Michael Schwingenschlögl

Märchenstunde


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ihre Stimmen verstellten und den Fremden von allen Seiten aus zuflüsterten. Auch durfte man kein Getränk oder eine Speise von ihnen annehmen, da sie dort gerne eine betäubende Substanz reinmischten und dem schlafenden Opfer dann alles raubten, was es an sich trug. Sie waren äußerst flink und kannten die Wälder wie ihre Westentaschen. Städte und Dörfer der Menschen und Elfen mieden sie generell. Einem erwachsenen Menschen reichte ein Kobold gerade einmal bis zum Knie, wenn überhaupt. Nein, eigentlich nur bis zum halben Knie, und das ist schon sehr großzügig. Ihre Kleidung war schlicht, ein paar bunte Lumpen, den Stoff dafür bekamen sie von den Zwergen. Die größten Feinde der Kobolde waren die Orks, die ihre äußerst delikaten Eintöpfe gerne mit den quirligen Winzlingen garnierten.

      Im Grunde waren die Orks ein friedliches Volk, lebten in simplen Hütten im dichten Wald oder in der Nähe von Sümpfen. Archaische Lebewesen, die den Tieren viel ähnlicher als den Menschen waren. Die Orks beherrschten die Menschensprache, auch wenn ihre Diktion ziemlich plump und schmucklos erschien. Sie waren große, dicke Urwesen, die aufrecht gingen und keinerlei Körperbehaarung hatten. Weitere Erkennungsmerkmale waren ihre dunkelbraune Haut, kräftige Hände und Füße, spitze Ohren und eine runde Nase. Ihr ganzes Interesse galt dem Jagen und dem Essen. Auch wenn sie wirklich sehr primitiv waren, besaßen sie durchaus ein wenig Intelligenz, wenn auch nicht viel. Jeder Orkstamm hatte einen Häuptling und jeder Häuptling hatte drei Frauen. Menschen und Elfen taten sich schwer, männliche und weibliche Orks zu unterscheiden, es war fast unmöglich. Einzig anhand der Kleidung ging dies. Die Männer trugen dunkle Hosen, falls man das überhaupt als Hosen bezeichnen konnte und waren obenrum nackt. Die Frauen dagegen hatten helle Kleider an ihrem Leibe.

      Ein kriegerisches Volk, so wie wir sie aus anderen Geschichten kennen, waren sie überhaupt nicht. Ein paar friedliche Barbaren, die gerne auf die Jagd gingen und die Beute dann festlich zubereiteten. Wenn sich einmal ein Mensch, ein Elf oder ein Zwerg in die Gebiete der Orks verirrte, dann taten sie einem auch nichts. Vorausgesetzt, er oder sie tat ihnen auch nichts. Reizte man nämlich einen Ork, dann stand es ziemlich schlecht um das leibliche Wohl. Um gegen diese kraftvollen Burschen eine Chance zu haben, bedurfte es einige Männer, die mit Rüstung, Schwert und Axt vom Meisterschmied ausgestattet waren.

      Bevor Hieronymus den Thron bestieg, waren die Orks vom Aussterben bedroht. Die Elfen und Menschen fürchteten diese Wesen und bekämpften sie. Wilde Lügen wurden verbreitet, dass die Orks in der Nacht die Dörfer plünderten und Frauen und Kinder verschleppten. Mit Heugabel, Axt und Fackel bewaffnet, zogen die Männer los, um die nicht ganz so schönen Kreaturen zu bekämpfen. Außerdem war der Schädel eines Orks eine begehrte Jagdtrophäe. Ein jeder Mann musste zur Verlobung dem Vater seiner künftigen Braut einen Orkschädel schenken, sonst durfte er sie nicht heiraten. Das sollte dem Schwiegervater in Spe zeigen, dass das neue Familienmitglied Mut besitzt, ein Kämpfer ist und selbst die abscheulichsten Kreaturen der Wälder nicht scheut. Seine Tochter war dann in guten Händen. Hieronymus brach allerdings diese Tradition und verhängte so eine Art Naturschutz über sie.

      Den Orks sehr ähnlich waren die Trolle. Es gab zwei Arten von Trollen, die Grautrolle und die Sumpftrolle. Die Grautrolle waren groß, viel größer als die Orks und unglaublich dick. Sie hatten eine bleiche Haut, kleine Augen, eine runde Nase und ebenfalls kein einziges Haar am Körper. Meist lebten sie in kleinen Gruppen in den Höhlen der Berge. Ein kleines Gehirn hatten sie zwar, aber das merkte man kaum. Sie waren dumm und dadurch brandgefährlich. Die monströsen Gestalten überfielen Dörfer und fraßen deren Bewohner und Bewohnerinnen sowie das Vieh in den Stallungen. Ihre Stimmen waren tief und kratzig und ihr Körpergeruch war einfach nur widerlich. Kein Wunder, sie lebten ja in der Wildnis und hatten keine Badewanne aus Lavastein samt Duschbad von Axe.

      Außer Riesen und Drachen fraßen sie alles, was sich bewegte, am liebsten gleich roh und blutig.

