Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3


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von dich­ten Wim­pern, schau­ten Le­na un­ter brei­ten hoch­ge­zo­ge­nen Brau­en über ein Alt­bier­glas hin­weg an.

      Ty­pisch Ma­ri­us, dach­te Le­na zer­knirscht und stell­te zum wie­der­hol­ten Ma­le fest, dass es wohl nur einen Mann hier in ganz Düs­sel­dorf gab, der gleich­zei­tig re­den und trin­ken konn­te. Dass der sich da­bei nicht ver­schluckt, über­leg­te sie.

      Wie aufs Stich­wort muss­te sie nun sel­ber hef­tig hus­ten, weil ihr ein Körn­chen vom di­cken Kris­tall­zu­cker­rand des Cock­tail­gla­ses in die falsche Röh­re ge­ra­ten war. Froh, dass ihr die sü­ße Plör­re nicht gleich wie­der zur Na­se her­aus­kam, hol­te sie tief Luft. Sie zog ein Pa­pier­ta­schen­tuch aus ih­rer Hand­ta­sche, um sich die auf­stei­gen­den Hus­ten­trä­nen ab­zu­wi­schen und ein dro­hen­des Mas­ca­ra-Fi­as­ko ab­zu­wen­den.

      »Na, du bist heu­te aber schräg drauf«, kom­men­tier­te Ma­ri­us.

      »Oh, vie­len Dank auch für dein Fein­ge­fühl. Das ist ge­nau das, was ich jetzt brau­che«, gab sie spitz zu­rück.

      »Weißt du, Le­na, ich hät­te er­war­tet, dass du heu­te ein biss­chen net­ter zu mir bist, wo du mich ges­tern schon ver­setzt hast.«

      »Ich ha­be dich nicht ver­setzt, Ma­ri­us. Wie oft muss ich dir das ei­gent­lich noch er­klä­ren?« Sie ver­dreh­te ent­nervt die Au­gen. »Das ges­tern war halt ein­fach ein ge­müt­li­cher Fa­mi­li­en-Spie­le-Abend nur un­ter uns Nells, ver­stehst du?«

      Le­na gab sich ganz sou­ve­rän, ob­wohl ihr die Er­in­ne­rung an die­sen Fa­mi­lie­n­abend mit ih­ren El­tern und bei­den Ge­schwis­tern im­mer noch einen Schau­er über den Rü­cken jag­te. Sie woll­te aber nicht dar­über nach­den­ken. Nicht jetzt und auch nicht spä­ter!

      »Nein, ver­steh ich eben nicht«, gab Ma­ri­us pat­zig zur Ant­wort und strich sich da­bei ei­ne pech­schwa­r­ze Haar­sträh­ne aus dem Ge­sicht.

      … Sein Haar war im­mer ein we­nig stör­risch und woll­te nie so wie er. Ge­ra­de sein Haar fand Le­na be­son­ders an­zie­hend. Schließ­lich war sie Fri­seu­rin, zwar noch in der Aus­bil­dung, aber da kann­te sie sich aus. Und sein fast schon blau­schwa­r­zes Haar hat­te es ihr von An­fang an an­ge­tan.

      Da­mals, als sie mit Stef­fi im Sun­ny-Club war und er sie dort an­sprach, hat­te er es sich auch stän­dig aus der Stirn strei­chen müs­sen. Sie fand das ein­fach süß. Au­ßer­dem sah er wirk­lich fan­tas­tisch aus. Ein at­trak­ti­ves Ge­sicht, tol­le Fi­gur, rund­her­um ei­ne Sah­ne­schnit­te. Das hat­te je­den­falls Stef­fi sei­ner­zeit ge­meint. Heu­te war ih­re bes­te Freun­din al­ler­dings nicht mehr ganz so gut auf Ma­ri­us zu spre­chen. Denn seit Le­na mit ihm zu­sam­men war, be­ka­men sich Stef­fi und sie kaum noch zu Ge­sicht.

      Er wä­re halt mehr ein Fa­mi­li­en­mensch, hat­te er sich letz­tens erst ver­tei­digt. Tat­säch­lich hiel­ten sie sich recht häu­fig bei ihr zu Hau­se oder in sei­ner Woh­nung in Düs­sel­dorf auf. Sei­ne Fa­mi­lie hin­ge­gen hat­te sie bis­lang noch nicht ken­nen­ge­lernt, weil die in ei­nem klei­nen Ört­chen bei Han­no­ver wohn­te.

      Oh­ne wei­te­re Um­schwei­fe ge­lang­ten ih­re Ge­dan­ken nun wie­der zu ih­rer ei­ge­nen Fa­mi­lie. Wie konn­te das al­les nur mög­lich sein? …

      »Le­na, ver­dammt, ich re­de mit dir!«, schnauz­te Ma­ri­us sie nun an. »Kannst du mir nicht mal zu­hö­ren, we­nigs­tens ab und zu? Mann, da wär ich schon zu­frie­den«, mur­mel­te er noch hin­ter­her.

      Sie schnitt den letz­ten Ge­dan­ken­fa­den ab und seufz­te schwer. »Na, dann lass es halt.«

      »Was? Was soll das hei­ßen: Na, dann lass es halt?«

      »Hhm?« So ganz war sie wohl doch nicht bei der Sa­che.

