Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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brachen ihn in drei Teile und kauten mit Genuss die harte Kostbarkeit. Später kuschelten sie sich auf dem Strohsack. Er roch muffig und war feucht, aber sie waren so müde, dass es ihnen nichts ausmachte.

      Sie schliefen weit bis in den nächsten Tag und erwachten hungrig. Aber da war nichts mehr, was sie hätten essen können. Deshalb tranken sie nur Wasser vom Bach, der hinter der Hütte floss, und begaben sich wieder auf den Weg.

      Der Hunger machte sie mürrisch, und die Kletterei erschöpfte sie rasch. Sie redeten wenig miteinander und keuchten wie am Vortag verbissen die Hänge hinauf und hinunter. Endlich erreichten sie einen Pfad, der sich von Osten nach Westen zog, und folgten ihm. Er war deutlich sichtbar und erst in jüngster Zeit begangen worden. Die jungen Leute rätselten, wo er wohl herkomme und wohin er führe. Sie beschlossen ihm zu folgen, auch wenn sie dadurch Gefahr liefen, jemandem zu begegnen.

      „Es ist eine Schande, wie wenig ich mein eigenes Land kenne“, schimpfte Horsa. „Wenn wieder vernünftige Verhältnisse hergestellt sind, werde ich mit Gefolge das ganze Land bereisen und genaue Karten herstellen lassen“.

      „Wenn erst einmal vernünftige Verhältnisse hergestellt sind“, wiederholte Werhan ironisch. „Glaubst du, dass du das noch erleben wirst?"

      Man hatte den Pfad so angelegt, dass er Deckung von allen Seiten bot. Weder von den Bergen noch vom Tal konnte er eingesehen werden. Wer ihn benutzte, blieb ungesehen. Sie kamen rasch vorwärts. Die Kraft der Sonne nahm zu, und im Tal sahen sie weiße Nebel aufsteigen. Der Hunger war zwar längst zu einem vertrauten Begleiter geworden, aber nun kam auch noch der Durst dazu. Ohne Feldflaschen hatten sie vom Bach kein Wasser mitnehmen können.

      „Ich könnte diesem feigen General den Hals umdrehen“, knirschte Werhan immer wieder.

      

      

       Die Taks

      Plötzlich rief Marga: „Still!"

      Aufmerksam lauschte sie, und nun hörten auch die Männer Vogelstimmen. Die Tiere waren erregt, das fiel selbst ihnen auf.

      „Feinde sind in der Nähe“, flüsterte das Mädchen. „Die Vögel haben Angst und warnen sich gegenseitig“.

      „Kannst du herausfinden, wer sie sind?"

      „Nein! Ich kann die Vögel auch nicht fragen. Sie sind zu aufgeregt und sprechen nicht mit mir“.

      „Was sollen wir tun?"

      „Ich weiß es nicht!"

      Weit und breit gab es kein Versteck. Plötzlich hatte Horsa Angst, erbärmliche Angst. Noch nie in seinem Leben hatte er solche Angst verspürt. Er wollte sich zusammenreißen, sich nichts anmerken lassen. Aber er war unfähig zu einer Bewegung. Was war es, das ihn so erschreckte? War es das Unbekannte, das unweigerlich auf ihn zukam? Die Gefahr, die man nicht sieht, und auf die man sich nicht einstellen kann? Da fiel sein Blick auf seine Gefährten, und ihnen erging es nicht besser als ihm. Werhan lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht, und Marga war bleich wie der Tod.

      Wohin sollten sie fliehen? Sie konnten nicht zurück. Stehen bleiben war töricht. Sie mussten etwas unternehmen. So blieb ihnen nur der Weg nach vorn. Werhan hob einen schweren Stein auf, und Horsa tat es ihm nach. Auch Marga bewaffnete sich. Dann schlichen sie vorsichtig weiter. Mit jedem Schritt nahm die Angst zu. Es war, als steckten ihre Füße in einem zähen Brei, und es war mühsam, sie herauszuziehen. Es bedurfte ungeheurer Anstrengungen nicht stehen zu bleiben oder gar wegzurennen. Ein Gummiband schien sie nach hinten zu ziehen, und das Band spannte sich mehr und mehr.

      Hin und wieder blieb Marga stehen und lauschte auf die Vögel. Doch die Tiere waren jetzt verschwunden. Sie hatten sich in Sicherheit gebracht. Verhalten zwitscherte Marga, erhielt aber keine Antwort. Totenstille umgab die Menschen. Horsas Hand umschlang den Stein und seine Knöchel waren weiß. Er umklammerte ihn, als wollte er Wasser herauspressen. Vor ihnen machte der Pfad eine Biegung und verschwand zwischen zwei mächtigen Felsen. Ihr Gestein war verwittert und brüchig, Moos, Gräser und kleine Blumen wuchsen in den Ritzen.

