Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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      Unvermittelt dreht sie mir Gesicht und Oberkörper zu, stützt ihren Kopf auf den angewinkelten Arm. Sie lächelt nachsichtig, wissend oder einfach lieb mit ihren faszinierend grünen Augen und ihrer neugierigen Nase.

      „Ehrlich gesagt, Mammi hat uns beide überhaupt nicht verdient, findest Du nicht? Seit wir hier am Wochenende zusammenleben ... sie müsste doch merken, was sie an dir hat ... und an mir. Verglichen mit früher, wo sie mir fast fremd geworden ist. Jetzt habe ich Angst, es wird wieder wie vor ein paar Jahren.“

      „Mona-Schatz, wenn sie ein paar Stunden zum Abschalten braucht, das verkraften wir, okay.“

      Sie dreht sich langsam ganz auf den Rücken, richtet sich neben mir auf, zieht im Sitzen die Knie an.

      Ich mag ihren Anblick, bin einmal mehr entzückt vom hypnotischen Zauber ihrer Augen. Bis ich spüre, wie mein Mund trocken wird.

      „Was ist, Berkamp?“

      „Nix mit X. Auch wenn Du es längst weißt, Du bist ein Riesenschatz, Mona. Und nebenbei eine hübsche Frau.“

      „Danke, die Betonung liegt auf Frau. Verlass dich drauf, irgendwann erblüht meine Lust auf Männer wieder. Dann verführe ich dich hemmungslos. Du hast gehört, was Mammi gesagt hat. Wir dürfen es miteinander treiben. Na, kriegst Du langsam Appetit?“

      „Mona, Du redest Unsinn.“

      Sie unterbricht mich mit verführerischem Augenzwinkern.

      „Weil ich die Tochter der Mutter bin? Oder weil ich zu jung bin? Du weißt genau, ich verknalle mich leicht in ältere Männer.“

      Zusätzlich knufft sie mir in die Seite.

      „Oder weil Du dich nicht traust; Berkamp? Hey! Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, vor meiner Anmut und blendenden Schönheit?“

      Im Gegenteil, stelle ich fest. Ich möchte nur verhindern, dass meine Liebe zu ihr Schaden nimmt.

      Die Frau kann einen wirklich in Gang bringen mit ihrer unverblümten Art und entwaffnenden Antworten.

      „Völlig unbegründete Sorge. Ich bin liebenswert, in jeder Lage. Außerdem weißt Du das erst, wenn Du es ausprobiert hast. Okay, vergiss es. Schluss mit dem Rumgeblödel. Bis mir wieder nach Sex ist, bin ich alt und grau. Wenn Du bis dahin warten möchtest ...“

      Ich muss loslachen, umarme sie kurz, küsse ihre rechte Wange.

      „Hiermit, Mona, mache ich dir eine förmliche Liebeserklärung. Und dabei bleibt es, verstanden!“

      „Na warte!“

      Sie streckt mir strahlend die Zunge raus, wirft sich auf den Bauch, zieht flugs die knielange Leggings ein Stück herab. Ihr blasser Po ist wie gemalt hübsch.

      „Na los, Feigling?!“

      Ich küsse kurz die beiden Pobacken und bedenke sie mit einem kleinen Klaps darauf.

      „Ha!,“ ruft sie triumphierend, „es klappt also doch mit dem Verführen. Jedenfalls für den Anfang. Du hast hoffentlich eingekauft, Berkamp? Ich will Bauernsalat zum Abendessen ... mit Schafskäse satt.“

      Sie zieht sich die Leggings wieder hoch, rollt sich auf die Seite und verkündet vergnügt:

      „Ich liebe Wochenenden dieser Art.“

      „Tut mir leid, Mona, ich habe vergessen, Bauern einzukaufen!“

      *

      „Was machen wir mit ihr? Mammi schläft wie ein Murmeltier.“

      „Lass sie schlafen, Mona.“

      „Och, Mann; das ist doch blöd. Bestimmt steht sie ab Mitternacht senkrecht im Bett und nervt die ganze Menschheit um sich herum.“

      „Dann sperren wie sie in die Besenkammer.“

      Mona trägt jetzt einen olivgrünen Hausanzug, natürlich mit einen züchtigen V-Ausschnitt. Mit ihren dunkelroten, kurzen Haaren eine junge Frau zum Hingucken. Sie hat eine Schüssel mit Feldsalat, Gurke, Preiselbeeren und Schafskäse zubereitet, den Küchentisch für drei Personen gedeckt. Ich schleiche kurz ins Schlafzimmer, werde aber von einer unwirsch grunzenden Corinna verscheucht.

