Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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Horsa wollte ihm folgen, erinnerte sich aber im letzten Moment an das Mädchen.

      „Geh' du voran“, sagte er. „Ich bin hinter dir und kann dich auffangen, wenn du strauchelst“.

      Sie kniff den Mund zu einem schmalen Spalt zusammen und betrat tapfer den nassen Steg. Die alten Bohlen bogen sich unter ihrem Gewicht und federten. Unter ihnen gurgelte der mächtige Strom, und von oben schüttete es wie aus Gießkannen. Langsam tasteten sie sich vorwärts. Sie waren schon in der Mitte des Flusses angekommen, als sich der Regen in Sturzbäche verwandelte. Dann schlug rechts neben ihnen ein Blitz ein. Der Donner, der sofort folgte, ließ sie taumeln. Aber dies war erst der Anfang. Um sie herum fuhren nun Blitze ins Wasser, und der Donnerhall warf sie hin und her. Es schien, als wollte jemand ihre Flussüberquerung mit allen Mitteln verhindern. Ängstlich standen sie auf den schmalen Planken und hielten sich an der Hand.

      Marga war die erste, die sich zusammenriss und die Initiative ergriff.

      „Bewegt euch!" schrie sie durch das tobende Unwetter. „Hier auf dem Fluss kommen wir um“.

      Ihr Rufen riss die Männer aus ihrer Erstarrung und ließ sie weitertaumeln. Wie durch ein Wunder wurden sie von keinem Blitz getroffen, und je mehr sie sich dem anderen Ufer näherten, desto weiter entfernte sich das Gewitter. Zwar regnete es noch immer Bindfäden, aber die Blitze schlugen in größerer Entfernung ein, und der Donner wurde schwächer. Endlich hatten sie es geschafft und betraten aufatmend festen Boden. Kurz darauf standen sie vor dem Bollwerk des Forts. Triefend nass liefen sie an den grob behauenen Stämmen entlang bis zum Tor. Es war verschlossen.

      Horsa rief: „Hallo! Aufmachen!"

      Aber niemand hörte ihn. Erst als sie mit vereinten Kräften brüllten, wurde von innen der Riegel weggeschoben, und das Tor öffnete sich einen Spalt. Ein junger Erit streckte ärgerlich seinen Kopf heraus und fragte, welcher Idiot bei diesem Hundewetter Einlass begehre.

      „Ich will zum General“, antwortete ihm Horsa herrisch und kurz angebunden. „Mach' endlich auf, Bursche“.

      „So, du willst zum General?" entgegneter dieser schnippisch. „Könnte ich bitte deine Einladung sehen“.

      Der Graf ereiferte sich über diese Unbotmäßigkeit über alle Maßen. Er tobte so sehr, dass dem Soldaten tatsächlich Bedenken kamen, ob vor dem Tor nicht doch Besucher von Bedeutung stünden und Einlass begehrten. Er öffnete den Torflügel noch weiter und ließ die Fremden hineinschlüpfen. Dann rief er seinen Offizier. Dieser hatte gerade geschlafen und war über die Unterbrechung seiner Nachmittagsruhe recht ungehalten. Die drei jungen Leute schienen Landstreicher zu sein, und er hatte keine Lust, sich allzu lange mit ihnen abzugeben. Horsa redete ihn freundlich an. Er erklärte, dass sie mit dringender Botschaft von weit her kämen und sofort beim General vorgelassen werden müssten. Er wahrte zwar sein Inkognito, deutete aber geschickt an, dass er von Rang sei. Dies beeindruckte den Offizier nicht.

      Lügen und Hochstapelei sei er von dem Gelichter jenseits der Grenzen gewöhnt, erklärte er. Bei ihm verstärke sich der Verdacht, dass die drei ungebetenen Gäste Spione seien, die das Fort auskundschaften wollten.

      Er gab deshalb Anweisung, die Fremden in sicheren Gewahrsam zu nehmen. Er würde sie in den nächsten Tagen verhören und ihnen die Wahrheit zwischen den Zähnen herausziehen.

      Horsa war über den Verlauf der Unterredung entsetzt. Erregt erklärte er, dass sich das Heimland in großer Gefahr befinde. Er ließ sogar das Wort „Orokòr" fallen, rief damit jedoch nur ein allgemeines Schmunzeln hervor. Inzwischen waren noch andere Soldaten dazu gestoßen und hörten sich die Auseinandersetzung amüsiert an.

       „So hört doch“, rief Horsa verzweifelt, „es geht um Leben und Tod!"

      In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Hauptgebäude, und heraus trat ein alter, würdiger Erit mit weißem Haar. Er war in Hemdsärmeln und seine Hosenträger baumelten links und rechts an seinen Hüften. Als man seiner ansichtig wurde, verstummten alle.