      Je mehr sie sich diesem steinernen Tor näherten, desto mehr wuchs ihre Angst. Dahinter musste der Feind lauern. Werhan gab ihnen ein Zeichen, sie sollten zurückbleiben. Dann schlich er sich an die Felsen heran und kletterte vorsichtig nach oben. Langsam, ganz langsam schob er seinen Körper in die Höhe, stets darauf bedacht, keinen Stein loszutreten. Oben kroch er auf dem Bauch vorwärts. Er legte zwei Handbreiten zurück, dann noch eine und dann konnte er sehen, was hinter der Biegung auf sie wartete. Das was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ganz langsam Zoll für Zoll kroch er wieder zurück. Nur kein Geräusch machen! Einmal baumelte er mit den Beinen in der Luft, und es dauerte eine Ewigkeit bis er in dem brüchigen Felsen wieder Tritt gefasst hatte. Ein paar kleine Steine kollerten herunter, kaum hörbar. Aber für Werhan hörte es sich an, als habe er eine Steinlawine losgetreten. Er lief zu den Freund und der Schwester. Die starrten ihn neugierig und erwartungsvoll an. Er legte den Finger auf den Mund und zog sie mit sich, so schnell er konnte.

      Sie rannten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Nach ein paar Minuten blieb Horsa stehen und rief: „Was soll der Unsinn? Warum kehren wir um?"

      Werhan zischte: „Sei ruhig, wenn dir dein Leben lieb ist“, und rannte weiter.

      Plötzlich blieben sie wie angewurzelt stehen. Vor ihnen kamen schwankende Gestalten den Pfad entlang, und als sie sich entsetzt umdrehten, sahen sie auch hinter sich Feinde. Sie saßen in der Falle und konnten nur noch in den Abgrund springen. Nun hörten sie es. Das Geräusch war die ganze Zeit da gewesen, doch sie hatten nicht darauf geachtet. Dieser Laut war es auch gewesen, der die Angst ausgelöst hatte. Es war ein dumpfes Knirschen und leises Krachen. Es klang nach Holzzerbrechen und Steine zerreiben.

      „Zu spät“, stöhnte Werhan, „die Taks haben uns in der Falle. Kämpft so gut ihr könnt“.

      Horsa hörte diesen Namen zum ersten Mal.

      „Wer sind die Taks?" rief er.

      „Du wirst bald wünschen, den Namen nie gehört zu haben“.

      Langsam kamen die Gestalten näher. Sie waren gedrungen, kaum größer als Zwerge und hatten ein zottiges Fell. An ihren Händen hatten sie sechs Krallen, die sie ständig aneinander rieben, um sie zu schärfen. Dadurch entstand das grauenhafte Geräusch.

      „Was werden sie mit uns machen?" fragte Marga entsetzt.

      „Sie reißen ihren Opfern das Fleisch in Stücken aus dem Körper. Aber dazu wird es bei mir nicht kommen. Ich springe lieber in die Tiefe“.

      „Zuerst werden wir unsere Haut, so gut es geht, verteidigen“, knirschte Horsa.

      Nun im Angesicht der Gefahr wurde er ganz ruhig. Seine Angst war zu einem Teil seiner selbst geworden. Sie hielt ihn nicht mehr gefangen und lenkte ihn nicht mehr ab. Vielmehr unterstützte sie ihn, half ihm klar zu denken.

      „Wenn sie uns in die Zange nehmen, haben wir keine Chance“. Er war nun ganz Feldherr, der seine Truppen zum letzten Gefecht führt. „Wir müssen den Rücken frei bekommen“.

      Ein Stück vor ihnen war ein großer Felsblock mit einer platten Spitze. Auf ihn machte er seine Gefährten aufmerksam. Auf seinen Befehl rannten sie los. Die Taks erkannten den Plan. Gewöhnlich bewegten sie sich langsam, um die Todesangst ihrer Opfer zu genießen, doch nun hasteten sie los, und die Luft erzitterte von ihrem Heulen. Die Überfallenen waren schneller. Sie erreichten den Felsen und kletterten von der Gefahr getrieben, den glatten Stein hinauf, als hätten sie Saugnäpfe an Händen und Füßen. Als letzter riss Werhan sein Bein in die Höhe und die scharfen Krallen, die sich in sein Fleisch schlagen sollten, zischten ungefährlich in die Luft.

      Das wütende Geheul schwoll noch mehr an. Die sichere Beute wollte sich den Bestien entziehen. Zwei Taks machten sich daran, den Flüchtenden nachzuklettern. Doch mächtige Steine, die von oben herunterflogen, zerschmetterten ihre Köpfe. Heulend bildeten die Taks einen Kreis um den Felsen, reckten ihre Krallen drohend empor und wetzten sie. Aber sie