Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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sagen ...“ Aha ... „Ja, das ist wichtig, wirklich.“ ... Feuerteufel, wo bist Du denn? Ich meine, von wo rufst Du an? ... Wieder aufgeregtes Atmen. ... „Sie sollen sagen, dass der Mercedes von dem Herrn Miesmann brennt ...“ Und das soll ich ...? ; tack, dann das surrende Besetzt-Signal.

      „Komisch. Fällt dir dazu etwas ein, Vera?“

      Die antwortet verhalten wie in einem Selbstgespräch:

      „Mädchenstimme, höchstens zehn Jahre als. Die war nicht allein. Klang wie abgesprochen. Wie ein vorbereiteter Text. Da hat jemand daneben gestanden und Hinweise gegeben, Stichwörter.“

      Im Geist lasse ich den Anruf erneut ablaufen, komme aber nicht weit.

      „Lass bitte noch mal hören, Corinna.“

      Die Nebengeräusche klingen wie eine Bahnhofshalle, im Hintergrund quäkt eine Lautsprecherstimme, wie bei einer Zugabfahrt. Beim dritten Durchlauf, mit erhöhter Lautstärke, ist in der zweiten Pause der Mädchenstimme weit weg, aber deutlich die Ansage „Türen schließen selbsttätig“ herauszuhören.

      „Das hört sich an wie unser Hauptbahnhof.“

      „Könnte auch Wiesbaden sein,“ überlegt Frau Conrad.

      Corinna lehnt sich zurück. Oder München oder Hamburg. Wer bietet mehr?

      Sie legt beide Hände vor den Mund, fragt durch die gespreizten Finger.

      „War das nun ein Scherz?“

      „Hamburg oder München sicher nicht. Ich tippe auf Frankfurt.“

      Frau Conrad steht auf und streckt sich.

      „Ich habe gerade eine verrückte Idee.“

      Das waren Kinder, meint sie, Jugendliche, die sich für eine Mutprobe verabredet haben. Eine von ihnen ruft an, bei einer Firma oder Behörde. Die anderen nehmen das mit Handy-Kameras auf. Reihum jeder einmal. Bei der nächsten Party und auf Facebook bestaunen sie ihre Glanzleistungen.

      „Du meinst, wie versteckte Kamera am Jux-Telefon für YouTube. Vielleicht. Was ist, Robert, hast Du auch eine verrückte Idee?“

      „Nein, eher dumme Fragen. Der Anruf enthält drei Hinweise, eigentlich vier, die kein Zufall sind.“

      Kinder, die einen Jux veranstalten? Woher wissen die Corinnas Durchwahlnummer? Dann der Name Sandmann. Klingt, als ob jemand den Namen Sandner absichtlich verändert hat; oder lächerlich machen will. Das Gleiche vermute ich bei dem Namen Miesmann, eine wirkliche Person mit ähnlich klingendem Namen. Nur Mercedes ist einigermaßen deutlich. Jedenfalls käme ich da nicht auf Fiat oder Toyota.

      „Einverstanden, Sandmann, Sandner. Wer passt dann zu Miesmann?“

      „Verächtlich machen,“ bietet Frau Conrad an; „oder drohen. Eine Person mit ähnlich klingendem Namen.“

      „Sonst noch was, Robert?“

      „Ja und nein. Zu dem Miesmann kann ich nicht viel sagen. Außer, dass ich annehme, die Person arbeitet hier im Haus. Ihr kennt euren Laden. Habt ihr eine Idee, wer gemeint sein kann? Der Anrufer unterstellt, Du kennst den Mercedes-Fahrer, und fordert dich auf, ihm die Nachricht zu überbringen. Also solltest Du dem nachgehen. Mit euren Personallisten oder im Telefonverzeichnis. Vielleicht findet sich jemanden, der passen könnte. Wenn der dann einen Mercedes fährt ...?“

      Bevor ich ende, kommt mir ein weiterer Gedanke.

      „Entschuldige, noch etwas.“

      Der Hinweis auf einen brennenden Wagen. Für mich klingt das nicht wie eine Drohung, die abwendbar wäre. Sondern wie die Ankündigung eines bevorstehenden Ereignisses, ohne jede Bedingung. Wenn das Auto brennt, geschieht es, und der Besitzer kann nichts dagegen tun. Vielleicht bereits jetzt, kurz nach dem Anruf.

