Matthias Hahn

Wächter des Paradieses - Teil 3


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gewesen sein. Victor soll diesem Mann erklären, dass ich nicht widerlegen kann, dass das Ding nicht doch von einem Drachen stammt.“

      Victor folgte dieser Aufforderung, was den Bauern sichtlich zufrieden stellte.

      „’aben Sie das auch im Wald gefunden?“, wollte Victor von ihm wissen.

      „Nein, dasch schtammt ausch dem Garten der Feen.“

      „Sie waren also doch dort oben?“, hakte Tabea nach.

      „Nein, mein Sohn“, antwortete der Bauer mit Tränen in den Augen. „Er war erscht viertschehn, alsch er diesche Knochen entdeckt hat.“

      „Haben Sie ihn verloren?“, fragte Tabea mitfühlend.

      Der Alte nickte. „Er lebt in Parisch und läscht höchschtensch noch alle Schaltjahre wasch von schich hören. Ja, dasch ischt der Lauf der Welt.“

      „Das ist ja großartisch“, schimpfte Victor, als sie die Scheune verlassen hatten. „Wo führt ihr misch denn eigentlisch ’in. An einen Ort, wo giftige Spinnen, riesige Schlangen und vielleischt sogar Drachen leben? Seid ihr denn wahnsinnisch?“

      „Übertreibe nicht“, brummte Theo. „Diese Tiere können da oben gar nicht überleben. Sie müssen aus irgendeinem Wanderzirkus stammen. Die Winter hier sind viel zu kalt für Vogelspinnen und Riesenschlangen.“

      „Und wenn es dort irgendwelche Höhlen gibt?“, schaltete sich Richard ein.

      „’öhlen?“

      „Wo es warm bleibt im Winter?“ Richard ließ sich durch Victors entsetzten Zwischenruf nicht stören. „Du hast doch gesagt, Theo, der Talkessel sei vulkanischen Ursprungs.“

      „Vulkanischen Ursprungs?“, hakte Victor aufgeregt nach. „Auch das noch!“

      „Der Vulkan hat schon seit über zehntausend Jahren kein Feuer mehr gespuckt“, beruhigte Theo. „Aber immerhin, ausschließen kann man nicht, dass es noch irgendwo Restwärme gibt. Und die Gräser und die Araukarie, die wir dort gefunden haben … Seltsam, alles sehr seltsam. Das müssen wir unbedingt untersuchen.“

      „Also isch schlage vor, dass wir besser einen Ausflug nach Clermont-Ferrand machen. Es soll dort eine rescht ’übsche Bibliothek geben.“

      „Wir können dich gerne nach Bressoarde zurückfahren, wenn du Angst hast“, schlug Richard vor.

      „Angst?“, brauste Victor auf. „Isch ’abe doch keine Angst. Isch frage doch nur, ob ihr wirklisch an diesen verfluchten Ort gehen wollt. Lassen wir doch die Feen in Ru’e schlafen.“

      „Wir gehen hin“, entschied Tabea mit einem Ton in der Stimme, der keinen Widerspruch zuließ.

      Richard und Theo nickten zur Bekräftigung.

      „Kommst du jetzt mit, Victor?“, forderte Tabea den Franzosen heraus.

      „Natürlisch“, seufzte dieser. „Wer soll eusch denn sonst zurück’alten, wenn ihr in euer Verderben rennen wollt? Einer muss doch in diesem verrückten ’aufen ’ier bei Verstand bleiben.“

      *

      Der Besuch in Angoume hatte die Freunde mehr Zeit gekostet, als sie eingeplant hatten. Als sie endlich den Abstellplatz vom Vortag erreicht und den VW-Bus entladen hatten, war die Sonne schon auf zehn Grad über den Horizont gesunken. Bis zum Untergang des Tagesgestirns blieb ihnen höchstens noch eine Stunde.

      Mit dem Gepäck auf dem Rücken kamen sie langsamer voran als am Vortag. Sie folgten dem Pfad, bis er sich verlor, doch als sie sich dann den Hang zum Krater hinaufquälten, fanden sie in der hereinbrechenden Dämmerung die Furche nicht mehr, die sie am vorigen Tag in den Talkessel geführt hatte.

      „Ist das nischt ein Wink des Schicksals?“, fragte Victor in die Runde. „Sollten wir nischt besser umkehren?“

      „Wir müssen uns mehr links halten“, beurteilte Theo die Situation. Richard und Tabea nickten. Dem Biologen trauten sie die beste Orientierungsgabe von allen zu.

