung wies keine Spuren von Fremdeinwirkung auf. Aber der Bewohner blieb verschwunden. Woraufhin die Kollegin Conrad eingeschaltet wurde. Die wiederum hat Corinna verständigt.

      „Die Conrad konnte das nicht allein machen ...?“

      „Sie hat das einzig Richtige getan, Robert.“

      Der Inhalt der Nachricht und das verbrannte Auto – lehrbuchartige Anzeichen für eine gewaltsame Entführung; da müssen sie unverzüglich voll einsteigen. Opferhintergrund, Umfeld, kleinteiliger Suchaufwand.

      „Und, seid ihr weitergekommen?“

      „Warte, gleich. Das Feuer und der Drohbrief legen nahe, der Entführte soll ebenfalls verbrannt werden.“

      Logisch, oder? Das nimmt keiner allein auf sich. Wenn etwas schief geht, wenn ihnen Fehler unterlaufen. Außerdem, seit den rechtsradikalen NSU-Morden und islamistischen Angriffen, wenn derartige Tatmerkmale vorliegen, kriegen alle Schiss, etwas zu versieben, was sich wenig später als weiterreichender Terror entpuppt.

      Ich höre nur mit einem Ohr zu. Etwas an Corinnas Schlussfolgerung ,... soll ebenfalls verbrannt werden’ und der Wortwahl der Nachricht hakt in meinem Kopf.

      „Wie beurteilt ihr die Nachricht?“

      „Wird technisch untersucht, Fingerabdrücke, Druckertinte; bis jetzt nichts, was weiterhilft. Im Zusammenhang mit dem ausgebrannten Wagen lässt der Inhalt Übles befürchten. Dass wir demnächst eine verkohlte Leiche finden. Scheißspiel, sage ich dir.“

      In Gedanken gehe ich den Text erneut Wort für Wort durch.

      „Das glaube ich nicht, Corinna. Der Text spricht dagegen.“

      Sie stutzt, lehnt sich ein wenig zurück, bekommt den mir vertrauten Du-Besserwisser-Blick.

      „Robert, was soll das bringen, jedes Wort spitzfindig hin und her zu drehen? Wir haben oft genug erlebt, wie leicht man sich dabei irren kann. Zumal die Aussage derart unmissverständlich dasteht.“

      „Einspruch, Corinna, ich bleibe dabei.“

      Zumindest vier Dinge finde ich bemerkenswert. Erst eher ungeduldig, dann sichtlich verunsichert folgt sie meinen Hinweisen. Der Text bietet lediglich eine kurze Feststellung; darüber hinaus bekennt, rechtfertigt oder fordert er nichts. Für sich genommen stiftet er Ratlosigkeit. In Verbindung mit dem Feuer lenkt er weg vom Brandstifter und deutet in Richtung der Tat. Es geht nicht um die Absicht des Täters. Es geht um eine Eigenheit des Opfers.

      Das wird als Vogel bezeichnet; klingt weniger nach Abscheu und Hass, eher wie Spott und Herabwürdigung. Weiter: ,Damit er der Asche entkommt’ spricht nicht zwingend