John Otis

Schtraworski


Скачать книгу

lustig, du Arsch! Nein, ich schweife ab... bring mich in den Himmel, sonst werde ich es in der Hölle zu einiger Macht bringen! Und Wischnu, mach aus meinem reinkarnierten Geist keine Kotstulle, bitte. Ach, was soll die Scheiße eigentlich, Nicklas? Los gehts!! Dawai Dawai!“ Ich krachsel hoch, wickel das Ende des Galgens ein paar mal um den dicksten Ast. Ganz schön anstrengend, so ein Selbstmord! Leider hab ich nicht recherchiert, wie man das fest macht. Zehn einfache Knoten sollten reichen.

      „Was machstn du da?“ Fragt jemand von unten. Ich guck aus den Augenwinkeln runter. Sogar kurz vor meinem Tod kann ich niemandem ins Gesicht sehen. Aber keine Ahnung, wo die Person da unten hinschaut. Die Person ist nämlich schwarz und da sieht man aus den Augenwinkeln nicht mal, ob sie mir das Gesicht oder den Hinterkopf zuwendet.

      „Was glaubst du denn?“ Frag ich zurück, blick ungefähr in die Richtung. Da steht ein junger Mann, wohl so alt wie ich.

      „Boook bock bock bock“, sagt er, äfft ein Huhn nach.

      „Fick dich!“ Sag ich, reiß ein paar kleine Ästchen ab und schmeiß sie nach ihm, er weicht aus und grinst.

      „Feigling!“ Sagt er.

      „Egal, wenn du mich jetzt entschuldigen würdest“, ich wedle geschäftig mit dem Galgen rum, „die Dinge erledigen sich ja nicht von selbst, nicht wahr?“ Ich schmeiß noch ein paar Ästchen nach ihm und imitiere dabei die feierliche Handbewegung die unser Pfarrer bei Beerdigungen immer macht, wenn er die Leichen mit seiner Klobürste mit Weihwasser besprenkelt.

      „Komm da runter oder ich komm da rauf!“ Sagt er.

      „Bevor du oben bist, bin ich schon wieder unten!“

      Er rüttelt an dem Baum. Scheiße, hat der eine Kraft. Es klappt, ich kann mich kaum noch halten, der Strick fällt mir aus der Hand.

      „Nimm mir nicht die Freiheit zu sterben, das ist das einzige was ich mir im Leben jemals herausgenommen hab...“, sag ich.

      Er greift den Strick, zieht dran, der Baum krümmt sich, er lässt los. Und wie ein Geschoss fall ich drei Meter tief. Zum Glück ist da ein Dornenstrauch, der meinen Fall bremst. Irgendwas hat mir in die Eier getreten. Ich glaube das war in der Luft, die Faust Gottes. Ein paar Kratzer, sonst fehlt mir nichts. Nur noch mein Essen, das liegt jetzt neben mir im Schnee. Ekliger Nachgeschmack, er gibt mir einen Kaugummi.

      „Airwaves“, sagt er, zeigt mir die Packung, „damit bleibste frisch!“ Ich weiß nicht, warum er grinst oder warum ich mich nicht einfach am nächsten Tag umgebracht habe. Vielleicht einfach nur, weil er das nicht wollte. Weil er der einzige Mensch auf der ganzen Welt war, der mich davon abhielt, während alle anderen mich wahrscheinlich angefeuert hätten. Oder wollte ich es selber nicht? Tausendmal hatte ich es mir vorgestellt, wie die Lichter ausgehen und ich mich auflöse. Ich fand nichts Unheimliches, daran, eher etwas Befreiendes. Vielleicht lags auch daran, dass, wenn man sein Leben lang von allen wie Dreck behandelt wird und dann einer mal nett ist, es sich anfühlt, als kriege man nen verfickten Nobelpreis mit Torte, wo ne Stipperin rausspringt und dir einen bläst. Jedenfalls lebe ich noch, warum eigentlich nicht? Kann ja morgen immer noch nen Rückwärtssalto mit dreifach Schraube in den Schulhofbeton machen und ich explodier wien Keks und jeder kann sichn Batzen Nicklas Stäufer als Erinnerung mitnehmen.

      „Ich bin Sammy“, sagt er.

      „Nicklas... Und was jetzt?“

      „Wie wärs mit Suppe?“

      „Suppe??“

      „Ja, was ist deine Lieblingssuppe?“

      „Suppe mit äh...“, die Frage kam mir absurd vor, „äh, mit Fleisch drinnen?“

      „Ja, die mag ich auch“, er reibt sich den Bauch, „wollen wir?“ Fragt er.

      Ich pack mein Zeug, den Rucksack, guck zum Galgen hoch.

      „Na na“, sagt Sammy, „den brauchst du jetzt nicht mehr.“ Er hat diese merkwürdig unerschütterliche Zuversicht, als ob er etwas wusste, das ich niemals verstehen würde.

      „Sollten wir ihn nicht abnehmen?“ Frag ich.

