Gerhard Gemke

Cave Cobaltum


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schenkte sich Urlaubsreisen, vielleicht sogar nach Abu Dhabi zur Oase Liwa. In der Aufsichtsbehörde arbeiteten Leute, die vorher in der Ölindustrie tätig waren und beste Kontakte zum Ex-Präsidenten George W. Bush pflegten. Da wusch eine dreckige Hand die andere. Warum sollte das Spiel in Deutschland anders laufen?

      Schon mit der ersten Morgendämmerung hielt es Jade nicht mehr im Bett aus. Sie überflog die Kopien zum dritten Mal, dann duschte sie in aller Eile, zog ihren kürzesten Rock an und trank Tee. Heute würde sie Meier zur Rede stellen.

      Jade erreichte die Weißenhaller Stadtverwaltung gleichzeitig mit Knut, dem Hausmeister. Umständlich schloss er den Haupteingang auf und ließ Jade hinein. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass Jade Hausverbot hatte. Jade lächelte ihn an und Knut grinste zurück. Na, gefällt dir mein Narbengesicht noch immer, du versoffener Wixer? Jade war sich wohl bewusst, dass er mit offenem Mund auf ihren Hintern starrte, als sie die Treppe hinaufstieg. Sollte er doch.

      Jade erreichte das zweite Stockwerk und setzte sich auf einen der Plastikstühle, die auf der rechten Flurseite an die Wand geschraubt waren, vermutlich um zu verhindern, dass jemand in einem Wutanfall damit auf Beamte warf. Jade schlug ihre Beine übereinander, die mit Anitas Cellulitis-Stelzen problemlos mithalten konnten. Meier würde schon beeindruckt sein.

      Meier kam um 8.05 Uhr, fünf Minuten zu spät. Jade sah demonstrativ auf ihre Uhr. Der Amtsleiter ging wortlos an ihr vorüber und nestelte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Er stutzte, als er bemerkte, dass seine Bürotür unverschlossen war. Jetzt erst sah er Jade an.

      „Haben Sie hier aufgemacht?“

      „Guten Morgen, Herr Meier.“ Jade lächelte.

      „Frau von Bronsky, Sie haben Hausverbot.“

      „Und keinen Schlüssel mehr.“

      „Was wollen Sie hier?“

      Jade wechselte den Beinüberschlag und grinste über Meiers Blicke, die er nicht unter Kontrolle hatte. Laut knallende Absätze lenkten Meier von Jades Show ab. Ohne Hinzugucken wusste Jade, dass sich Anita näherte.

      „Wer hat hier aufgeschlossen?“, brüllte Meier plötzlich.

      Anita stieß eine Art Vogelschrei aus und kreischte: „Meine Tür ist auch offen.“

      Jade vermied es sie anzuschauen. Daran bist du selbst schuld.

      „Du warst doch dabei, als ich sie abgeschlossen habe“, brüllte Meier weiter.

      „Aber Heribert …“

      Dass war Meier offenbar nun doch zu privat, besonders vor Jades Ohren.

      „Gehen Sie an die Arbeit“, versuchte er es in im strengen Amtsleiterton. „Diesen Fall … Sie wissen schon. Ich melde mich später.“

      Anita wendete leicht irritiert, zog aber ohne Kommentar ab. Absatzknallen, Türknallen. Ruhe.

      „Nun zu Ihnen. Was wollen Sie?“

      „Eine Antwort.“

      „Frau von Bronsky, Sie sind bis Ende nächster Woche krank geschrieben und …“

      „Wie kann es sein, dass so eine Angelegenheit so schnell und ohne Aufsehen genehmigt wird?“

      „Hören Sie …“

      „Ja?“

      „Kommen Sie rein.“

      Meier versuchte es auf die besonnene Tour. So sachlich wie möglich. Drei Argumente kündigte er an, wobei er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Da er Jade keinen Stuhl anbot, setzte sie sich auf ihren zur Wand geschobenen Schreibtisch und betrachtete ausgiebig das Beduinenschwert, während – dessen war sie sich sicher – Meier ebenso ausgiebig ihre Beine inspizierte. Unvermittelt blickte sie ihm ins Gesicht und genoss es, dass er puterrot wurde. Es war ihm sichtlich peinlich, dass sie ihn erwischt hatte, und das sollte es auch.