      Corinna verzieht das Gesicht leicht gequält:

      „Ich weiß nicht, mein Lieber; Du gibst der Wortwahl zuviel Bedeutung. Welches Kind macht sich über derartige Feinheiten Gedanken? Heutzutage begnügen die sich mit Smileys und Kurzzeichen für ihre SMS-Botschaften.“

      „Aber von sich aus macht kein Kind Anrufe mit derart aufschlussreichen Hinweisen, Corinna.“

      Sie schüttelt unschlüssig den Kopf, seufzt laut.

      „Ach, ne Leute. Ich habe keine Zeit und Lust für diesen Kinderkram ...“

      Dieses Mal fällt die Conrad ihr ins Wort.

      „Hör mal, Corinna! Das muss Frankfurt gewesen sein. Bei der Ansage im Hintergrund, das klang wie Gleis Zweiundzwanzig.“

      Der Bahnhof Wiesbaden hat weniger Gleise. Und falls ich recht habe, falls es kein Scherz einer Kinderclique war, hat jemand das Mädchen beauftragt. Das sagt die Stimme ja selbst; sie soll etwas sagen, und es ist wichtig. Der Mann hat ihr vielleicht zehn Euro geschenkt und einen Zettel gegeben mit Corinnas Telefonnummer und Stichwörtern.

      „Du meinst, der Mann, der das Mädchen beauftragt hat ...?,“ fasst Corinna nach.

      „Ja klar, dazu eine harmlose Erklärung und eine kleine Belohnung ...,“ überlegt Frau Conrad.

      Nicht bloß wegen meinem Tick mit Geschlechter-Gerechtigkeit.

      „Wieso der Mann?,“ falle ich unbedacht ins Wort. In Gedanken veranstalte ich wieder eine Art Theaterstück mit dem Geschehen. Und stolpere sofort.

      „Robert, bitte,“ ermahnt Corinna mich, „lass die Spitzfindigkeiten für eine Weile beiseite.“

      „Halt, Schatz, Boss, überleg mal: Ein junges Mädchen auf der Durchreise wird fast immer von jemandem begleitet. Kann also nicht leicht veranlasst werden, für eine fremde Person einen Anruf zu tätigen. Vermutlich war das Kind dort allein oder mit einer Freundin.“

      Weil es in der Nachbarschaft wohnt, und der Bahnhof unterhaltsam und aufregend ist. Oder weil man leicht an das Kleingeld der Reisenden kommt. Frage: Von wem lässt sich ein solches Mädchen leichter ansprechen und überreden? Wem vertraut es eher, einem fremden Mann oder einer Frau? Für mich kann der Auftraggeber das Anrufs auch eine Frau gewesen sein. Wahrscheinlicher als ein Mann.

      „Auf was Sie alles kommen, Herr Berkamp, in der kurzen Zeit? Bemerkenswert und sehr einleuchtend,“ wundert Frau Conrad sich. Und zündet ungewollt die Lunte eines kleinen Sprengsatzes.

      „Machen Sie auch kriminalistisches Coachen für Leute wie mich? Dann sollten wir demnächst über einen Termin sprechen. Beim Honorar erwarte ich allerdings ein spürbares Entgegenkommen.“

      Bei der Frage wird mir spürbar wärmer unterm Hintern.

      Natürlich bestätige ich erfreut ,sehr gern’.

      Umgehend errötet Corinna im Gesicht.

      „Es reicht,“ geht sie lauter als nötig dazwischen. „Ich schmeiße euch gleich raus, alle beide. Wie ihr zwei miteinander Coachen macht, kann ich mir lebhaft vorstellen!“

      Oh Mann! Was halte ich denn davon?

      Frau Conrad verzieht keine Miene und erklärt mit heiterer Stimme:

      „Corinna-Boss, ist dir eigentlich klar, was Du da über Robert und mich sagst?! Ich fürchte, was Beziehungen angeht, bist Du sehr empfindlich. Da fehlt es entweder an Selbstvertrauen oder an Vertrauen. Auf die Dauer tut das keinem von uns gut. Denk mal darüber nach.“

      Rums!

      Beeindruckend deutlich und selbstbewusst.

      Corinna sieht sie an, als wüsste nicht, wie ihr geschieht. Ehe sie zu einer Entgegnung fähig ist, ergänzt Frau Conrad:

      „Das mit dem Coachen habe ich in vollem Ernst gesagt. Hin und wieder in Ruhe mit einem Außenstehenden, der Sinn für Kriminalistik hat, über unsere Arbeit sprechen, das kann uns nur zugute kommen, meinst Du nicht?! Deswegen bist Du trotzdem die beste Chefin, die ich seit langem hatte.“

      Mir