      Also schmieren nur Mona und ich uns Makrelenbrote, räkeln uns auf den Küchenstühlen, Salat und Brot kauend, Tee trinkend, und besprechen alltägliches Dies und Das.

      „Morgen fahren wir ins Nord-West-Zentrum, einverstanden?,“ beschließt Mona. „Ich brauche unbedingt etwas mit Reizwäsche. Für Montag in der Firma.“

      „Ist das eure neue Arbeitsbekleidung?“

      „Doch nicht für mich, Mann! Seit drei Wochen haben wir mal wieder einen Labor-Praktikanten. Ein superkluger, total uncooler Typ, Kevin mit Namen. Der Name passt zu ihm wie der Arsch auf den Eimer. Fett, schwarze Hornbrille und extrem unsicher mit Frauen. Es gibt doch diese kleinen Stoffhamster mit dicken Titten und Bikini, hast Du bestimmt schon gesehen. Wenn ich so einen finde, stelle ich ihn diesem Kevin-Typ auf den Mikroskop-Tisch. Damit er endlich die passende Frau hat.“

      Mona in der Arbeitswelt; der Schrecken aller Kollegen, die sie mit eindeutigen Blicken und zweideutigen Bemerkungen bedenken.

      „Leg eine schriftliche Gebrauchsanweisung bei.“

      „Gott, nein, Berkamp, für ein kleines Stofftier?“

      „Eben, wenn diesem Kevin die Tränen der Rührung kommen; vorsichtig das Hamsterchen mit zwei Fingern der rechten Hand ergreifen ...“

      Und langsam zum Arsch führen, ergänzt Mona ausgiebig lachend.

      Als sie sich beruhigt hat, schaltet sie um auf entschlossenen Blick.

      „Berkamp. Wenn Mammi unbedingt pennen will, lass sie. Wir reden nachher trotzdem. Wie üblich Krimi-Stunde, nur wir zwei, okay?!“

      28

      Kinder sind wahre Überredungskünstler.

      Als Töchterchen Claudia vier oder fünf Jahre alt war, musste ich ihr immer wieder bestimmte Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Bis in die Wortwahl bestand sie mit verblüffender Wachsamkeit auf der richtigen Wiedergabe jeder Einzelheit der Erzählung.

      Im ersten Augenblick fühle ich mich daran erinnert.

      Eine Stunde später im Wohnzimmer. Mona tut erneut kund, was sie von mir erwartet. Wie üblich sitzt sie an „ihrem“ Ende quer auf der Couch, ich am anderen, meine Füße auf dem flachen Tischchen vor uns. Die Geschichte hat es ihr angetan. Ich berichte, langsam, in allen Einzelheiten, vom vergangenen Oktober in San Francisco. Wie mir der Chinese mit dem Gewehr auf dem Dach gegenüber dem Hotel auflauert, wie Black Buffalo Carey sich anschleicht, ihn in den Tod befördert.

      Jetzt in englischer Sprache.

      Mona hält sich an ihre eigene Vorgabe. Zunächst holprig, nach den richtigen englischen Ausdrücken suchend, sich bei der Aussprache verbessernd, begründet sie:

      „Wenn wir Claudias Familie in Santa Fe besuchen oder nach San Francisco reisen ... „

      Sie will unbedingt diesen Black Buffalo Carey treffen; darf man Indianer sagen? ... mit ihm sprechen, das geht ja nur in Englisch. Er spricht kein Deutsch, denkt sie. ... Dafür üben wir jetzt. Schon in der Schule fand sie Englisch gut. Und, bitte, Berkamp, verbessere mich nicht, sag nur das richtige Wort oder tu so, als ob alles okay war. Rede einfach weiter Englisch, nur nicht zu schnell.

      Da ich fast täglich beinahe eine Stunde lang amerikanische Radionachrichten höre, fällt mir das Umsteigen leicht. Mit Mona Englisch zu sprechen empfinde ich als eine erfreuliche Bereicherung. Ihre Sprechweise wird nach kurzer Zeit flüssiger, besser als ich vor dem Hintergrund ihres Schul-Englischs erwartet habe. Ihre spürbare Freude an der Erfüllung eines wichtigen Wunsches steckt mich an. Im Stillen beglückwünsche ich sie zu der Lernbereitschaft. Selbst wenn einzelne