Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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Annahme zweier Täter.

      Sehr viel schlauer macht mich das nicht.

      *

      Frau Röderer hat inzwischen die Briefkästen fertig gewischt und erwartet mich auf der unteren der drei Eingangsstufen.

      „Un, hat des was genutzt?“

      „Ganz sicher, Frau Röderer. Danke für Ihre Zeit und die guten Ideen. Wiedersehen.“

      Im Weggehen werfe ich einen Blick auf den dichten, immergrünen Busch rechts neben der Haustür. Zwischen der Hauswand und dem Grünzeug ist Platz genug für eine Person, um sich zu verstecken. Wenn jemand erschöpft ist, arglos auf die Haustür zugeht und den Blick nur auf den Briefkasten und das Türschloss ...

      Mist! An den Briefkasten habe ich nicht gedacht, folglich Frau Neskovaja gestern auch nicht danach gefragt. Sie selbst hat ihn auch nicht angesprochen. Ob sie nach der Post geschaut hat? War das rote „H“ schon aufgemalt, als sie heimkam? Oder wurde es später angebracht?

      Von den Angreifern?

      Natürlich gibt es Zufälle.

      Und feige Trittbrettfahrer.

      Wenn es kein Zufall ist und der rote Buchstabe ein „H“? Um wen oder was anzuprangern? In jeder Nachbarschaft gibt es nette und weniger nette Mitmenschen. Die nicht davor zurückscheuen, an Türen, Tore oder Hauswände Beschimpfungen von Leuten zu schmieren, denen sie Übles unterstellen oder anhängen wollen. „H“ wie ... Hure?! Auf dem entsprechenden Briefkasten?

      Dass Leute aus der Nachbarschaft Frau Neskovaja überfallen haben, schließe ich aus. Frau Röderers Hinweis auf die Frau mit Brille und Kapuze bestärkt mich darin. Jemand aus der Umgebung bekommt im Alltag mit, wo die Ärztin wohnt, muss nicht danach suchen.

      Eine eifersüchtige Liebhaberin des adretten Herrn Bucharin? Schwer vorstellbar. Wenn ich von zwei Tätern ausgehe ... das passt nicht zu einer eifersüchtigen Nebenfrau.

      Ein Grund mehr, die Brillenfrau mit Kapuze in Betracht zu ziehen. Gerade, wenn ich von zwei Angreifern ausgehe, von denen einer eine Frau ist.

      Gut, gut, wieder ein Stückchen klüger geworden.

      23

      Mittagsessen im Restaurant? Zu viele Umstände. Zurück nach Hause sind es wenig mehr als zehn Minuten. Auf dem Magnetherd gelingen mir beinahe im Handumdrehen schmackhafte Eintöpfe mit Zutaten eigener Wahl. Wenn sogar Mona mir dafür gelegentlich ein Lob ausspricht, bleibt in der Hinsicht wenig zu wünschen übrig.

      Nach der Mittagspause räume ich Damenunterwäsche sowie meine Oberhemden in die Schränke, hocke am Schreibtisch und notiere das Wichtigste aus Frau Röderers frauenpsychologischen Einsichten.

      Mein Kenntnisstand zum Fall Neskovaja bereitet mir gemischte Gefühle. Was ich seit Samstag Abend herausgefunden habe, dürfte Corinna nur mäßig beeindrucken.

      Mein Herzblatt.

      Ich hätte gern mehr von ihr als unsere Wochenenden. Mit dem Auto braucht man von hier über Eschborn zum Präsidium selten mehr als fünfzehn Minuten. Gemeinsames Wohnen geht weniger ins Geld und verträgt sich besser mit meiner Vorstellung von Beziehung. Jeden Morgen miteinander aufwachen, sich beim Frühstück zwischen Müslikauen und Teeschlürfen etwas Nettes sagen, meine Hauptkommissarin vor dem Aufbruch zum Dienst mit einem Küsschen verabschieden.

      Ist das zuviel verlangt?!

      Mona arbeitet in Fechenheim. Dass sie während der Arbeitswoche in ihrer kleinen Wohnung nahe dem Ostpark schläft, ist klug und praktisch. Erspart ihr den morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr von Steinbach quer durch ganz Frankfurt, locker vierzig Minuten in eine Richtung.

      Meine anfänglichen Versuche, Corinna zum dauerhaften Zusammenleben zu überreden, verfingen nicht. Erstens liefe uns das nicht weg, zweitens sollte ich sie – in unserem jugendlichen Alter – nicht mit Beziehungsromantik nerven und drittens endlich anerkennen, dass sie eine sehr umgängliche Frau geblieben sei. Trotz gut zwanzig Jahren als Alleinerziehende.

