Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3


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Sie bil­de­ten einen bi­zar­ren, scha­rf­kan­ti­gen Zick­zack­kurs, über dem sich der Him­mel in ei­nem der­art kla­ren Blau er­streck­te, dass Vi­tus die Trä­nen in die Au­gen tra­ten und er kurz blin­zeln muss­te. »Ich kom­me viel zu sel­ten her.«

      »Da hast du wohl recht«, hol­te Estra ihn aus sei­nen Ge­dan­ken. »Schau nicht so ver­wun­dert drein, Vi­tus.« Das über­rasch­te Stau­nen sei­nes Bru­ders ver­lei­te­te Estra zu ei­nem Lä­cheln. »Seit du mit dei­ner bre­to­ni­schen Ke­ned – Schön­heit Lo­a­na ei­ne Hoch­zeit planst, bist du des Öf­te­ren zer­streut. Ich hab noch nie so viel von dei­nem Ge­dan­ken­gut er­ha­schen kön­nen wie in der letz­ten Zeit.« Estras Lä­cheln blieb un­ver­än­dert. »Sie tut dir gut. Das se­he ich. Ich kann dir gar nicht sa­gen, wie sehr Isi­nis und auch mich das freut.«

      Nun wur­de Estra ernst und schlug einen ge­schäfts­mä­ßi­gen Ton an: »Schau dir den Bur­schen doch nach­her mal an. Ich ha­be Sen­tran ex­tra her­ge­holt, da­mit ihr euch auf neu­tra­lem Ge­biet ein we­nig be­schnup­pern könnt.«

      »Gut, mach ich«, er­wi­der­te Vi­tus knapp. Mit ei­nem Mal wur­de er still. Nach­denk­lich senk­te er den Kopf, um sei­ne Über­le­gun­gen samt der er­neut auf­stei­gen­den Trau­er vor Estra zu ver­ber­gen.

      »Si­stra war ein gu­ter Mann, Vi­tus.« In Estras Stim­me lag stil­les Be­dau­ern. »Er war nicht nur ei­ner dei­ner sechs Eli­te­wach­män­ner. Er war dein Freund, ge­nau wie mei­ner. Und auch Du­rell und Aeda­ma wa­ren un­se­re Freun­de. Nie­mand wird sie je er­set­zen kön­nen. Sie be­hal­ten auf ewig ih­ren Platz in un­se­ren Her­zen.« Er stieß einen ab­grund­tie­fen Seuf­zer aus.

      »Das war ein schwa­r­zer Tag, als Lo­a­nas …«, er schnaub­te, »… so­ge­nann­te Fa­mi­lie die drei er­mor­det hat. Wir bei­de ha­ben schon so man­che dunk­le Stun­de mit­ein­an­der ge­teilt, mein Bru­der. Doch du hast wie schon so oft die Last trotz al­lem al­lein ge­tra­gen.«

      Estra mach­te ei­ne kur­ze Pau­se und nipp­te an sei­nem Glas. »Das hat dir zu­ge­setzt, je­des Mal. Trotz­dem, Vi­tus, dein Le­ben geht nun ein­mal wei­ter. Und in An­be­tracht dei­ner wun­der­schö­nen Ver­lob­ten, wird es von nun an ein sehr, sehr gu­tes Le­ben sein.« Er be­rühr­te sei­nen Bru­der lie­be­voll am Arm. »Wir wer­den un­se­re El­tern und Freun­de und auch Vik­tors und Vik­to­ri­as Mut­ter nie ver­ges­sen, nie­mals. Aber …«

      Vi­tus hob den Kopf und Estra sah in sei­ne ge­quäl­te See­le. »Aber ich brau­che nun mal einen neu­en sechs­ten Wach­mann«, voll­en­de­te er den Satz.

      »Ja, den brauchst du.«

      »Lass uns an­sto­ßen, Estra. Lass uns das Glas er­he­ben auf Aeda­ma und Du­rell, die Iren. Und auf Si­stra, den Wach­mann. Auf un­se­re Freun­de. Und auf all un­se­re Lie­ben, die wir ver­lo­ren ha­ben.«

      Estra füll­te die Glä­ser auf. »Ja, wir trin­ken auf die Iren, auf Si­stra und auf al­le an­de­ren und auf die Ge­sund­heit. Sláin­te!«

      »Ge­nau, auf un­se­re Freun­de und auch auf die Ge­sund­heit!«

      In die­sem Mo­ment be­tra­ten Lo­a­na und Isi­nis den Win­ter­gar­ten.

      »Halt, war­tet, da sind wir na­tür­lich auch da­bei.« Isi­nis goss Lo­a­na und sich je­weils ein Glas ein, um mit an­zu­sto­ßen. »Auf die Ge­sund­heit!«

      »Yec´het mat!« Lo­a­na stieß mit den an­de­ren an, trank den scha­r­fen Schnaps in ei­nem Zug aus und ver­zog so­dann für einen win­zi­gen Au­gen­blick ihr schö­nes Ge­sicht zu ei­ner an­ge­wi­der­ten Gri­mas­se. »Puh! Mat-tre! Ähm, sehr gut.« Wäh­rend sie ihr ho­nig­blon­des Haar schüt­tel­te, leck­te sie sich die Lip­pen und hol­te tief Luft. »Seid ihr euch si­cher, dass die­ses Zeug ge­sund ist?«

      Vi­tus lach­te schal­lend. Lo­a­na schaff­te es im­mer wie­der, sei­ne trü­be Stim­mung zu ver­trei­ben. Er stand auf, leg­te einen Fin­ger un­ter ihr Kinn, um es an­zu­he­ben, und mus­ter­te sie.

