Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3


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an­ge­freun­det.

      »Hey, mei­ne Sü­ße, was sin­nierst du denn so vor dich hin? Komm lie­ber noch ein biss­chen zu mir, wenn du Lust hast. Schließ­lich hab dich seit ge­schla­ge­n­en vier Stun­den nicht mehr ge­se­hen.«

      »War ja klar, dass du es dir nicht neh­men lässt, in mei­nem Kopf rum­zu­spu­ken. Aber ich hät­te wirk­lich noch Lust auf einen Be­such bei ei­nem ver­rück­ten Hal­bel­fen.«

      An­na grins­te schel­misch in sich hin­ein.

      »Ich fra­ge mal Jens, Sil­vi und Le­na, ob sie auch mit­kom­men möch­ten. Jens wür­de sich be­stimmt freu­en, Ke­tu wie­der­zu­se­hen. Und Le­na hat frei. Es ist ja Mon­tag. Ein we­nig Ab­wechs­lung tä­te ihr gut.«

      »Du kannst manch­mal ganz schön ge­mein sein!«, me­cker­te Vik­tor in ih­ren Kopf hin­ein.

      An­na war klar, dass er sie viel lie­ber ganz für sich al­lein bei sich hät­te, und muss­te des­we­gen ein klein we­nig schmun­zeln.

      »Tja, Vik­tor Mül­ler, das Le­ben ist nun mal kein Po­ny­hof!«

      »Po­ny­hof? Wie soll ich das denn bit­te ver­ste­hen?«

      »Das ist nur so ei­ne Re­de­wen­dung, Vik­tor. Bis gleich.«

      »Okay, bis gleich. Freu mich trotz­dem.«

      An­na lä­chel­te im­mer noch, als sie auf­stand und in den run­den Spie­gel an der Zim­mer­wand blick­te. Frü­her hat­te ihr Spie­gel­bild sie re­gel­mä­ßig ver­un­si­chert und aus dem Tritt ge­bracht. Doch jetzt war sie durch­aus zu­frie­den da­mit, trotz ih­rer Bril­le.

      Zwar war das neue Ge­stell mit sei­nem kup­fer­fa­r­be­nen, fast recht­e­cki­gen Me­tall­rah­men und brei­ten Bü­geln er­heb­lich auf­fäl­li­ger als das vor­he­ri­ge Mo­dell, da­für brach­te es ih­re hell­blau­en Au­gen mehr zur Gel­tung. Das trös­te­te An­na dar­über hin­weg, so ein Ding tra­gen zu müs­sen. Und Vik­tor lieb­te sie ja so­wie­so mit Bril­le. Im­mer schon hat­te er das Teil an ihr ge­mocht, was sie so gar nicht ver­ste­hen konn­te.

      An­na schau­te an sich hin­un­ter. Mit ih­rem Gar­de-Mi­ni-Maß von sa­ge und schrei­be eins-drei­und­fünf­zig gab sie ge­gen­über den meis­ten El­fen einen rich­ti­gen Winz­ling ab. Selbst die meis­ten El­fen­frau­en wa­ren er­heb­lich grö­ßer als sie. Nur Lo­a­na und die nor­di­sche El­fe De­n­a­ra bil­de­ten da ei­ne Aus­nah­me, so­weit An­na be­kannt war.

      Sie zuck­te mit den Ach­seln. Sie war eben die Kleins­te in ih­rer Fa­mi­lie und auch un­ter den El­fen und Hal­bel­fen. Was soll’s.

      Die Auf­re­gung der letz­ten Mo­na­te und auch der An­tritt in der neu­en Schu­le hat­ten ihr Ge­wicht auf acht­und­vier­zig Ki­lo schmel­zen las­sen, was ihr durch­aus ge­fiel. Vik­tor und ganz be­son­ders Vi­tus sa­hen das al­ler­dings völ­lig an­ders. Stän­dig ver­such­ten sie, An­na zum Es­sen zu ani­mie­ren.

      Aus ir­gend­ei­nem Grun­de schien die Nah­rungs­auf­nah­me für El­fen im­mens wich­tig zu sein. Nie zu­vor hat­te An­na je­man­den so viel und re­gel­mä­ßig es­sen se­hen wie Vik­tor und die El­fen, ins­be­son­de­re Vi­tus und des­sen Wa­chen. Nur Lo­a­na bil­de­te da wie­der ein­mal ei­ne Aus­nah­me.

      Mit ei­nem mil­den Lä­cheln wand­te sie sich vom Spie­gel ab. Ja, sie war mit sich, der Men­schen- und El­fen­welt und ih­rer Lie­be zu Vik­tor wirk­lich glü­ck­lich und zu­frie­den.

      ***

      Et­wa ei­ne hal­be Stun­de spä­ter spa­zier­ten An­na, Le­na, Jens und sei­ne Freun­din Sil­vi ge­müt­lich durch den Wald.

