Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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später im Schlafanzug aus dem Badezimmer kommt, bleibt sie einen Augenblick unentschlossen an der Küchentür stehen.

      „Ab in die Federn, Mona. Sonst drohe ich dir ein Schlaflied an.“

      Sie lässt ihre Zimmertür einen Spalt breit geöffnet. Ich gehe hinein, ziehe die Bettdecke zu ihren Schultern hoch und zerzause ihre Haare.

      „Gute Nacht, Schatz!“

      „Gute Nacht, Berkamp. Und danke.“

      Entgegen meiner Befürchtung finde ich Corinna nicht als hellwaches, heulendes Elend, sondern tief im Schlaf, als ich leise ins Bett neben ihr krieche. Ihr gleichmäßiger, ein wenig summender Atem hilft mir beim zügigen Einschlafen.

      29

      Der Samstagmorgen fängt gut an.

      Das Bett neben mir ist leer.

      Aus der Küche dringt der gedämpfte Klang munterer Frauenstimmen. Ich nehme mir Zeit für Streck- und Kraftübungen sowie die Morgentoilette. Als ich, wie üblich in Jeans, Oberhemd und Sweatshirt, die Küche betrete, würdigen mich meine zur Zeit liebsten aller Frauen kaum eines Blicks. Von einem Morgengruß ganz zu schweigen. Immerhin hat eine von ihnen mir die Müslischüssel bereitet.

      Corinna, schräg auf den Tisch gestützt mit dem Rücken zu mir sitzend, bespricht mit Mona den bevorstehenden Einkaufsbummel, gießt mir beiläufig Orangensaft über das Müsli. Unsere alltäglichen Umgangsformen.

      Die Welt ist wieder in Ordnung.

      Ich setze mich, beginne wortlos, Müsli zu löffeln.

      Corinna, bereits in Jeans und hellbrauner Bluse, hält sich an ihrem Teepott fest. Sie schaut flüchtig über den Tisch zu mir, zieht die Lippen zu einem angedeuteten Küsschen zusammen.

      Mona löffelt, wieder im dunkelgrünen Hausanzug, zufrieden die Reste ihres Müslis, grinst schelmisch in meine Richtung, deutet mit dem Kinn in Richtung Corinna.

      „Hör zu, Berkamp. Meine dumme Mutter und ich haben zwei weitreichende Beschlüsse gefasst. Am nächsten Mittwoch komme ich mit zum Schießtraining. Du bringst uns bei, was Du von Black Buffalo Carey gelernt hast. Bitte, sag ,Ja!’“

      „Mein kluges Töchterchen weiß manchmal besser als ich selbst, was uns gut tut,“ ergänzt Corinna gelassen.

      Sie ist bereits geschminkt, sieht ausgeschlafen und gut aus.

      Mona steht auf, trinkt ihren Teepott leer und erklärt:

      „Leute, ich mache mich stadtfein, dann touren wir los. Nach dem Essen darf Berkamp seinen beiden Frauen ein Geschenk unserer Wahl kaufen. Anderenfalls drohen wir mit Liebesentzug. Auf geht ’s.“

      *

      Wir fahren mit meinem X-3. Während wir gemächlich durch Weißkirchen in Richtung Frankfurter Nordweststadt rollen, meldet sich Mona von der Mitte der Rücksitzbank.

      „Ach ja, ich muss noch den zweiten Beschluss verkünden. Angenommen, Berkamp, Mammi würde dich bitten, sie zu coachen ... kleine Dinge, wie gestern Abend ... na ja, wo wir ... Du weißt schon ... der Zoff gestern. Was hältst Du davon?“

      „Ich halte mich lieber an die Wirklichkeit.“

      Mona versetzt mir einen Klaps auf die Schulter.

      „Mann, Du weißt genau, was ich meine. Würdest Du das machen?“

      „Ich übernehme keine hoffnungslosen Fälle.“

      „Dafür gehört dir der Hintern verhaut,“ mischt sich Corinna ein.

      „Aber nicht, während ich fahre.“

      Mona kichert, lässt nicht locker.

      „Was ist, wenn sie dich ganz lieb bittet?“

      „Dann schicke ich sie weg. ... Wegen erwiesenem Mangel an Veränderungswillen.“

      Worauf Corinna „anmaßender Klugscheißer“ befindet. Ein augenzwinkernder Blick zur Seite bestätigt: Sie verfolgt den Wortwechsel zwischen Mona und mir mit erheiterter Gleichgültigkeit.

