Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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Barmherzigkeit mit uns aufgebracht. Doch ich lasse euch die Wahl: geht eurer Wege oder kämpft mit mir."

      „Wir haben keine Wahl! Die Spielregeln sind in der Welt, und ihr habt sie eben definiert. Wenn alles vorbei ist, wird der Kampf mit unserem Gewissen beginnen."

      Smyrna hatte für alle gesprochen.

      Mittagszeit war schon vorbei und Aramar holte aus den Tiefen des Turmes köstliche Speisen. Doch hatte keiner Lust, etwas zu essen. Sie saßen trübsinnig in den weichen Polstern des großen Salons. Urial nahm den Zauberer beiseite und fragte: „Warum habt ihr Quantam bei der Beschreibung des Kraftfeldes nicht erwähnt?“

      Die Antwort war kurz und barsch: „Weil dieser Name eines der größten Geheimnisse von Centratur ist. Nicht einmal du dürftest darüber Bescheid wissen!“

      Am späten Nachmittag fanden sich alle zur Beratung zusammen.

      „Wir brauchen Hilfe“, erklärte Aramar. „Dieser Sieg hier hat nichts zu bedeuten. Der Kampf, der uns bevorsteht wird schrecklich, und die Übermacht des Feindes ist groß. Zwar besitzen wir in Nowogoro und dem Loron zwei wichtige Bastionen und haben Zeit gewonnen, aber ohne Unterstützung bleiben die friedvollen Völker von Centratur ohne Chance."

      „Wer könnte denn helfen?" erkundigte sich Galowyn.

      „Es gibt nur ein Volk, das stark und mächtig genug für diesen Kampf wäre, die Achajer."

      „Die Achajer haben sich auf ihre Inseln zurückgezogen. Wie können sie von unseren Sorgen erfahren? Und wenn sie Bescheid wüssten, würden sie kommen?" Glaxcas Stimme klang verzweifelt.

      „Es wäre klug und in ihrem Interesse, wenn sie uns zu Hilfe kämen. Zuerst fällt nämlich Centratur, aber dann streckt der Feind seine Klauen auch nach den Inseln aus. Wie immer sie sich auch entscheiden. Wir müssen sie benachrichtigen. Du wirst zum Golf von Orex reiten, Glaxca. Dort liegt ein Schiff der Achajer. Ich werde einen Brief schreiben, den gibst du dem Kapitän. Dann soll das Schicksal seinen Lauf nehmen. Doch ob nun die Achajer kommen oder nicht, ich werde mit allen meinen Kräften gegen die Feinde antreten."

      „Woher soll Glaxca ein Pferd bekommen?" mischte sich Fallsta ein. „Und wie habt ihr beide euch überhaupt getroffen?"

      „Getroffen haben wir uns“, fuhr der Zauberer fort, „durch Zufall. Es war im Heimland. Ich war auf dem Weg in den Süden. Da wurde ich von einer ganzen Kompanie Eritsoldaten überfallen. Zwar konnte ich mich wehren, wäre der Übermacht aber doch erlegen, wenn nicht Glaxca vorbeigekommen wäre und mir mit seiner Axt beigestanden hätte.“

      „Ich mag es nicht, wenn die Kräfte ungleich verteilt sind", murmelte der Zwerg. „Alte Leute soll man ehren und nicht umbringen.“

      „Glaxca hatte dem Morden der Orokòr zusehen müssen und war auf der Suche nach Hilfe. Wir freundeten uns rasch an und setzten unseren Weg gemeinsam fort. Inzwischen haben wir so manche Gefahr erlebt.“

      „Wie bekommst du ein Pferd?" fragte Fallsta noch einmal den Zwerg.

      „Graufell wird inzwischen den Weg zu uns gefunden haben. Er wird uns ein prächtiges Ross von den Weiden Equans holen." Für Aramar gab es keinen Zweifel an seinem Pferd. „Dann reitet Glaxca nach Norden, und wir gehen nach Süden."

      „Was wird mit den Leichen dort draußen geschehen?" fragte Urial. „Wenn sie bleiben und verwesen, vergiften sie das Tal."

      „Ich werde mich um sie kümmern“, antwortete der alte Zauberer düster. „Aber zunächst müssen wir festlegen, wer den Loron bewacht."

      „Dies ist mein Auftrag. Selbst wenn ihr mich zerreißt, ich werde dem Gebot meiner Oberen folgen, bis zum Tod."

      Urial hatte leise aber mit großer Festigkeit in der Stimme gesprochen.

      „Du wirst deinen Auftrag erfüllen“, stimmte ihm Aramar zu. „Aber dieser Turm ist zu wichtig, um dich allein zu lassen. Du wirst Hilfe brauchen. Doch wer von uns könnte dich unterstützen?"