      Er dreht sich um, klettert etwas umständlich hoch und hantiert an den Knoten. Nach einigem Fluchen löst sich das Seil und fällt zu Boden. ich schmeiß das Teil in den Rucksack. Wir gehen ein Stück. Es ist nicht weit, er wohnt gleich in der anliegenden Siedlung.

      Herd an, die Suppe blubbert, wir schweigen. Seltsam dekoriert, hier. Rustikal und irgendwie riechts nach Scheiße. Aber ich glaub, hier ist ein Bauernhof in der Nähe.

      „Wir sind neu zugezogen“, sagt Sammy, „ja, ich weiß, es riecht nach Scheiße...“, mit ner Riesenkelle schöpft er die Suppe. Wir löffeln. Ich hol meine besten Manieren hervor, wie ich das immer mach, führ den Löffel zum Mund und nicht umgekehrt, die linke Faust aufm Tisch.

      Er wird hier auf die Schule gehen, auf die gleiche, wie ich. Hatte heut nur kein Bock, da ist er zu hause geblieben. Ich kann ihm kaum in die Augen schauen, meine Hände zittern ein bisschen. Wie ich gehn will, zieht er den Galgen aus meim Rucksack und schmeißt ihn aufn Tisch.

      „Kann ich dich in der Verfassung alleine lassen?“ Fragt er, ich nicke. Das war das letzte mal, dass wir über meinen Suizidversuch geredet haben.

      Am nächsten Tag fühle ich mich wie ein Gespenst. Der Anblick des Todes hat mich dumpf und taub werden lassen, als ob ich in Watte verpackt wäre, als ob ich nur ein Mann wäre, der in meinem Kopf wohnt, aufm Sofa fläzt, Cola trinkt und unbeteiligt der Welt durch meine Augen zuguckt. Ich bin abgebrannt, aber das nächste mal wäre leichter. Den halben Weg bin ich schon gegangen. Nur so zu deiner Info, Nicklas.

      Ich lauf durch die verwinkelten Gänge der Schule. Vor dem Klassenzimmer stehen Leute. Es ist abgesperrt. Wir müssen davor warten. Das hasse ich am meisten.

      „Guten Morgen Nickita“, sagt Martin, mein Schänder. Ich sage nichts, lehne mich gegen die Wand. Da kommt Caroline Hintermeyer. Scharfes Teil. Martin glotzt sie an, macht keinen Hehl daraus. Ich hab auch schon lange ein Auge auf sie geworfen, nur leider würde sie wohl nicht mal Dreck auf mich werfen.

      „Morgen“, sagt sie in die Gruppe. Man unterhält sich, ich versuche cool zu bleiben. In ihrer engen Hose sehe ich jede Rundung von Carolines Arsch. Am liebsten würde ich da rein beißen. Lieber nicht. Sie würde das nicht gut finden und mir vermutlich vor Schreck ins Gesicht furzen. Ich mach den Wandschrank auf, gesell mich zu den Jacken. Hinter den Holzgittern winke ich Caroline zu. Sie sieht mich nicht.

      Herr Geyer kommt. Wedelt mit dem Schlüssel. Wir sind drin.

      „Guten Morgen“, sagt Herr Geyer. Wir stehen alle auf und sagen:

      „Guten Morgen, Herr Geyer.“ Was war das eigentlich für Scheiße? Immer das mit dem Aufstehen?

      „Heut hau ich euch halt mal so was von die Physik um die Ohren, da guckter dann blöd“, sagt Herr Geyer, „aber erst gibt’s die Arbeiten zurück.“ Er verteilt sie einzeln. Ruft auf, gibt dem jeweiligen die Arbeit, sagt ein paar Worte. Herr Geyer ist angefressen. Warn beschissener Schnitt. Dann kommts zum S. Das bin ich und ich bin der einzige.

      „Herr Stäufer“, ich geh nach vorne, „ 1-, beste Arbeit“, sagt er laut, guckt auf sein Tisch, mir fliegtn Wurstbrot an Kopf, Herr Geyer hats nicht gesehen, es ist aus weichem Brot, es landet lautlos.

      „Beeindruckend“, sagt Herr Geyer, „wirklich beeindruckend. Nein echt, da kann was draus werden“, er nimmt seine Brille ab, guckt mir ins Gesicht, „alles ok?“ Fragt er, „sie sehen ein bisschen meschugge aus.“ Ich nicke bloß, zu mehr reichts nicht, greif mir die Arbeit, setz mich wieder.

      In der Pause flitz ich davon, raus ausm Klassenzimmer. Jetzt hol ich mir das fette Sandwich. Das mit Mayo drauf und Salat und fingerdick Salami und dem ganzen Scheiß. 3.50 kostet das Riesenteil. Ich muss es mit beiden Händen halten und balancieren, um nicht umzufallen. Ich beiß in die Kruste rein, der Schlodder rinnt mir die Backen runter.

      „Gut guhuuut“, sag ich leise. In den mit Schüler gepfropften