      Mona überlegt mehr zu sich selbst:

      „Hm, erwiesener Mangel ... genau das kann man doch ändern, oder?“

      „Tun wir andauernd, Mona-Schatz. Unser alltägliches Zusammenleben ist Coachen genug ... für alle drei.“

      „Wie wahr,“ bestätigt Corinna, „dafür sorgst Du unermüdlich.“ Und an Mona gerichtet: „Weil selten ein Typ so anstrengend ist wie Robert, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte.“

      „Nach diesem Lob aus berufenem Munde bekenne ich mich schuldig im Sinne der Anklage,“ gebe ich zu verstehen.

      Worauf Corinna mir grinsend die Zunge rausstreckt.

      Die Regenwolken des frühen Morgens haben sich verzogen. Die Luft ist mild und die Sonne am hellblauen Himmel verspricht einen freundlichen Samstag. Wir parken am Gerhart-Hauptmann-Ring vor dem Häuserblock, in dem Corinnas Wohnung liegt. Von hier schlendern wir einige hundert Meter hinüber zum Nordwest-Zentrum. Ein weitläufiger, von außen grauer, innen lebhafter, mehrstöckiger Betonklotz mit Boutiquen, Kaufhäusern und Restaurants in großer Auswahl unter einem riesigen Gewölbe aus silbrigen Stahlstreben und viel Glas.

      „Mir ist heute stark nach Fisch zu Mute,“ bekennt Corinna auf der Rolltreppe ins erste Obergeschoss.

      „Gute Idee, mir auch,“ erklärt Mona.

      „Schön. Gegen Halbeins, schafft ihr das? Corinna, Mona? Da drüben am Eingang des Fischrestaurants?“

      „Okey-dokey, hoffentlich reicht unser Geld bis dahin,“ verkündet Corinna, hakt sich bei ihrer Tochter ein und zieht sie beschwingt mit sich.

      *

      Kurz nach halbeins gegenüber dem Eingang zum Fischrestaurant.

      Zu den Aufgaben des wohlerzogenen Ehemanns, in unserem Fall auch Lebenspartners, gehört, ergeben zu warten, bis seine Angebetete aus ihrem Konsumrausch erwacht. Wenn sie schließlich mit der selbstverständlichen Verspätung am verabredeten Treffpunkt erscheint, hat er gefälligst seine Freude überzeugend zum Ausdruck zu bringen. Wobei die Freude mit der Dauer des Wartens unweigerlich abnimmt.

      Fünfzehn Minuten später. Von Corinna ist weit und breit nichts zu sehen. Wenige Minuten vor ein Uhr entdecke ich Monas Gesicht im Strom der vorbeibummelnden Menschen. Wer sie nicht kennt und zufällig genauer hinschaut, mag Langeweile in ihren Augen lesen. Für mich ist die Mischung aus Enttäuschung und Verärgerung sogleich erkennbar.

      Als sie mich sichtet, hebt und senkt Mona ratlos beide Schultern. Neben ihrer zerknautschten Lederhandtasche trägt sie den Stoffbeutel eines Buchladens.

      „Mangel an Veränderungswillen! Mann, Berkamp,“ ruft sie, noch in gut fünf Meter Entfernung, „Echt hoffnungslos. Mammi kommt nicht.“

      Aha! Sind wir jetzt überrascht? Zumindest leicht verstimmt. Mona lehnt sich neben mich mit dem Rücken an das Edelstahlgeländer, das den breiten Weg entlang der Läden begrenzt.

      „Mammi ist weg, dienstlich, was sonst. Wir waren gerade in der Wäscheboutique eine Etage höher. Ich wollte ihr ein paar heiße Dessous schmackhaft machen. Da plärrt ihr Handy. Ich hasse das.“

      Natürlich ... das Ding hat kaum losgetönt, schon hängt Corinna dran. Bla-bla-blah, wie leid es ihr tut; Mona kennt das alles zur Genüge. Und sie soll mir bitte bescheid sagen.

      „Weißt Du, wie das ist, Berkamp? Ruckzuck einfach stehen gelassen werden, so kam ich mir vor, mal wieder.“

      Mit jedem Satz klingt sie mehr verärgert.

      „Stimmt, das ist doof, Mona!“

      Was blieb ihr anderes übrig?! Sie hat ihren Frust in einem Pott Kaffee ertränkt, sich