      „Warum ’ört denn niemand auf misch?“

      Eine Viertelstunde später standen sie tatsächlich am Kraterrand. Das herrliche Panorama entschädigte sie für die Schlepperei. Im Schimmer des Abendrots glänzten die drei Basaltnadeln in königlichem Purpur. Doch um dorthin zu gelangen, mussten sie zuerst noch ein Hindernis überwinden: die Kraterwand. Über hundert Meter stürzte sie vor ihren Füßen in die Tiefe.

      „Ihr wollt doch nischt etwa da runterklettern?“, stammelte Victor entsetzt.

      „Hast du eine bessere Idee?“, entgegnete Tabea.

      „Aber wir ’aben doch keine Seile.“

      „Dann muss es eben ohne gehen.“

      „Das ist Selbstmord.“

      „Wir könnten am Kraterrand entlang marschieren, bis wir auf die Schlucht von gestern stoßen“, schlug Theo vor. „Dann gehen wir an der Schlucht entlang bis zu ihrem Anfang und von dort durch die Schlucht in den Krater. Das dauert zwar ein bisschen länger, aber dafür wird sich auch niemand ein Bein brechen.“

      „Wenigstens einer unter eusch, der noch ein wenisch Verstand beisammen ’at.“

      Der Kraterrand verlief unebener, als er am gestrigen Tag von unten gewirkt hatte. Immer wieder ging es bergauf oder bergab, immer wieder mussten sie stacheligen Gehölzen ausweichen, und immer wieder mussten sie kleinere Furchen überwinden. In der zunehmenden Dunkelheit wurde es von Minute zu Minute schwerer, den Steinen und Wurzeln auszuweichen. Vor allem Victor stolperte andauernd über Hindernisse. Doch endlich standen sie vor der gesuchten tiefen Klamm. Eine weitere halbe Stunde verging, bis sie durch die Schlucht in den Talkessel gelangt waren. Die drei Felsen wirkten wie schwarze Fangzähne in der tiefen Nacht, die inzwischen hereingebrochen war. Im Licht ihrer Taschenlampen mussten sie die Zelte aufschlagen, aber schließlich war auch diese Arbeit getan.

      Eine halbe Stunde später saßen sie an einem gemütlichen Lagerfeuer und streckten ihre schmerzenden Beine aus.

      „Da, eine Sternschnuppe.“ Tabea zeigte in den Himmel.

      „Jetzt darfst du dir etwas wünschen“, meinte Richard. „Aber nicht verraten, was.“

      „Also isch wünsche mir, dass wir das alles ’ier ’eil überstehen.“

      „Kannst du denn nicht einmal einfach die Ruhe hier genießen?“, knurrte Theo ein wenig genervt.

      „Isch versuche es ja, aber wenn isch an die Spinnen und Schlangen denke, die uns dieser Bauer gezeigt ’at … Isch glaube, isch werde in dieser Nacht kein Auge zutun. Apropos Ru’e. Ist eusch schon aufgefallen, wie absolut still es ’ier ist? Kein Vogel, noch nischt einmal eine Grille ist zu ’ören.“

      „Stimmt“, stellte Richard fest und holte eine durchgebackene Kartoffel aus dem Feuer. „Seltsam. Warum nur?“ Nachdenklich befreite er den Erdapfel von der anhaftenden Asche.

      „Wahrscheinlisch, weil die Spinnen und Schlangen alle Grillen und Vögel aufgefressen ’aben.“

      „Warum ist es eigentlich so dunkel hier?“, wunderte sich Tabea. Sie erhob sich und ging ein paar Schritte auf die Basaltfelsen zu.

      „Es ist mehr Feuchtigkeit in der Luft als in den letzten Nächten“, dozierte Theo. „Das dämpft das Sternenlicht. Nicht selten das erste Anzeichen für einen Wetterumschwung.“

      „Das ist ja wundervoll.“ Nun erhob sich auch Victor und gesellte sich zu Tabea. „Wenn es regnet, bleiben die Spinnen vielleischt in ihren Löschern.“

      „Glaube ich nicht“, widersprach Theo. „Was wir bei dem Bauer gesehen haben, waren allesamt feuchtigkeitsliebende Exemplare aus dem tropischen Regenwald.“

      „Du verstehst disch darauf, andere aufzu’eitern, mein Freund.“

      Der Schrei eines