      Frü­her hat­te Vik­tor sei­ne An­na stets zu sich nach Hau­se ab­ge­holt, meis­tens durch den Wald und nicht, oh­ne ei­ne klei­ne Schmu­se­pau­se auf ih­rer Lich­tung zu ze­le­brie­ren. Und weil Vik­tor ein »nost­al­gi­scher« Hal­bel­fe war, be­stand er auch jetzt noch oft dar­auf, sie zu be­glei­ten.

      Da An­na aber seit ei­ni­ger Zeit die Schlüs­sel be­saß, um selbst­stän­dig in die El­fen­welt oder, wie in die­sem Fall, durch einen Ein­gang in die Vor­welt und dann durch einen wei­te­ren Ein­gang di­rekt zum fünf­zig Ki­lo­me­ter ent­fern­ten, in der Men­schen­welt ge­le­ge­nen Haus der Zwil­lin­ge zu ge­lan­gen, wa­ren sie heu­te oh­ne Vik­tor un­ter­wegs.

      Vi­tus hat­te die ma­gi­schen Wor­te re­gel­recht in An­nas Kopf ein­ge­pflanzt. In­zwi­schen war sie ge­übt dar­in, die Zei­chen zu er­ken­nen und an der rich­ti­gen Stel­le die pas­sen­den For­meln zu mur­meln. Da­her schwatz­te sie mun­ter mit den drei­en, wäh­rend­des­sen sich auf ihr Ge­heiß der ers­te un­sicht­ba­re Ein­gang öff­ne­te und, nach­dem sie hin­durch­ge­gan­gen wa­ren, wie­der schloss, um al­le hin­ter sich zu ver­ber­gen.

      ***

      Da­bei war sie so ins Ge­spräch ver­tieft, dass ihr ent­ging, wie sie aus ei­ni­ger Ent­fer­nung auf­merk­sam be­ob­ach­tet wur­de.

      ***

      Da! Da war es wie­der! Die­ses kur­ze Blit­zen! Wo war sie ge­blie­ben? Selt­sam!

      Er hat­te es jetzt schon mehr­mals ge­se­hen und konn­te es ein­fach nicht be­grei­fen.

      Ei­gent­lich hat­te er ihr da­mals gar nicht hin­ter­her­spio­nie­ren wol­len. Schließ­lich war er kein Voy­eur, der ei­nem Pär­chen beim Knut­schen im Wald zu­schau­en woll­te. Er hat­te es trotz­dem ge­tan. Da­bei war ihm halt auf­ge­fal­len, dass sie ent­we­der von ih­rem Freund mit dem Au­to ab­ge­holt wur­de oder aber ein­fach im Wald ver­schwand – ob al­lei­ne oder ge­mein­sam mit ihm oder wie heu­te so­gar mit an­de­ren zu­sam­men. Je­den­falls ver­schwand sie oft auf die­se mys­te­ri­öse Art und Wei­se, meist für recht lan­ge Zeit – und das im Ja­nu­ar, bei den der­zeit herr­schen­den Mi­nu­stem­pe­ra­tu­ren!

      Seit die­ser Ent­de­ckung war er be­reits ei­ni­ge Ma­le her­ge­kom­men, um nach­zu­schau­en, wer, wie oft und wie lan­ge in den Wald ging. Er nahm sich vor, dies von nun an so­gar noch re­gel­mä­ßi­ger zu tun.

      Um­ständ­lich kram­te er aus sei­ner Jack­en­ta­sche einen klei­nen Block mit Stift her­vor, um sich eif­rig No­ti­zen zu ma­chen. Nach­dem er das No­tiz­buch wie­der ein­ge­steckt hat­te, folg­te er dem ver­schlun­ge­nen schma­len Wald­weg, fand je­doch – wie auch schon die letz­ten Ma­le – nichts. Da wa­ren ein­fach nur ein Weg und ein Wald. Sonst nichts!

      Ei­ne Zi­ga­ret­te wä­re jetzt nicht schlecht, dach­te er grim­mig. Dann hät­te er we­nigs­tens was zum Zeit­ver­treib. Ver­flixt! Blö­de Ge­sund­heit! Aber er hat­te be­reits über drei Mo­na­te lang durch­ge­hal­ten. Al­so wür­de er auch wei­ter­hin beim Nicht­rau­chen blei­ben.

      Er war­te­te noch ei­ne Stun­de, ver­harr­te Fü­ße stamp­fend und Hän­de rei­bend in der ei­si­gen Käl­te. Als sich wei­ter­hin nichts tat, mach­te er kehrt und ver­ließ nach­denk­lich den Wald.

      ***

      Nach­dem An­na mit den drei­en ge­mein­sam den zwei­ten Ein­gang pas­siert hat­te, be­fand sie sich wie­der in der Welt der Men­schen. Nur we­ni­ge Schrit­te vom Wald ent­fernt konn­ten sie be­reits hin­ter ein paar dich­ten Bü­schen das zwei­ge­schos­si­ge Reet­dach­haus mit den ro­ten Klin­ker­stei­nen und wei­ßen Spros­sen­fens­tern er­spä­hen. Da­vor den hel­len Kies­weg, der zum Haus­ein­gang führ­te, rechts und links flan­kiert