John Otis

Schtraworski


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pfeffern. Die mag ich sowieso nicht. Ich bin ein Feigling, ich lass es sein. Ich leck die Mayo von den Gurken und schmeiß sie auf den Boden. Dann haben wenigstens die Putzfrauen genug Arbeit.

      Ich bin müde. Ab in die Katakomben. Der Unterbau. Da kommt kaum Tageslicht hin und man sagt dort unten spukt der Geist des alten Rektors. Der ist zwar noch nicht so wirklich tot, aber was solls? Gerüchte sind sowieso nur für Leute, dies mit der Realität nicht so genau nehmen, weil ihnen ihre eigene nicht gefällt.

      Ich geh in einen der Aufenthaltsräume und leg mich auf den stinkenden Teppichboden. Das Sandwich neben mir. Ich beiß nochmal rein, kaue, schmatze.

      „Sch sch“, sage ich und streichle es, „es wird alles ok werden...“

      An meiner Backe klebt ne Salami. Und den Rest von meinem Sandwich frisst der Hausmeister. Er steht in der Tür und glotzt mich an. Ich muss wohl eingeschlafen sein.

      „Mhhh“, sagt er und kaut, spült mit Wasser nach, rülpst.

      „Die gute Heidi“, sagt er, „die macht die immer so gut mit ganz viel Wurscht drauf.“

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

      „Hast Glück gehabt“, sagt der Hausmeister, „hätte dich fast eingesperrt.“

      Er kommt mit, wir holen meinen Rucksack aus dem Klassenzimmer. Wie ich nach hause gehe, ist es schon dunkel. Und mein Vater sitzt in seinem tuntigen Rentierpuli am Tisch.

      „17:30 Uhr: Abendessen“, sagt er und steht auf, „wie spät ist es jetzt?“

      „Keine Ahnung“, sag ich.

      „Es ist jetzt 18:10 Uhr“, sagt er.

      In der Stille ist dieser kurze Moment reiner Aggression und schierem Hass und ich würde ihm am liebsten an die Gurgel springen. Er geht einen Schritt auf mich zu, ich fliehe in mein Zimmer, sperr die Tür zu. Er brüllt irgendwas. Warum stirbst du nicht einfach?

      Ich kann nicht mehr schlafen. Oder nur dann, wenn ich es nicht sollte. Ich krieg keine Luft mehr. Ich reiß das Fenster auf und lehn mich hinaus. In Boxer-Short steh ich da, frier mir einen ab und der Mond blendet mich. Mit seinen Furchen und Gräbern sieht er aus wie das Gesicht eines Dämons. Ich starre drauf, bis das Licht vor meinen Augen tanzt und ich ne Latte krieg, weil ich an Caroline Hintermeyer denk. Ich hol mir einen runter und schäme mich danach.

      2

      Er schwankt. Die ganze Zeit. Er ist gefangen in der Ambivalenz der Eltern, zwischen Neid und Stolz. Deswegen ist es schwer ihn zu hassen und schwer ihn nicht zu hassen. Wir reden über die Zukunft, meine Zukunft.

      „Was willst du vom Leben?“ Fragt mein Vater.

      Ich bleib die Antwort schuldig. Keine Ahnung, vielleicht dass es aufhört?

      „Dass es nicht mehr zum Kotzen ist?“, stammle ich. Er räuspert sich, schaut mich verlegen an, als ob er mich erst jetzt verstehen würde. Auch er bleibt eine Antwort schuldig. Vielleicht hasst er mich deswegen so sehr, weil er selbst keine Antwort hat.

      Er blättert in seiner Zeitung, murmelt irgendwas, trinkt sein Kaffee, isst nen Keks.

      „Die sind echt gut“, sagt er bloß.

      Am Horizont verglühen die Wolken, die Sonne taucht sie in Scharlachrot und da vorne über dem See hängt der Nebel. Ich habe mir Zigaretten gekauft. Das mache ich manchmal. Wie ein kleines Kind versteck ich mich dann und rauche. Ich steh am Waldrand und zieh auf Lunge, kotz sie dabei halb aus. Mir wird schwindelig. 20 Meter weg, da vorne steht der Baum meines geplanten Ablebens. Keine Ahnung, warum ich hierher gekommen bin.