      Natürlich findet sie die Gründe für ihre Haltung überzeugend; für mich jedoch sprechen sie klar für das Zusammenleben; natürlich. Auch wenn Corinna gern beteuert, dass ihre Liebe zu mir nicht von wenigen Stunden Freizeit abhängt, dass sie niemandem so sehr vertraut wir mir. Wahrscheinlich ist sie nur die gelebte Bestätigung für eine in ihren Kreisen oft zu hörende Redensart. Danach sind gute Polizisten an erster Stelle mit ihrem Beruf verheiratet.

      Vor mehreren Monaten hat Corinna mich – mit Billigung ihres Chefs – einige Male auf die Schießbahn im Präsidium mitgenommen. Wer sie dabei beobachtete, wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass sie von Freitag bis Montag ein Doppelbett mit mir teilt. Doch seit meiner Rückkehr aus Kalifornien ist diese von mir gern gepflegte Gemeinsamkeit nach und nach seltener geworden.

      Gründe für die weniger werdenden Schießtreffen fanden sich bei Corinnas schnell wechselnden dienstlichen Verpflichtungen leicht. Dennoch empfand ich manche ihrer Absagen eher wie Ausreden.

      Meine verbesserten Schießkünste begleitete sie anfangs mit milder Verwunderung, später mit spitzen Bemerkungen. Richtig abfällig äußerte sie sich, als ich den Fehler beging, das hervorragende Training durch Tammy Quan, eine amerikanisch-chinesische Personenschützerin, und Black Buffalo Carey zu erwähnen. Meine Freude am Schießtraining mit Corinna erhielt dadurch einen spürbaren Dämpfer. Ich schätze, das ist eine der alltäglichen Reibflächen, die am Reiz des Zusammenlebens mehr oder weniger unvermeidbar schleifen.

      Zum Glück ist Corinna weiterhin für Überraschungen gut. Als ich im Februar von mir aus anfing, regelmäßig in der Sportschule an der Mainzer-Landstraße zu üben, erwachte in ihr eine neue Lust am Pistolentraining.

      Schließlich hatte sie selbst mich erstmals auf diese private Schießbahn „entführt“. Zwei Tage nach dem verhängnisvollen Schusswechsel mit Oberkommissar Schuster im vergangenen August. Damals brachte sie mir – in einer Art therapeutischer Absicht – die Grundlagen des Pistoleschießens bei. Inzwischen darf ich ihr ein- oder zweimal im Monat vorzugsweise mittwochs einige der Griffe und Bewegungen zeigen, die meinen Umgang mit dem Schießgerät seit Kalifornien nachhaltig verbessert haben.

      Dennoch überkommt mich hin und wie ein schales Gefühl, wenn wir nach dem Schießen und einem Espresso an der Sportstudio-Bar in die Autos stiegen und zu getrennten Schlafstätten davonfahren.

      *

      Heute steht kein abendliches Rumballern an. Somit auch keine Gelegenheit, ihr von meinen Erkundigungen bezüglich ihres Falls zu berichten. Sie wie ein oberschlauer Schüler anzurufen – Frau Lehrerin, ich weiß was – widerstrebt mir. Dabei werden Corinnas Ohren zuverlässig taub. Trotzdem wähle ich ihre Festnetznummer. Es klingelt lange. Aber niemand nimmt ab.

      Ein Anruf auf ihrem Mobiltelefon kommt ihr – außer in dringenden Fällen – meist ungelegen. Das hat sie mehrfach erklärt. Eine kleine Aufmunterung oder liebgemeinte Grüße zwischendurch per Telefon empfindet sie albern, wenn nicht gar als ärgerliche Störung.

      Doch die Ergebnisse meiner Nachforschungen wollen weitergegeben werden; böten einen Vorwand für eine vergnügliche Plauderei.

      Neuer Anlauf.

      Beim zweiten Klingeln meldet sich Oberkommissarin Conrad. Sie kommt sofort auf das zu sprechen, was wichtig ist.

      „Hallo! Sehr schön. Sie melden sich unaufgefordert,“ trällert sie. „Das erleichtert meine Aufgabe als Ihre Bewährungshelferin. Wie sagten Sie so richtig: Hauptsache, es bleibt in der Familie. Jedenfalls haben Corinna und ich herzhaft gelacht.“

      „Hurra, ich fühle mich fast schon geheilt. Obwohl, auch Schokoladensüchtige erleiden Rückfälle.“

      „Kein Problem,“ findet die Conrad vergnügt; „Sie dürfen nur zur Schokolade greifen, wenn ich in der Nähe bin. Dann erfasse ich ganz fürsorglich Ihre Hand und unterbreche den Griff