Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3


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mir, was Ma­ma und Pa­pa mei­nen.«

      Stirn­run­zelnd ver­folg­te sie, wie ih­re Schwes­ter ver­le­gen die Bril­le zu­recht­rück­te und das Ge­sicht ver­zog, als woll­te sie gleich los­heu­len. Das pass­te gar nicht zu ihr. Je­den­falls seit ei­ni­ger Zeit nicht mehr. Frü­her ja. Aber jetzt?

      An­na hat­te sich näm­lich stark ver­än­dert, seit sie ih­ren Vik­tor ken­nen­ge­lernt hat­te. Einen tol­len, wirk­lich fan­tas­tisch aus­se­hen­den Ty­pen, wie Le­na fand. Manch­mal war sie so­gar ein klei­nes biss­chen nei­disch.

      Vik­tor wirk­te mit sei­nen fast neun­zehn Jah­ren eben­so er­wach­sen wie An­na. Er war stets auf­merk­sam und lie­be­voll zu ihr. – An­ders als die­ser Idi­ot Ma­ri­us! Zwar konn­te Vik­tor ab und an auch ziem­lich be­stim­mend sein, doch das nutz­te ihm reich­lich we­nig. An­na ließ sich in­zwi­schen nicht mehr ein­fach so be­vor­mun­den.

      Ja, An­na hat­te sich in den letz­ten Mo­na­ten wirk­lich er­staun­lich ent­wi­ckelt. Dar­über hat­te Le­na sich ge­freut. Doch jetzt be­ob­ach­te­te sie über­rascht, wie ih­re Schwes­ter be­tre­ten rum­drucks­te und dann flink auf dem Bo­den her­um­krab­bel­te, um nach den blö­den Knif­felwür­feln zu su­chen, an­statt ihr zu ant­wor­ten. Das durf­te doch al­les nicht wahr sein!

      Des­we­gen är­ger­te es sie auch, als Jens ein­fach an An­nas Stel­le das Wort er­griff: »Es ist ge­nau, wie Ma­ma ge­sagt hat, Le­na. Vi­tus ist der Kö­nig des west­li­chen El­fen­rei­ches, wirk­lich. Ich war selbst schon ein­mal dort. Glaub mir, das gibt es echt. Wenn du willst, kannst auch du es ken­nen­ler­nen. Aber erst woll­ten wir dir ger­ne er­zäh­len, was an den El­fen so an­ders und so be­son­ders ist, ja, und dass An­na und ich auch nicht ganz so nor­mal sind.«

      Jetzt war es end­gül­tig ge­nug, fand Le­na, und mach­te An­stal­ten auf­zu­ste­hen, wur­de je­doch von Jens dar­an ge­hin­dert, in­dem er sie am Arm fest­hielt. »Halt, halt, Schwes­ter­lein, du bleibst schön hier und hörst wei­ter zu, wie Pa­pa es dir ge­sagt hat. Und weil du so bo­ckig bist, ist es wohl am bes­ten, wenn Vi­tus dir ab jetzt al­les Wei­te­re er­klärt.« Er grins­te wis­send. »Der steht näm­lich schon mit Vik­tor un­ten vorm Haus.«

      Wie auf Kom­man­do stand An­na auf, wa­rf sich das lan­ge gold­blon­de Haar über die Schul­ter und leg­te wort­los die Wür­fel auf den Tisch. End­lich sah sie Le­na mit ih­ren hell­blau­en Au­gen ins Ge­sicht. Ganz trau­rig, fiel es Le­na auf. Als es an der Haus­tür läu­te­te, stürm­te An­na hin­aus. Le­na wur­de das Ge­fühl nicht los, dass ih­re Schwes­ter re­gel­recht flüch­te­te. …

      Tat­säch­lich wa­ren es Vik­tor und Vi­tus ge­we­sen, die ge­klin­gelt hat­ten. Bei der Er­in­ne­rung dar­an, wie die bei­den ins Wohn­zim­mer ge­kom­men wa­ren, kniff Le­na ge­quält die Au­gen zu.

      Ins­be­son­de­re Vi­tus hat­te sich nicht lan­ge mit Höf­lich­keits­flos­keln auf­ge­hal­ten, son­dern nach ei­ner knap­pen Be­grü­ßung di­rekt mit ihr ge­spro­chen. Ganz freund­lich. – In ih­rem Kopf! Oh­ne sei­ne Lip­pen zu be­we­gen!

      Noch da­zu hat­te Vik­tor sie bei der Hand ge­nom­men. Ihr war so­fort woh­lig warm ge­wor­den, ge­ra­de so, als wür­de die Son­ne in ih­rem Her­zen schei­nen. Mit­ten in ihr drin! Die­se in­ne­re Son­nen­wär­me hat­te sie selt­sa­mer­wei­se be­ru­higt. Im glei­chen Mo­ment war ihr über­deut­lich klar­ge­wor­den, dass al­les, wirk­lich al­les stimm­te, was da an fan­tas­ti­schen Din­gen er­zählt wor­den war. Es schien ver­rückt, aber sie glaub­te all das Un­glaub­li­che. – Fast!

