Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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bot daraufhin dem Herrscher der Habbas den gemeinsamen Kampf an.

      Es begann eine grausame Auseinandersetzung, die sich noch vierzig Jahre hinzog. Dörfer und Städte wurden zerstört und Ernten vernichtet. Männer starben in unübersehbarer Zahl, Frauen und Kinder wurden geschändet und umgebracht. Es waren schreckliche Jahre. Der Krieg schien nicht enden zu wollen. Am Ende gelang es vereint doch noch Ormor zum Rückzug und zu einem Waffenstillstand zu zwingen. Damit war der Sieg auf Seiten der Verbündeten, aber zu welchem Preis!

      Es wurde nie wieder so, wie es einmal war. Auch die Achajer konnten sich über den Sieg nicht freuen. Das Land war befreit, aber so verwüstet, dass man es nicht mehr bewohnen konnte. Arùmedo, der große Achajerfürst, sagte viele Jahre später, es sei ein schlimmer Sieg gewesen. Die Opfer waren einfach zu hoch. Unser König lebte nicht mehr. Die Herrschaft war auf Trista übergegangen.

      Meine Familie hatte der Krieg hinweggerafft. Als der Krieg begonnen hatte, war ich ein Kind gewesen. An seinem Ende war ich ein reifer Mann. Was sollte ich tun? Außer Kämpfen und Überleben hatte ich nichts gelernt. Eine Familie konnte und wollte ich in dieser Welt nicht mehr gründen. So blieb ich allein und wurde, wie so viele Habbas, ein Waldläufer. Ich lebte vom Jagen und Fallenstellen und verdingte mein Schwert Glutemin. Wo immer ich auf das Böse traf, überwältigte mich tiefer Hass. Ich vernichtete alle Feinde erbarmungslos und grausam. Manchmal, so sehe ich inzwischen ein, überschritt ich sogar die Grenze der Menschlichkeit und wurde selbst zu einer Bedrohung, denn mir fehlte Gelassenheit und Nachsicht. Ich war lange Zeit so unbarmherzig, dass ich mich heute dafür schäme."

      Bei diesen letzten, so überaus ehrlichen Worten trat Akandra auf ihn zu. Sie umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und zog sein Gesicht zu dem ihren herunter. Dann küsste sie den Mann auf den Mund.

      „Ihr sollt doch mit uns kommen“, sagte sie schlicht, „und ich will Eure Familie sein."

      Behutsam befreite sich Bréon aus ihren Händen und wandte sich ab. Marc sah, wie er sich verstohlen eine Träne aus den Augen wischte.

      „Erst war Krieg, dann kamen Kriege über Kriege und jetzt ist wieder ein Krieg“, sagte er wütend. „Wir teilen die Geschichte Centraturs nach Kriegen ein. Gibt es denn keine erfreulichen Ereignisse, um unsere Erinnerungen an die Vergangenheit zu ordnen. Ist Geschichte immer eine Geschichte von Kriegen? Was ist das für eine Welt, in der die Kriege zum Maßstab werden!“

      Niemand konnte ihm antworten, denn in diesem Moment brach erneut eine Angriffswelle über sie herein. Von allen Seiten stürmten Männer und Hunde heran, und sie hatten alle Hände voll zu tun, sich ihrer Haut zu erwehren. Dann war auch diese Attacke abgeschlagen, und die überlebenden Jäger Ormors flohen nach Westen über die Ebene. Marc und Akandra hüpften vor Freude über ihren Sieg.

      „Ich glaube nicht, dass wir Grund zum Jubel haben“, sagte der Waldläufer.

      „Du hast recht, Bréon“, gab Qumara sorgenvoll zu. „Ormor hat natürlich von seinem Thron aus diesen Kämpfen zugesehen. Nun weiß er, wie gefährlich wir sind. Er kann sich auch denken, dass es sich bei uns um keine törichten Wanderer handelt, die zufällig bei ihm eingedrungen sind. Der Zauberkönig will uns haben! Sicher hat er bereits Verstärkung geschickt. Ich möchte wetten, Orokòr sind unterwegs. Mit ihnen werden wir es nicht mehr so leicht haben, wie mit diesen Jägern. Die schwarzen Bestien werden uns zermalmen. Wir müssen hier weg."

      „Und ich werde hierbleiben und eure Flucht decken, so wie wir es abgesprochen haben."

      „Das wäre Euer Untergang“, rief Akandra entsetzt.

