Arik Steen

Sklavenschwester


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Saga: «Aber stimmt schon ...»

      «Die virtuelle Welt gaukelt uns etwas vor. Sie gibt uns sogar vor, wie wir denken sollen. 90 Prozent unserer sozialen Kontakte sind nur virtuell oder werden zumindest überwiegend virtuell gepflegt. Ist das erstrebenswert?»

      «Ich weiß es nicht, ich habe mir noch nie Gedanken darübergemacht.»

      «Unser Leben rast. Es geht schneller vorüber als vor 50 Jahren. Weil wir unser Leben mit Internetschrott zumüllen. Unser Gehirn verarbeitet ständig irgendwelche Kommentare, sinnlose Phrasen auf Facebook oder auf Twitter. Das Schöne bleibt oft auf der Strecke, nämlich das eigene Erlebnis! Wir müssen viel mehr unser eigenes Leben leben, statt das zu leben, was andere teilen oder uns vorkauen ...»

      Saga schaute ihn nur an. Oh Gott, wurde das jetzt eine Predigt?

      «Was willst du erleben?», fragte er.

      «Keine Ahnung ...»

      «Etwas Greifbares, etwas Reales, oder? Nicht etwas, dass jemand Anderes gepostet hat.»

      «Ja, schon!»

      «Ich wette, deine Pussy schmeckt genauso süß, wie die deiner Schwester!», sagte er.

      Saga hatte das Gefühl vor Scham im Boden zu versinken. Sie schaute sich um. Keiner der anderen Gäste schaute her. Alle waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe leise zu sprechen. Sie antwortete darauf nicht.

      «Hat dich jemals einer geleckt?», fragte er.

      Sie schüttelte verlegen den Kopf: «Nein!»

      «Hat dich überhaupt schon jemals ein Mann berührt?»

      Sie verneinte wieder.

      «Du bist eine Jungfrau?», fragte er, obwohl er die Antwort bereits von ihrer Schwester kannte.

      «Oh Gott, können Sie das bitte lassen?», fragte sie flüsternd.

      Er grinste sie an: «Ist es dir peinlich?»

      «Ja, schon ein wenig!», sagte sie. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie mit jemandem Details über derart private Sachen ausgetauscht: «Ich dachte eigentlich, ich könnte heute meine Schwester hier treffen!»

      «Heute leider nicht!», sagte er: «Da muss ich dich enttäuschen.»

      «Warum nicht?», fragte Saga.

      Er lächelte: «Du stellst die falschen Fragen.»

      «Ich wollte meine Schwester eigentlich überraschen!», meinte Saga etwas unsicher.

      «Das habe ich mir gedacht!», meinte er sanft: «Sie hat viel von dir erzählt!»

      «Okay!?», erwiderte Saga seufzend. Sie wusste nicht wirklich mit dieser Situation umzugehen: «Weiß sie denn überhaupt, dass ich in München bin?»

      Er beantwortete ihre Frage nicht, sondern schaute ihr tief in die Augen: «Möchtest du die Welt deiner Schwester kennenlernen? So, wie sie wirklich ist?»

      «Ich weiß es nicht, ich ...», Saga stotterte. Sie wusste wirklich nicht, was sie sagen sollte.

      «Lass dir Zeit», meinte er: «Wie lange bist du hier?»

      «Zwei Wochen!», antwortete sie.

      «Okay, und wo wohnst du?»

      Saga wusste nicht, ob sie darauf antworten sollte. Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht. Aber in jedem Fall hatte er das Handy ihrer Schwester.

      «Sag schon!», meinte er befehlend und doch in gewisser Weise so, dass es abschreckte.

      «Mit meiner Freundin in Bad Tölz. Bei ihrem Onkel!»

      «Okay!», sagte er: «Lass dir Zeit mit der Entscheidung. Und wenn du die Welt deiner Schwester kennenlernen möchtest, dann melde dich.»

      Sie schaute ihn an und spürte seinen tiefen, durchdringenden Blick, sodass sie sofort wieder zu Boden schauen musste.

