Estra, immer noch mit Lachtränen in den Augen. »Du hast wieder Farbe. Offenbar sind auch deine Kopfschmerzen weg.«
»Jaja, schon gut«, entgegnete sie. »Mir geht es besser und ihr hattet recht. Aber deswegen braucht Vitus ja nicht gleich das Hammerholz zu schwingen.«
Vitus versuchte, ein weiteres Lachen zu unterdrücken, was ihm kläglich misslang. »Du meintest sicherlich Holzhammer.« Schnell wurde er wieder ernst, als ihm die grünen Blitze aus ihren Augen entgegenzuckten. »Nein, keine Sorge, jetzt ist Schluss damit. Keine kalten Duschen und Hammerhölzer mehr, versprochen.«
Isinis wirkte verwundert. »Kalte Duschen?«
»Tja, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein Scheusal Vitus sein kann, wenn ich mit ihm alleine bin«, beklagte sich Loana mit betont ernster Miene. Doch Vitus entging das belustigte Zucken in ihrem Mundwinkel nicht. »In eurer Gegenwart, ja, da trägt er mich auf Händen. Aber wehe, wenn wir alleine sind!«
»Ich bin und bleibe ein Tyrann.« Vitus biss gerade genüsslich in seine Wurstsemmel, als Timmun und Essem mit einem Fremden das Zimmer betraten.
Zunächst begrüßten die zwei Wachmänner Vitus mit dem üblichen Kopfnicken und »Mein König!«. Danach wandten sie sich den anderen zum Gruß zu.
»Ah, da seid ihr ja.« Estra war aufgestanden, um den Männern einen Sitzplatz anzubieten. »Ich möchte, dass ihr mit uns gemeinsam frühstückt, wenn’s recht ist.«
Timmun und Essem blickten finster drein. Vitus wusste, dass seine Wachleute stets Probleme damit hatten, am selben Tisch wie ihr König, seine Familie oder Freunde zu sitzen und zu essen. Sie trugen zwar fast das gleiche goldene Amulett um den Hals wie er, in einer etwas kleineren Ausgabe, doch das bedeutete in ihren Augen nur, dass sie dem König zu Diensten waren, nicht aber, dass sie mit ihm in vertrauter Runde gemeinsam speisen sollten.
Wie üblich kümmerte das Vitus überhaupt nicht, ebenso wie seinen Bruder. Und weil die Wachen das wiederum wussten, setzten sich die Männer gezwungenermaßen dazu und nahmen schweigend eine Tasse Kaffee an.
Estra richtete sich an Vitus. »Darf ich dir Sentran vorstellen?«
Der legte sein Brötchen beiseite, schaute dem Fremden in dessen reichlich mürrisches Gesicht und stellte dabei erfreut fest, dass der Mann sehr gut in der Lage war, Gedanken und Geist sorgfältig einzuschließen.
Daher musterte er zunächst einmal nur das äußere Erscheinungsbild: Leicht gewelltes, schulterlanges blondes Haar. Wachsame silbergraue Augen. Ein breiter, ernster Mund. Hohe Wangenknochen. Eine etwas krumme Nase und ein ausgeprägtes hartes Kinn. Insgesamt hatte dieser Sentran ein ausdruckstarkes, markantes Gesicht, befand Vitus. Da ihm allerdings das missmutige Mienenspiel des Mannes nicht gefiel, beschloss er, ihn mit banalen Fragen ein wenig aus der Reserve zu locken. »Darf ich wissen, wie alt und wie groß du bist?«
Sentrans Gesichtsausdruck blieb mürrisch. »Du weißt, dass ich siebenundzwanzig bin und genau zwei Meter messe, mein König«, antwortete er mit dunkler Stimme und leicht spöttischem Unterton.
»Ja, da hast du natürlich recht. Demnach kann ich davon ausgehen, dass du dich in sämtlichen Kampfeskünsten, aber auch Kunduum, mentalen Geschicken, Diplomatie und außerdem im Alltagsleben der Menschen bestens auskennst?«
»Ja.«
Vitus verzog keine Miene ob Sentrans knapper Antwort, die eine Menge Verärgerung ausdrückte.
»Hm, ich gehe also weiter davon aus, dass du Interesse an der Aufgabe als mein sechster Elitewachmann hast, sonst wärst du wohl kaum hier. Allerdings verstehe ich deine miserable Stimmung nicht, Sentran. Ich sehe deinen Blick, höre deine Stimme und spüre deinen verschlossenen Geist. Alles verrät mir, dass du äußerst schlecht gelaunt bist. Also, würdest du mir bitte verraten, was dich so miesepetrig erscheinen lässt?«
»Das ist eine persönliche Angelegenheit, mein König. Darüber möchte ich nicht sprechen – mit Verlaub.«
Erstaunt zog Vitus eine Braue hoch. Der Mann hatte Mumm, war noch dazu äußerst eigensinnig, dachte er und wunderte sich, wie sehr ihm das gefiel.
Unterdessen hatte Loana eine aufgeschnittene Semmel mit Butter und Honig bestrichen und reichte sie dem Mann, der zuerst sie und daraufhin die Semmel verblüfft ansah. »Iss das, Sentran. Süßes hilft bei Liebeskummer. Das ist bei allen gleich, ob bei Männern oder Frauen.« Loana ergriff seine freie Hand. »Die Liebe ist oft merkwürdig und schwer zu finden. Aber auch du wirst eines Tages der richtigen Frau begegnen.«
Fasziniert beobachtete Vitus, wie Sentran ihr vorsichtig die Hand entziehen wollte, Loana sie jedoch weiterhin festhielt und ihm dabei in die Augen schaute. Auf Sentrans Wangen erschien eine leichte Röte. Verlegen senkte er die Lider.
»Danke«, entgegnete er knapp, aber freundlich und löste sich nun doch aus ihrem Griff.
Vitus hatte das Ganze mit großem Interesse verfolgt. Ihm war klar, dass der Mann Loanas heilende Wärme wahrgenommen hatte. Eine Wärme, die jemandem Knoten in der Brust lockern konnte, von denen er bis dato gar nicht wusste, dass sie existierten. Er kannte Loanas unglaubliche Kräfte. Trotzdem war er einmal mehr erstaunt über das Ausmaß ihres empathischen und heilenden Könnens.
»Tja, das erklärt so manches«, kommentierte er trocken. »Wir sollten nun einfach unser Frühstück fortsetzen und uns ein wenig unterhalten. Dabei kannst du mir auch gerne deine Vorstellungen zum künftigen Aufgabenbereich unterbreiten, Sentran.« Er lächelte milde. »Ich nehme an, du hast dich bereits bei Essem und Timmun ein wenig über mich erkundigt.«
***
Eine ganze Weile später saßen Estra und Vitus wieder einmal im Wintergarten. Loana hatte sich hingelegt. Ihr war doch immer noch etwas übel. Isinis werkelte zusammen mit dem Personal in der Küche und hatte die Männer rausgeworfen. Also gönnten sie sich eine Zigarre. Dazu tranken sie starken süßen Tee.
»Es freut mich, dass du ihn mitnehmen willst. Er wird dich nicht enttäuschen.«
»Wir werden sehen. Ich nehme ihn erst mal sorgfältig unter die Lupe. Sentrans Starrsinn könnte Schwierigkeiten machen«, meinte Vitus.
»Ach, hör doch auf. Ich hab genau gemerkt, dass du ihn magst.« Estra lächelte. »Ich wusste, dass du ihn mögen würdest. Ja, ich wusste es.« Seine Augen blitzten