      »Hier in den Ber­gen ge­hört es sich, einen gu­ten Obst­ler zu ge­ni­e­ßen.« Er gab ihr einen sanf­ten Kuss. »Was ist, Ke­ned, hat er dir et­wa nicht ge­mun­det?«

      »Hhm? Doch, doch. Mat-tre«, ant­wor­te­te sie. »Das sag­te ich ja be­reits. Aber ein Lam­big oder Ca­l­va­dos schmeckt mir halt doch ein klei­nes biss­chen bes­ser. Noch lie­ber ist mir Cou­chenn oder ein­fa­cher Cid­re

      »Mat-tre? So­so.« Vi­tus ver­sank in ih­ren edel­stein­grü­nen Au­gen und lä­chel­te amü­siert. »Wenn er dir trotz dei­ner Vor­lie­be für Ap­fel- und Ho­nig­wein sehr gut schmeckt, dann könn­ten wir uns ja noch ein Gläs­chen da­von ge­neh­mi­gen. Was meinst du, mei­ne Schö­ne?«

      Lo­a­na trat et­was von ihm zu­rück, reck­te aber forsch das Kinn. Zu­nächst den Kopf in den Nacken ge­legt, um ihn ih­rer ge­rin­gen Grö­ße we­gen bes­ser an­se­hen zu kön­nen, neig­te sie den Kopf nun zur Sei­te und stemm­te die Hän­de in die Hüf­ten. Wie sie so vor ihm stand, muss­te Vi­tus schmun­zeln, gab je­doch nicht preis, was er dach­te: Die­ser An­blick raub­te ihm je­des Mal aufs Neue die Sin­ne. Ge­nau­so fes­selnd hat­te sie an dem Abend aus­ge­se­hen, als sie ihm zum ers­ten Mal im Emp­fangs­saal sei­nes Schlos­ses ent­ge­gen­ge­tre­ten war. Mit die­sem ova­len Ge­sicht, den eben­mä­ßi­gen, lieb­li­chen Zü­gen, der leicht ge­bräun­ten Haut, der klei­nen Na­se und dem vol­len sinn­li­chen Mund. Doch was ihm re­gel­mä­ßig den Atem ver­schlug, wa­ren ih­re leicht schräg ste­hen­den, blit­zend grü­nen Au­gen un­ter sanft ge­schwun­ge­nen Brau­en.

      »Ja­wohl«, ent­geg­ne­te sie mit fes­ter Stim­me. »Wie sagt man doch so schön?: Ein Bein steht nicht gern al­lein.«

      Isi­nis run­zel­te zu­nächst die Stirn und glucks­te dann be­lus­tigt, ver­kniff sich aber of­fen­bar ein rich­ti­ges La­chen. »Ja, so ist es, Lo­a­na. Auf ei­nem Bein kann man nicht ste­hen.« Sie goss al­le Glä­ser wie­der voll. »Yec´het mat

      Es wur­den mehr als zwei Bei­ne. Die Fla­sche mit dem Obst­ler war fast bis zum letz­ten Trop­fen ge­leert. So blieb es nicht aus, dass die Frau­en ir­gend­wann bei ih­ren Män­nern auf dem Schoß sa­ßen und la­chend de­ren Ge­schich­ten aus ih­rer wil­den Ju­gend­zeit lausch­ten.

      Wäh­rend­des­sen spiel­te Lo­a­na ver­son­nen mit dem gol­de­nen Amu­lett, das Vi­tus stets an ei­ner schma­len Ket­te um den Hals trug. Es war mit fei­nen Or­na­men­ten ver­ziert, der Schrift der Vor­vä­ter. Seit Vi­tus mit knapp neun­zehn Jah­ren, nach der Er­mor­dung sei­ner El­tern, als der äl­te­re der bei­den Brü­der den el­fi­schen Thron hat­te über­neh­men müs­sen, wies ihn die­ses Amu­lett als den Kö­nig des west­li­chen El­fen­rei­ches aus.

      Dann ließ sie die Ket­te wie­der los und über­rasch­te mit ei­nem Lied. Lo­a­na be­gann so un­ver­mit­telt zu sin­gen, dass die an­de­ren wie ge­bannt in­ne­hiel­ten. Mit kla­rer, wun­der­schö­ner Stim­me sang sie auf Bre­to­nisch ei­ne Bal­la­de aus ih­rer Hei­mat. Über Lie­be und Trau­er.

      Vi­tus konn­te dem Text nicht rich­tig fol­gen, so fas­zi­nier­te ihn Lo­a­nas Ge­sang.

      Um­so mehr ver­blüff­te es ihn, als sie eben­so ab­rupt zu sin­gen auf­hör­te, wie sie be­gon­nen hat­te, und un­deut­lich mur­mel­te: »Das hab ich lan­ge nicht mehr …«

      Sie schmieg­te sich eng an Vi­tus’