      „Ich!" sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. Axylia stand auf und trat in die Mitte der Versammlung. „In diesem Turm hat sich mein Schicksal entschieden. Hier werde ich bleiben und wachen, bis meine Zeit gekommen ist."

      Aramar erhob sich und sprach mit feierlicher Stimme: „So übertrage ich dir Urial und dir Axylia die Herrschaft über den Loron, den Turm des Weißen Rates. Wenn dieser Turm fällt, so wird auch Centratur fallen, und keine Macht kann dann noch Rettung bringen. Ihr seid allen Geschöpfen dieser Welt mit eurem Blut verantwortlich. Auf eure Schultern lege ich die Verantwortung. Seid stark und klug und widersteht allen Gefahren und Anfechtungen.

      Ihr werdet im Loron alles finden, was ihr braucht. Deshalb verbiete ich euch, diesen Turm zu verlassen, bis ich wiederkehre. Böse Mächte werden kommen und versuchen, euch herauszulocken. Wenn ihr euch überreden lasst, ist alles verloren. Ihr seid nur stark im Turm. Vor seinen Mauern werdet ihr zu schwachen Menschen. Haltet die Verbindung mit Nowogoro und seid bei Tag und bei Nacht auf der Hut. Eure Wachsamkeit darf nie erlahmen. Stets darf nur einer von euch schlafen. Und ihr müsst Hader und Zwist unterdrücken. Bedenkt stets: ihr seid das Bollwerk in unserem Kampf. Von euch hängt unser aller Schicksal ab. Mögen die Unsichtbaren euch beistehen!"

      Er legte den beiden seine Hände auf den Kopf und wandte sich dann ab.

      „Nun kommt noch eine unangenehme Aufgabe“, sagte er endlich.

      Er trat hinaus auf den Balkon und erhob beide Hände zum Himmel. Feuer fiel herab und hüllte gleich einem Sturm das Tal ein. Alle toten Krieger verbrannten. Und die Bäume und das Gras und die Hecken, und alles was lebte, verbrannten auch. Das ganze Tal Rotamin wurde schwarz und tot.

      „In dieser verwüsteten Landschaft muss ich euch allein lassen“, sagte Aramar bitter, als er zurückkam. „Verzeiht mir, aber ich hatte keine andere Wahl. Auf jeden Tod folgt ein anderer, und die eine Untat zieht die nächste nach sich. Wir haben uns auf den Kampf eingelassen und müssen nun auch die Folgen tragen. Ich hoffe, dass das Leben in diesem Tal bald den Tod überwindet."

      Sie schliefen noch eine Nacht im Loron, dann machte sich jeder auf seinen Weg. Glaxca eilte nach Norden, der Zauberer wanderte mit Fallsta, Galowyn und Smyrna nach Süden. Urial und Axylia aber verschlossen den Turm von innen und richteten sich auf eine lange Wache ein.

       Westen

      

       Obwohl die Welt in Flammen steht, darf das Heimland in dieser Geschichte nicht vergessen werden. Der alte Markgraf kam von seiner Reise in den Süden nicht zurück und hat vor seinem Tod die Herrschaft auf seinen Sohn Horsa übertragen. Der wiederum hat nun mit rebellierenden Untertanen zu kämpfen, und sogar seine eigenen Soldaten wollen ihm ans Leben. Er braucht dringend Verbündete. Deshalb macht sich auf den Weg zu einer Garnison, die in der äußersten Ecke des Heimlands stationiert ist.

       Auf dem Weg dorthin tötet er zwei Soldaten und trifft schließlich Marga und Werhan. Gemeinsam erleben sie einen schlimmen Verrat, geraten in viele Gefahren und wandern schließlich durch ein versklavtes Land.

      

      

       Totschlag

      Der junge Markgraf schlich den schmalen Weg von Gutruh hinunter, huschte über die Straße und bog vorsichtig nach Osten ab. Mogs Schwert hing verborgen unter dem alten, weiten Mantel. Auf dem Kopf trug er eine zerbeulte Mütze. Das Gesicht hatte ihm Ev sorgfältig mit Schmutz eingeschmiert, damit man ihn auf keinen Fall als den überall gesuchten Grafen erkannte. Die fremden, abgetragenen Kleider waren schon unangenehm, aber der Dreck im Gesicht brachte ihn schier zur Verzweiflung. Doch er wusste, diese Verkleidung war notwendig, so schickte er sich in sein Missbehagen.

      Horsas Ziel war die Alte Oststraße, die nördlich um Heckendorf herumführte. Sie wurde jetzt nur noch von Bauern benutzt. Heute wusste niemand mehr im Heimland, wer diese Straße einst angelegt hatte. Es gab sie schon, als die