      „Irgendwann muss auch ich sterben, und es ist an der Zeit. Die Zeit der Waldläufer ist vorbei.“

      „Das will ich nicht“, rief das Mädchen verzweifelt. „Ich will, dass Ihr mit uns kommt. Ich habe Euch eben erst gefunden und will Euch nicht schon wieder verlieren."

      „Ihr habt keine Wahl“, beruhigte sie der Waldläufer sanft. „Ihr müsst mein Angebot annehmen. Macht, dass ihr fortkommt! Nutzt die Zeit! Euer Vorsprung schmilzt mit jeder Minute."

      „Was ist, wenn sie Euch besiegen und gefangen nehmen?" das Mädchen war noch lange nicht zum Gehen bereit.

      „Lebend werden sie mich nicht in die Verließe von Roscio schleppen. Das werde ich zu verhindern wissen."

      „Ihr seid ein tapferer Mann!"

      „Auch du bist eine tapfere Frau! Erfüllt eure Mission so gut ihr könnt und bewahrt euch auch in der größten Gefahr die Heiterkeit der Herzen. Wir Habbas haben selbst in schwersten Zeiten fröhlich gelebt. Wir haben viele Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten sehen und erdulden müssen, aber wir haben nie resigniert und nie den Spaß am Leben verloren. Wir singen auch im Untergang. Dann singen wir besonders laut und aus ganzem Herzen. Ich habe ein langes Leben gelebt. Meine Hoffnungen sind schon früh zusammengebrochen. Trotzdem oder gerade deswegen habe ich mit Haltung und mit Freude gelebt. Und mit Haltung und Freude möchte ich auch abtreten. Deshalb nehmt nun Abschied! Qumara, wenn du bei ihnen bist, werden sie weit kommen. Ich wüsste außer Aramar keinen besseren Führer. Und du, Akandra, vergiss mich nicht! Ich wäre wirklich gerne mit dir gegangen und bis zu meinem Tod werde ich an dich denken, denn du bist jetzt meine Familie. Und du, Marc, sei nicht verzagt. Geht nun alle mit dem Segen derer, die über die Erde wachen."

      Damit wandte er sich ab und spannte seine Armbrust. Die verbliebenen Pfeile ordnete er, griffbereit zum Nachladen. Das Schwert steckte er vor sich in die Erde. Dann lehnte er sich an einen Baum und wartete. Er war so gelassen, als kämen bald seine Freunde. Und ein wenig, so schien es Akandra, freute er sich sogar. Die Zauberin zog die Erits mit sich durch die Büsche, und der Habbas sah sich nicht nach ihnen um.

      Sie hatten einen Pfad gefunden, der sie nach Osten zum Goldfluss führte. Auf ihm eilten sie entlang. Das niedere Nadelgehölz links und rechts war wie eine Wand. Die Luft schien zu stehen. Es war ganz still. Kein Vogel sang. Kein Tier raschelte im Unterholz. Über dem Wald lag eine dumpfe Bedrohung. Die Natur schien den Atem anzuhalten. Die Gefährten waren niedergedrückt. Akandra rannen Tränen über die Wangen. Qumara trieb sie wieder zur Eile an. Um Marcs Brust hatte sich die Angst wie ein eiserner Reif gelegt.

      In diesem Augenblick krachte es in den Büschen. Eine Wildschweinherde brach mit lautem Getöse und Gegrunze aus dem Unterholz und verstellte ihnen den Weg. Zwei große Keiler mit riesigen Fangzähnen machten Anstalten sie anzugreifen. Auch hinter ihnen waren Wildschweine aufgetaucht, senkten die Köpfe und nahmen sie als Gegner an. Marc griff nach seinem Hammer, aber er wusste, während er den einen Keiler erlegte, würden die anderen sie zerfleischen.

      Da begann die Weiße Frau mit leiser Stimme zu singen. Bald konnte man sehen, wie sich die Muskeln der Tiere bei dem Lied entspannten. Singend ging Qumara auf den größten Eber zu und streichelte über seinen borstigen Rücken. Wie ein Hauskätzchen rieb er seinen massigen Kopf mit den furchtbaren Hauern an ihrer Hüfte. Dann wandte er sich ab und die ganze Wildschweinherde verschwand im Wald.

      „Die hat Ormor geschickt“, sagte Qumara. „Wildschweine sind scheue Tiere und greifen von sich aus nicht an. Er ist uns auf der Fährte."

      Marc hatte dem Schauspiel erstaunt zugesehen. Ihre Führerin hatte in dieser Not so eine Ruhe und Sicherheit ausgestrahlt, dass er sich dachte: „Mit dieser Frau gehe ich bis ans Ende der Welt!"

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