      Die Sumpftrolle sahen völlig anders aus, waren aber eine ähnlich gefährliche Plage und nur eine Spanne größer als die Orks. Sie hatten einen muskulösen Körperbau, waren aber nicht dick und hatten lange Gliedmaßen. Ihr ganzer Körper war mit einem dunkelbraunen Fell bedeckt und ihre Krallen und spitzen Zähne waren scharf wie Messer. Von den Elfen wurden sie auch Sumpfteufel genannt und sie verließen ihre Sümpfe nur selten. Diese Bestien griffen jedes Wesen, das sich den Sümpfen näherte, ausnahmslos an. Wanderer und Jäger mussten daher immer besonders auf der Hut sein.

      Weitere lustige Wesen waren die Riesen. Ein Kobold reichte einem ausgewachsenen Menschen bis zum halben Knie und ein ausgewachsener Mensch reichte einem Riesen bis zum Knie. Sie lebten meist in kleinen Gruppen in den flachen Gegenden des Landes und waren Nomaden. Gelegentlich drangen sie in die Dörfer vor, um das Weidevieh zu stehlen. Auch um einen Riesen zu bekämpfen bedurfte es einiges an Personal. Die beste Waffe gegen sie, war ein Pfeil mit einer Spitze aus purem Gold. Er durchschlug den Riesen mühelos. Im Nahkampf waren Menschen, Elfen und Zwerge gegen die langen Burschen chancenlos.

      Es gab noch viele andere Lebewesen in Ithrien: Goblins, Gnome, Wassermänner, Greifen, Basilisken, Pelzteufel, Waldteufel, Waldgeister, Berggeister, Waldschrate und was weiß ich noch alles. Darauf gehen wir aber jetzt nicht näher ein, das würde wohl zu lange dauern und ich will euch nicht mit diesen ganzen Einzelheiten langweilen. Sollte später eine von den gerade erwähnten Gestalten vorkommen, dann werde ich selbstverständlich mehr über sie erzählen.

      Ja, mein Freund, schauen wir einmal, was da noch so vorkommen wird, das hängt auch stark von meinem Alkoholpegel ab.

      Wie bitte? Nein, Riesenspinnen und Rieseninsekten gibt es in dieser Welt keine. Ich habe nämlich eine extreme Phobie vor diesen hässlichen Lebewesen. Da ich fest davon überzeugt bin, dass man diese Geschichte später einmal verfilmen wird und es ein lässiges Videospiel dazu geben wird, baue ich sämtliche Lebewesen, vor denen ich mich fürchte, gar nicht erst ein. Ich habe absolut keine Lust, dann diese Viecher auf der Kinoleinwand zu sehen und in dem Spiel gegen sie zu kämpfen. Daher keine Spinnen und keine Insekten, mein Freund.

      Bevor wir zur der eigentlichen Geschichte kommen, die nach dem Tod von Hieronymus spielt, müssen wir noch ein bisschen Geschichtsunterricht nachholen. Keine Sorge, eine Prüfung gibt es nicht. Das, was ich euch jetzt erzähle, ist eigentlich keine Vorgeschichte im klassischen Sinne, sondern schon ein Teil der Hauptgeschichte. Passt alle gut auf, da wir einiges davon später noch einmal brauchen werden. Uns erwartet jetzt ein theoretischer Teil, aber fürchtet euch nicht, ich werde das schon äußerst brillant und kurzweilig erzählen. Wir müssen da durch, sonst kennen wir uns nachher nicht aus. Da unsere Geschichte in späterer Folge noch ziemlich ernst wird, gehen wir das jetzt einmal ganz locker an, los geht’s!

      Quirin der Eiserne

      1640 Jahre vor Hieronymus Tod, also im Jahre 580, im Zeitalter des Sturms, war Ithrien noch ein reines Reich der Menschen und bei weitem nicht so groß und bedeutend wie unter Hieronymus. Damals herrschte Kaiser Quirin der Eiserne. Quirin war ein gnadenloser Eroberer, das Wohl seiner Untertarnen interessierte ihn nur am Rande. Macht und Besitz waren die einzigen Dinge, denen er seine Aufmerksamkeit schenkte. Und seinem Aussehen, denn er war sehr eitel. Ein etwas älterer Herr mit grauem Haar, das aber immer perfekt saß. Rank und schlank war er, ungewöhnlich für einen Kaiser, denn die meisten Kaiser sind ja immer Adipositas Patienten. Natürlich, oder? Ein mächtiger Kaiser muss dick sein! Seine Haut wirkte sehr gepflegt und viel jünger, als er in Wirklichkeit war. Das kam wohl von den vielen Bädern in warmer Milch und Honig. Graugrüne Augen und eine Hakennase waren seine weiteren Markenzeichen. Die Nase war wohl sein einziges Manko, aber damals gab es eben noch keine Schönheitschirurgen. Am besten gefiel mir immer sein Blick, ein richtig strenger Kaiserblick, kühl und mit einer Brise Boshaftigkeit. Quirin lachte nie, er war stets bierernst, anders kannte ihn niemand. Und bierernst waren ihm auch seine Anliegen und das große Streben nach noch größerer Macht.

      Jahrelang rüstete er seine Armeen auf und ließ jeden Mann und jeden Knaben für sein Heer zwangsverpflichten. Die Wirtschaft ging komplett den Bach runter, denn alle Bauern, Handwerker, pragmatisierte Beamten und sonstigen fleißigen Bienchen mussten Soldaten werden. Niemand war mehr da, der die Felder pflügte, niemand mehr, der Brot backte und niemand mehr, der den ganzen Tag im Postamt saß, auf die Sanduhr starrte und auf die Frühform der Leberkässemmel in der