      Okay, es gab al­so El­fen. We­sen mit au­ßer­ge­wöhn­li­chen geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten. We­sen aus ei­ner an­de­ren Welt, die di­rekt ne­ben der ih­ren exis­tier­te. We­sen oh­ne spit­ze Oh­ren oder Flü­gel, aber mit dem Ta­lent, die Ge­dan­ken an­de­rer se­hen und die­se be­ein­flus­sen zu kön­nen. Und die an­schei­nend noch ganz an­de­re pa­ra­nor­ma­le Kräf­te be­sa­ßen. Gut, gut, man könn­te ja mal so tun, als wä­re das ak­zep­ta­bel.

      Aber An­na und Jens? Wie­so konn­ten die bei­den auch in den Geist von an­de­ren ein­tau­chen und sich so­gar auf die­se Wei­se mit­ein­an­der ver­stän­di­gen?

      The­resa hat­te ge­meint, dass es even­tu­ell an ih­rem ver­stor­be­nem Va­ter, al­so Le­n­as Opa, lie­gen könn­te. Vi­tus wä­re wohl noch da­bei, Er­kun­di­gun­gen dar­über ein­zu­ho­len. Doch das war Le­na erst ein­mal völ­lig egal. Für sie er­gab sich vor­ran­gig nur die ei­ne Fra­ge: War­um be­saß sie denn kei­ne solch be­son­de­ren und auf­re­gen­den Ga­ben?

      An sich wi­der­sprach es voll­kom­men ih­rem Na­tu­rell, sich so auf­zu­füh­ren. Noch nie im Le­ben war Le­na der­art miss­güns­tig ge­we­sen. Jetzt je­doch fühl­te sie sich aus­ge­grenzt und min­der­wer­tig, ob­wohl ihr der ge­sun­de Men­schen­ver­stand sag­te, dass das Blöd­sinn war.

      … Nach­dem Vi­tus’ sei­ne »Ge­dan­ke­n­at­ta­cken« auf ih­ren oder bes­ser in ih­rem Kopf be­en­det hat­te, und auch Vik­tor sei­ne »son­ni­ge Spe­zi­al­be­hand­lung«, hör­te sich Le­na noch für ein Weil­chen die wei­te­ren Er­klä­run­gen ih­rer Fa­mi­lie an. Kurz dar­auf stand sie al­ler­dings wort­los auf und ver­schwand in ih­rem Zim­mer. Sie woll­te ein­fach nur noch weg. Weg von die­sen un­fass­ba­ren Din­gen. An­na kam ihr zwar hin­ter­her, um noch­mals mit ihr zu re­den. Doch sie dreh­te der Schwes­ter den Rü­cken zu mit der Bit­te, sie in Ru­he zu las­sen, weil sie et­was Zeit bräuch­te.

      Das tat ih­re Schwes­ter. Die Weih­nachts­fe­ri­en ga­ben ihr die Ge­le­gen­heit, die nächs­ten Ta­ge bei Vik­tor zu Hau­se oder bei Vi­tus auf dem Schloss zu ver­brin­gen. Wo nun ge­nau, das in­ter­es­sier­te Le­na der­zeit einen feuch­ten Dreck.

      An­na war je­den­falls nicht mehr da. Und sie, was mach­te sie? Die Le­na, die sich sonst für so tough hielt? Sie hat­te ein­zig und al­lein im Sinn, so zu tun, als wä­re nichts ge­sche­hen und al­les ganz nor­mal. Sie mied El­tern wie Bru­der am Mor­gen da­nach, ging zur Ar­beit, be­dien­te die Kun­den im Fri­seur­sa­lon wie im­mer freund­lich und zu­vor­kom­mend und wur­de nach Fei­er­abend von Ma­ri­us ab­ge­holt. …

      Ja, und hier schloss sich der Kreis.

      Le­na seufz­te, um Kum­mer und Zorn zu un­ter­drü­cken, was nicht ge­lang. Sie war wirk­lich stink­sau­er, doch ei­gent­lich mehr auf sich selbst. Das er­kann­te sie nun, nach­dem sie das Gan­ze noch ein­mal hat­te Re­vue pas­sie­ren las­sen.

      An­na und Jens konn­ten schließ­lich ge­nau­so we­nig da­für wie sie. Was war sie nur für ein Scheu­sal, so krass zu re­a­gie­ren?

      Jetzt hat­te sie mit ih­rer üb­len Lau­ne auch noch Ma­ri­us ver­grault. Ob­wohl, der hat­te mit sei­nem ei­ge­nen schlech­ten Be­neh­men wohl eher sie ver­grault und konn­te sie des­we­gen mal kreuz­wei­se. Trotz­dem, sie hat­te aus Frust ge­han­delt. Nun war sie so­lo – wie­der mal. Schlag­ar­tig wur­de sie trau­rig, denn plötz­lich fühl­te sich schreck­lich al­lein. Das hat­te al­ler­dings we­ni­ger mit Ma­ri­us zu tun. Nein, es war die Er­kennt­nis, nicht mehr rich­tig zur ge­lieb­ten Fa­mi­lie da­zu­zu­ge­hö­ren, die sie von ei­nem Mo­ment zu nächs­ten so schwer traf. Völ­lig auf­ge­löst wa­rf sie sich zu­rück aufs Bett und fing bit­ter­lich zu wei­nen an.

      Tief in ih­rem Ge­fühls­s­umpf ver­sun­ken be­merk­te sie zu­nächst nicht, dass es an der Tür klopf­te. Des­we­gen war es für einen