Gerhard Gemke

Cave Cobaltum


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hatte, dort im Schatten der Tür.

      Kronk verließ China. Heimlich kehrte er nach Mordent zurück und sammelte die letzten Getreuen, die sich in den Gängen unter der Burg verkrochen hatten. Einer von ihnen war ein gewisser Mal Achit, den ein besonderes Schicksal und ein glühender Hass mit Helldor verband. Er wurde Kronks rechte Hand, und seit Kronk ihm die Nachfolge auf den Thron von Mordent in Aussicht gestellt hatte, war er sein ergebener Diener.

      Und dann entdeckte er ihn. Vor dem Tor der Firma PETRUS. Dies irae – der Tag des Zorns, der Tag der Rache war gekommen! Sicher, Kronk hätte wissen müssen, dass Menschen schneller altern als Kobolde, dass es nicht Bruno sein konnte, der dort lässig und ahnungslos in den Fiat Mirafiori stieg. Aber Kronk war blind vor Hass. In der folgenden Woche ließ er seinen Range Rover mit einem zu der Zeit noch nicht verbotenen Stahlvorbau ausrüsten, einem sogenannten Bullenfänger. Und er stellte sich vor, was von dem mickrigen Fiat übrigbleiben würde, wenn der zum Beispiel auf regennasser Fahrbahn im Morgennebel vielleicht einem Tier ausweichen müsste und frontal gegen den Bullenfänger …

       WOMM!

      Kronk schreckte auf. Draußen vor den hohen Fenstern des Saals krachte ein neuer Donnerschlag. Bruno Bronsky war aus dem Schatten der Tür verschwunden. Damals war Kronks Rache fehlgeschlagen, er hatte den Falschen erwischt, aber dieses Mal war alles sorgfältiger geplant. Kronk starrte in die Nacht. Die ersten Schritte waren getan, die Operation Bergfrieden nahm ihren Lauf und der Weißenhaller Stadtrat würde schweigen und nicken, ganz sicher, auch dafür hatte er gesorgt. Eine Eule schrie. Kronk war verschwunden.

      Ela starrte auf den Bildschirm. Den ganzen Tag war das Netz wegen schwerer Unwetterschäden ausgefallen, erst jetzt am Abend gab es wieder eine Verbindung ins WorldWideWeb. Die WAAMPIRE-Site hatte Wolles langhaariger Alter eingerichtet, als er noch glaubte, in diesem Kaff eine grüne Bewegung ins Leben rufen zu können. Weißenhaller Anti-AtoM-PIRatEn. Außer zwei, drei Demos war aber nicht viel gelaufen. Jahre her. Inzwischen nutzte Wolle die Seite als private Homepage.

      Sie waren fast alle on. Wolle, den seine Erzeuger in einem Anfall von Umnachtung Wolfram Richard Wagner genannt hatten. Hermine, die tatsächlich so hieß (und nicht erst seit Harry Potter) und die hinter allem und jedem irgendeine sprituelle oder außerirdische Macht vermutete, Beryll, der sich im Chat Rebell nannte, und Bambule.

      Lupus [Wolle]: habt ihrs gesehn?

      Rebell [Beryll]: was

      Bambule: endlich funzt es wieder

      Lupus: forestier+reineke heute morgen im tv

      MissVerständnis: sie wollen in Helldor einlagern

      Rebell: wie was?

      Wolle: gibts noch mehr ahnugslose?

      Bambule: IN HELLDOR???

      Ein weiterer Gast hatte sich eingeloggt, wie die Liste am rechten Fensterrand anzeigte.

      Rebell: sieh an der kobold

      kobold: hi

      MissVerständnis: hi

      Rebell: ;-))

      kobold: habt ihr tv gsehn

      Wolle: wer bistn du

      kobold: oper azionb ergfriden

      Bambule: was für ne oper???

      MissVerständnis: Operation Bergfrieden

      Bambule: häää???

      MissVerständnis: pause! ich erklärs

      Bambule: oki

      Wolle: jap

      Rebell: !