      Meier räusperte sich hastig, rückte unnötigerweise seinen Krawattenknoten gerade und begann zu dozieren. Ein Endlager für strahlenden Abfall wird sowohl im nationalen wie internationalen Interesse dringend benötigt. Denn man hat nun mal das Zeug und das muss schließlich irgendwohin. Im übrigen glaubt niemand ernsthaft, dass es in Kürze ohne Atomkraft gehen wird. Genug Wind gibt es höchstens auf dem Meer und Sonnenenergie lohnt sich allenfalls in der Wüste. Beim Stichwort Wüste konnte sich Jade einen Seitenblick auf das Schwert nicht verkneifen.

      „Haben Sie sich darüber in Abu Dhabi informiert?“

      Meier fuhr fort, als hätte er ihre Bemerkung nicht gehört. Zweitens habe er die Zusage, dass regionale Unternehmen bei der Auftragsvergabe bevorzugt werden, was wiederum eine Menge langfristiger Arbeitsplätze in der strukturschwachen Weißenhaller Gegend schaffen wird.

      „Das widerspricht EU-Recht“, warf Jade ein. „Projekte dieser Größenordnung müssen europaweit ausgeschrieben werden.“

      Meier lächelte milde. „Keine Regelung ohne Ausnahme. Brüssel hat, weil für Helldor 21 höchste Sicherheitsanforderungen gelten, in diesem Fall eine solche Ausnahme bewilligt.“

      „Da wird sich Forestier aber freuen, so kurz vor den Wahlen.“ Jade zupfte an ihrem Rocksaum. „Und Kronk erst. Wie hieß noch seine Firma? ABC? Wie originell!“

      Meier atmete hörbar tief ein. Jades Rock war verdammt hoch gerutscht.

      „Und drittens?“

      Drittens wurde überhaupt nichts überstürzt genehmigt. Alle Fristen sind eingehalten worden. Zudem sei der Helldor-Stollen seit seiner Stilllegung vor genau einhundert Jahren regelmäßig Ziel von Expeditionen gewesen, die …

      „Meier, sie wissen selbst am besten, dass da Abenteurer unterwegs waren, die mit Öllampen durch die Stollen gegeistert sind und nach Kobolden gesucht haben. Ein paar Croggs haben sie als Führer angeheuert, die sie in die letzten Winkel von Helldor gelotst und ihrem Schicksal überlassen haben. Die Handvoll, die halbtot aus Helldor wieder rausgekrochen kamen, konnte garantiert keine Auskunft über die Sicherheit der Stollen geben.“

      „Sie irren sich, Frau von Bronsky. Im Jahre 1967 war Helldor schon einmal in die engere Wahl für ein Endlager gekommen. Damals hat man sich für die Asse entschieden. Sogar das Helmholtz-Institut aus Münschen hat in den Siebziger Jahren Helldor untersucht und für gut befunden.“

      Verdammt. Meier bluffte doch – oder hatte sie das übersehen? Aber was hieß das schon.

      „Das Helmholtz-Institut.“ Jade bemühte sich mitleidig zu grinsen. „Denen steht mittlerweile der Asse-Dreck bis Oberkante Unterlippe.“

      „Frau von Bronsky, Sie haben nicht die blasseste Ahnung. Wie können Sie … “

      „Ich gehe zur Polizei.“

      Jetzt war Meiers Geduld am Ende.

      „Ja, bitte, tun Sie das. Und dann aber auf dem direkten Weg zurück ins Krankenhaus. Sie sind doch nicht ganz …“

      „Gesund? Oh, doch!“

      „Ich meine es doch nur gut mit Ihnen.“

      Das beeindruckte Jade wenig. Jetzt war es Zeit für ihren letzten Trumpf.

      „Und was ist das?“

      Meier starrte auf den kleinen bunten Flyer, den Jade aus ihrer Handtasche zog. Seinen Schreck konnte er nicht verbergen.

      „Eindeutig Korruption, würde ich sagen. Da wird eine der brisantesten Entscheidungen, die diese Behörde je gefällt hat, über die Feiertage durchgepeitscht, während der Chef mit einer Rechnungsfachkraft durch Abu Dhabi spaziert. Spendiert vom Antragsteller.“

      Meier schnappte nach Luft und bekam dabei eine gewisse Ähnlichkeit mit Kronks Karpfengesicht. Jade zog die Augenbrauen hoch.

      „Ostern in der Liwa-Oase. Mit Fräulein Behrli. Traumhaft.“

      „Woher wissen Sie das?“, stammelte Meier. Langsam wanderte