      »Lee­naa, was soll ich las­sen?«

      »Was du willst, Ma­ri­us. – Mich ver­ste­hen, mit mir re­den.«

      Ma­ri­us’ gol­de­ner Teint färb­te sich leicht röt­lich. »Ich hab mich den gan­zen Tag auf dich ge­freut. Nun sei doch nicht so zi­ckig!«

      »Zi­ckig? Sag mal, geht’s noch?« Le­na konn­te es nicht fas­sen. Merk­te er denn nicht, wie schlecht sie drauf war? Zu al­lem Über­fluss wür­de er sie be­stimmt gleich fra­gen, ob sie ih­re Ta­ge hät­te. Das hat­te er schließ­lich schon ein­mal ge­bracht. Am bes­ten kä­me sie ihm zu­vor: »Ma­ri­us, ich bin ein­fach hun­de­mü­de und ka­putt. Das war heu­te ein an­stren­gen­der Tag. Au­ßer­dem ha­be ich Kopf­weh.«

      »Ach nee! – Und heut Abend hab ich Kopf­weh. – Na pri­ma, das ist doch wohl nicht dein Ernst?«, maul­te er. »Wir wa­ren ges­tern schon nicht zu­sam­men.«

      Le­na spür­te die Hit­ze in sich hoch­schlei­chen und wie sie pu­ter­rot vor Är­ger wur­de. Wenn Ma­ri­us glaub­te, dass sie mit ih­ren neun­zehn Jah­ren die­sen Song von Ireen Sheer nicht ken­nen wür­de, dann irr­te der sich aber ge­wal­tig. Schließ­lich hat­te sie ei­ne Mut­ter, die das Lied nur zu ger­ne beim Kar­tof­fel­schä­len in der Kü­che mit­s­ang, wenn es im Ra­dio lief, und sich da­bei im­mer köst­lich amü­sier­te.

      »Al­so gut, Ma­ri­us, hör mir zu. Du fragst mich nicht, wie mein Tag war. Ich dich schon. Du fragst mich nicht, wie es mir geht. Ich dich schon. Du fragst ja nicht mal, was ich nach Fei­er­abend ma­chen möch­te oder was ich trin­ken will, son­dern du be­stimmst es mal wie­der. Und wenn du jetzt auch nur an­satz­wei­se glaubst, dass ich heu­te zu dir in die Kis­te hüp­fe, dann hast du dich aber ge­schnit­ten, mein Freund!«

      »Sag ich doch: Kopf­weh.«

      »Ja, das ha­be ich. Und du hast nicht ge­ra­de da­zu bei­ge­tra­gen, dass es mir bes­ser geht, ganz im Ge­gen­teil. Ach, was re­de ich über­haupt?«

      Sie kram­te einen Zeh­neu­ro­schein aus der Hand­ta­sche, knall­te ihn auf den quiet­schro­ten Re­so­pal­tisch und schnapp­te sich ih­re Ja­cke.

      Noch wäh­rend Ma­ri­us mit Stau­nen be­schäf­tigt war, mein­te sie: »Für den köst­li­chen Drink. Mach’s gut, Ma­ri­us. Tschö!«

      »Le­na, ver­dammt!«, brüll­te er ihr hin­ter­her.

      Doch sie dreh­te sich nicht mehr um, son­dern ging ein­fach wei­ter und mach­te ih­rem Un­mut mit ei­ner rü­den Ges­te des Mit­tel­fin­gers ih­rer er­ho­be­nen lin­ken Hand Luft.

      Sie hielt nicht mehr an, bis sie an der Bus­hal­te­stel­le an­ge­kom­men war, igno­rier­te das stän­dig nör­geln­de Han­dy und stell­te es dann kur­zer­hand aus. Glü­ck­li­cher­wei­se kam ihr Bus schon bald, brach­te sie zum fünf­zehn Ki­lo­me­ter ent­fern­ten Hei­matört­chen und da­mit auch nach Hau­se. End­lich!

      ***

      Ei­ne Stun­de spä­ter hat­te Le­na ein Aspi­rin ge­schluckt, sich die Zäh­ne ge­putzt, ge­wa­schen, sorg­fäl­tig ab­ge­schminkt und ein­ge­cremt und ihr pe­ni­bel ge­bürs­te­tes Haar zu ei­nem lo­cke­ren Zopf ge­floch­ten. Ih­re El­tern schlie­fen be­reits. Der zwan­zig­jäh­ri­ge Bru­der Jens war be­stimmt noch bei sei­ner Freun­din Sil­vi. Al­so leg­te sie sich in der Hoff­nung, mög­lichst bald ein­zu­schla­fen und zu ver­ges­sen, im ku­sche­li­gen Fla­nell­py­ja­ma ins Bett.

      Das Han­dy hat­te sie nicht wie­der ein­ge­schal­tet. Mit dem Ty­pen war sie end­gül­tig fer­tig. Der war ihr be­reits seit ge­rau­mer Zeit ziem­lich auf die Ner­ven ge­gan­gen