      MissVerständnis: die bezirksregierung weißenhall hat genehmigt in helldor atommüll einzulagern – schon bald – ist schon alles mit berlin besprochn

      Bambule: bei den croggs?

      Hermine: ich haps gespürt

      Rebell: hermi jetz nicht!

      Hermine loggte sich auf der Stelle aus.

      Wolle: wer bist du?

      Bambule: ich???

      kobold: ich bin gegn den müll wie ihr

      Bambule: sind wir das?

      Rebell: ich heiße Beryll und du?

      Wolle: komm doch morgen zum treffen

      kobold: bo

      Bambule: was bo

      kobold: wo is das trefen

      Wolle: alter hellweg 13

      kobold: vileicht

      Bambule: du ausländer?

      MissVerständnis: bambi!!!!!!

      kobold: ne

      Wolle: muss los bis morgen

      MissVerständnis: cu

      Wolle hatte sich ausgeloggt, Sekunden später auch Ela.

      Rebell: ciao

      Auch Beryll verschwand.

      Bambule: bo???

      kobold: *lol*

      Bambule saß noch eine Weile und betrachtete die letzten Sätze des Chats. Auch kobold war verschwunden.

      Bambule: komischer Name

      Bambule: ich heiß doch auch anders

      Bambule: Bernd-Ullrich

      Bambule: boa eh!!!

      Bambule loggte sich als Letzter aus.

      Ela stand am Fenster und schaute in die hereinbrechende Nacht. Wer war dieser seltsame kobold? Sollte sie Wolle anrufen und ihm sagen, dass sie ihn schon vor zwei Wochen im Chat angetroffen hatte, und dass der längst von der Operation Bergfrieden gewusst hatte? Wieso hatte er eigentlich?

      Mit einem Ruck zog Ela ihren Kopf zurück. Neben der Haustür unter dem Rhododendron hatte sie ihn im schwachen Widerschein eines Handys entdeckt. Sekunden später klopfte es an der Haustür.

      Tock-tock-tock – tock – tock.

      Ela wagte kaum zu atmen. Hatte sie den zusätzlichen Riegel vorgeschoben, den ihr Vater vor kurzem erst angebracht hatte? Zur Sicherheit, hatte er gesagt. War die Kellertür abgeschlossen? Die Terrassentür? Das Küchenfenster stand auf Kippe, fiel ihr ein. Ela lauschte. Sie hörte ein Schaben an der Haustür, oder spielte ihr die Einbildung einen Streich?

      Tock-tock-tock – tock – tock.

      Es klopfte wieder. Dreimal kurz, zweimal lang, wie ein abgesprochener Code. Ela spürte ihr Herz bis in die Kehle. Stille. Dann wieder.

      Tock-tock-tock – tock – tock.

      Plötzlich waren schnelle Schritte auf losem Kies zu hören. Ela sah hinaus. Eine lange dünne Gestalt mit breitkrempigem Hut und wehendem schwarzen Mantel lief die Straße hinunter und verschwand um die nächste Hausecke. Es war der Wolf, ganz sicher. Was hatte er gewollt? Von ihrem Vater, oder gar – Ela rann ein Schauer den Rücken hinunter – von ihr!

      Langsam ging sie zurück ins Zimmer. Sie wagte nicht Licht anzuschalten, sondern folgte dem Weg, den das blasse Mondlicht auf dem Fußboden zeichnete. Vollmond. Scharf hob sich der Schmetterling von der hellen Haut ihrer linken Schulter ab, ein „Erbstück“ ihrer Mutter. Der Schmetterling schlug mit den Flügeln und huschte durch den milchigen Mondpfad. Ela stockte der Atem. Es war eine Fledermaus gewesen, natürlich, oder was auch immer.

      Sie schlich hinaus in den Flur. Rechts befand sich das Arbeitszimmer ihres Vaters. Er kam erst morgen aus Berlin zurück. Ela fasste die Klinke und drückte sie hinunter. Abgeschlossen.

      5

      Sonntag, 10. Juli, 9.04 Uhr. Flugplatz.

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