      Der Offizier flüsterte: „Da habt ihr euren General! Ich glaube, ihr werdet bald wünschen, ihn nie gesehen zu haben!"

      „Was geht hier vor?" fragte dieser mit hoher Fistelstimme.

      „Drei Fremde haben sich eingeschlichen“.

      Der Offizier hatte Haltung angenommen und erstattete schnarrend Bericht.

      „Sie wurden gestellt und gaben als Entschuldigung an, sie wollten den Herrn General persönlich sprechen. Sie wurden verhört und in Arrest genommen. Es besteht die Gefahr, dass es sich bei den Individuen um Spione handelt. In diesem Fall müsste man ein Kriegsgericht einberufen. Weitere Klärung des Falles wird in den nächsten Tagen durch Verhöre stattfinden. Herr General wird selbstverständlich regelmäßig unterrichtet werden“.

      „Sehr gut Dollfuß! Stehen sie bequem!" Der Weißhaarige war gut gelaunt und leutselig. „Ich will es mir nicht nehmen lassen, diese Individuen persönlich in Augenschein zu nehmen“.

      Er rief seinen Burschen, der mit einem großen Regenschirm kam und watschelte auf die Gruppe zu. Nachdem er sich vor den Gefährten aufgebaut hatte, fragte er drohend: „Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was wollt ihr? Wer hat euch geschickt?"

      Zu dem Offizier gewandt sagte er: „Hört gut zu, damit ihr lernt wie man ein erfolgreiches Verhör führt, Dollfuß“.

      Dann wieder zu den Fremden: „Ich will sofort eine Antwort! Also, wird's bald!"

      Horsa trat vor und sagte: „Guter alter Weißbart. Kennst du mich nicht mehr? Ich bin es, Horsa, der Sohn deines Grafen. Du hast mich doch früher so oft auf deinen Knien gewiegt“.

      Weiter kam er nicht. Der General schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Dabei brüllte er, und seine piepsige Stimme überschlug sich: „Ich lasse nicht zu, dass unser Herr beleidigt wird. Das lasse ich nicht zu! Abführen! Abführen! Ins Loch mit ihnen!"

      Der junge Graf war so verdutzt über diese Reaktion, dass er schwieg. Fassungslos wurden er und seine Gefährten von den Soldaten gepackt und weggeschleppt.

      Man warf sie in eine dunkle, feuchte Zelle im Keller unter dem Hauptgebäude. Dort standen lediglich eine Holzpritsche und in der Ecke ein Blechkübel für ihre Notdurft.

      „Hast du damit gerechnet?" fragte Werhan. Horsa schüttelte den Kopf.

      Dann sagte er mit gedrückter Stimme: „Jetzt ist alles verloren!"

      Marga mischte sich ein: „Hört auf zu jammern! Überlegt euch lieber, wie wir aus diesem tristen Loch wieder herauskommen“.

      „Ganz gleich wie oder wann wir wieder freikommen, es wird zu spät sein“.

      „Hat er dich wirklich nicht erkannt?" Marga gab nicht auf.

      „Scheinbar nicht. Obgleich ich einen Augenblick lang glaubte, so etwas wie Erinnern und Erkennen in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Aber ich muss mich wohl getäuscht haben, sonst säßen wir nicht hier“.

      „Gemütlich haben wir es und so sauber“, das Mädchen deutete auf den Eimer. „Besonders für mich als Frau ist es angenehm, mit euch hier meine Zeit zu verbringen. Wehe, wenn ihr euch umdreht, wenn ich jetzt den Eimer benutze“.

      Bei diesen Worten formten sich in Horsas Kopf seltsame Bilder, die ihn verlegen machten und von seinen Sorgen ablenkten.

      Sie untersuchten sorgfältig die Zelle, rüttelten an dem Eisengitter des Fensters und klopften gegen die Tür. Alles war solide und gut gebaut. An ein Entkommen war nicht zu denken. Dann wurde es dunkel. Drei Personen konnten auf der Pritsche nicht gemeinsam schlafen. So kauerten sie sich auf dem rauen Holz zusammen und versuchten, im Hocken zu dösen.

      Es mochte gegen Mitternacht gewesen sein, als ein leises Geräusch sie aufschrecken ließ. Langsam öffnete sich der Zugang zu ihrem Gefängnis. Der Lichtschein einer Windlampe fiel herein, dann schob sich ein Erit durch den Eingang. Es war der alte General. Über die gebeugten Schultern hatte er seinen Armeemantel mit den goldenen Litzen geworfen. Stumm trat er ein, und stumm und verwirrt