      Daniel stand auf und ging.

      Saga saß da. Sie starrte auf den Tisch. Er hatte zehn Euro hingelegt. Das reichte auch für ihren Kaffee.

      Sie nahm ihr Handy und tippte für Linnea eine Nachricht: «Ich bin fertig, wo seid ihr?»

      «Warte! Wir kommen zum Marienplatz!»

      Saga ging hinaus. Sie wartete vor dem Café. Es dauerte auch nicht lange, bis die beiden kamen.

      «Und?», fragte Linnea: «Hat sich deine Schwester gefreut?»

      «Ja ...», log Saga. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Vermutlich war es eine dumme Idee ihre Freundin anzulügen. Aber sie wusste einfach nicht, was sie machen sollte.

      Glücklicherweise ging Linnea gar nicht näher drauf ein: «Cool. Freut mich für dich. Wir wollen noch ein bisschen durch die Stadt gehen. Vor allem will ich auch das Hofbräuhaus ...»

      «Bla bla bla!», das war alles was Saga hörte. Ihre Gedanken waren völlig woanders. Wer war dieser Mann? Wo war ihre Schwester?

      Vom Marienplatz zur Frauenkirche, weiter Richtung Odeonsplatz, zum Hofbräuhaus und zurück zum Marienplatz. Saga bekam nicht allzu viel mit. Immer wieder war sie mit den Gedanken wo ganz anders: bei ihm ... und das änderte sich auch nicht auf der Rückfahrt.

      «Hey, alles klar bei dir?», fragte Linnea. Sie waren bereits auf dem Weg nach Bad Tölz: «Du hast nicht mehr allzu viel geredet.»

      «Alles in Ordnung!», meinte Saga: «Ich krieg alles mit!»

      «Sicher. Ungefähr so viel wie ein 90-jähriger auf einem Rockkonzert!», lachte Mikael.

      «Du warst schon mal auf einem Rockkonzert?», fragte Saga und lächelte ein wenig.

      «Nein, aber er ist 90!», lachte Linnea laut: «Du hast mitbekommen, dass wir noch was Essen gehen wollen?»

      «Ja, in irgendeinem Gefängnis!»

      Mikael seufzte: «Es heißt zwar Jail House. Aber es ist kein Gefängnis!»

      «Ja, habe ich schon verstanden.»

      Die Bayerische Oberlandbahn fuhr im Bahnhof in Bad Tölz ein.

      «Laufen wir dort hin?», fragte Linnea.

      Er schüttelte den Kopf: «Nein, wir müssen mit dem Auto fahren!»

      Linnea schaute Saga an: «Bist du noch bei uns?»

      «Sicher, ja! Warum fragst du?»

      «Weil du aussiehst, als wärst du gedanklich völlig woanders!»

      «Nein, bin hier!», meinte Saga. Doch sie wusste, dass Linnea recht hatte. Sie konnte das Erlebnis vom Nachmittag einfach nicht vergessen. Der angebliche Herr und Meister ihrer Schwester hatte sie aus dem Konzept gebracht.

      Giesinger Bräu, 19.00 Uhr

       Daniel setzte sich zu mir: «Sitzt du hier schon wieder oder immer noch?»

       «Wieder!», meinte ich und blätterte in meiner Zeitung: «Schon vergessen, dass ich eine Kundin von dir in der Zwischenzeit betreut habe? Diese Beate Müller. Eine Sächsin.»

       «Sie ist nicht einfach, ich weiß!»

       «Weil sie Sächsin ist?», grinste ich.

       «Nein!», schüttelte er den Kopf: «Ich meinte jetzt trainingstechnisch!»

       Ich nickte: «Sie hat die ganze Zeit davon gequatscht, dass sie es nicht mit der Ernährung hinbekommt. Nun, da kann sie trainieren, wie sie möchte. Mit dem Abnehmen wird das nichts!»

       «Ich erklär ihr das auch immer wieder!»,