      Er keucht wie Sau. Ich hör ihn lang bevor ich ihn seh. Sein Kopf wackelt, als ob er gar nicht festgemacht wär, seine Haare stehen in alle Richtungen. Er kommt die Böschung hoch, sein Atem kondensiert in der klirrenden Kälte. Irgendwie hab ich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen.

      „Hallo“, sagt Sammy.

      „Was geht?“ Frag ich, hab das mal jemand sagen hören, das scheint mir gerade angebracht.

      „Nich viel“, seine Augen werden zu kleinen Schlitzen, der rote Himmel blendet ihn, er grinst.

      „Deine Hände krepieren“, sagt er. Ich starr auf die blauen Bollen, die mal meine Finger waren, mein Körper kann nichts, nicht mal Heizen. Ich schüttel sie, sie sind fast eingefroren.

      Sammy joggt, „komm doch mit joggen“, sagt er, „sonst schimmeln dir die Teile noch ab“, ich glotz immer noch auf meine Hände, sterb ich gleich an Unterkühlung? Das wär ein ziemlich bekloppter Tod.

      „Stopf sie dir in die Hose und halt deine Klöten fest“, schlägt er vor.

      Klingt gut. Jetzt steh ich da, meine Arme versunken in meiner Hose und knabber an meiner Unterlippe.

      „Und sonst so?“ Frag ich.

      „Naja, läuft läuft.“ Kurze Stille, dann: „muss dann auch mal weiter“, sagt er. Wir verabreden uns für morgen zum Laufen.

      Ich schmeiß Kleider durch die Luft. Knie vor meim Schrank, da ist nur Scheiße drin. Ganz viel altes Zeugs von meinem Vater. Ist da auch Scheiße drauf? Kleiner brauner Fleck auf meiner einzigen kurzen Sporthose. Das wär ja nochmal ne Spur härter, wenn mir mein Vater immer auf die Klamotten kackt, wenn ich schlafe. In dem Tangar hier kann ich eh nicht raus. Meine Eier hängen schon tiefer, als der Stoff geht. Und zu kalt ists sowieso. Ich wag mal was.

      „Vater, kauf mir ne neue Jogginghose“, sag ich.

      „Jetzt werd hier mal nicht frech“, sagt er, er ist halbwegs gut gelaunt.

      „Ich brauch aber eine.“

      „Was ist mit meiner alten kurzen?“

      „Da fällt mir immer der Schwanz raus, wenn ich zu schnell laufe.“

      „Dann lauf doch nicht so schnell...“

      „Aber ich will draußen laufen...“, sag ich kleinlaut.

      „Wenn du zeigst, dass du wirklich ernsthaft Sport betreiben willst, kauf ich dir nen Trainer, ne chice Ausrüstung und einen von diesen verfickten Startblöcken!“ Mein Vater lacht. Er lacht mich aus. Das kriegst du nie hin, denkt er, nur weil er selbst so fett ist. Ich geb auf. Und jetzt?

      Ich hab bloß eine richtige Hose und wenn ich die kaputt oder dreckig mach, lässt mich mein Vater bestimmt nackt in die Schule gehen...

      Die Bärchenhose? Ich zieh lange Unterwäsche an, drüber die gefütterte, alte Pyjamahose mit zwei, drei grinsenden Bären-Fressen drauf. Eigentlich doch scheiß egal? Sammy wird wohl kaum auf meine Hose glotzen? Sicherheitshalber mal ich den Bären grimmige Edding-Augenbrauen und Spitze Zähne an. Das wird meinen Coolness-Faktor bestimmt steigern...

      Und Sammy wird mich respektieren, weil er mich fürchten wird!!!

      Es klingelt.

      „OH MEIN GOTT DAS IST ER, OH MEIN GOTT DAS IST ER!“ Kreische ich schrill, hüpfe hysterisch umher. Zum Glück ist mein Vater irgendwo anders, er hätte mir wohl, während ich noch am Hüpfen bin, einfach in die Eier getreten.

      Ich öffne die Tür, sage möglichst gelangweilt:

      „Hi.“

      „Na, kanns losgehen?“ Fragt Sammy.

      „Ich bin immer bereit“, sage ich ein bisschen verschwörerisch.

      „Hast du so was schon mal gemacht?“

      „Ich“, sag ich noch ein bisschen verschwörerischer, „mach so was immer.“

      „Hä? Das ergibt doch jetzt gar keinen Sinn?“

      „Tut es das?“

      „Hm... aufwärmen?“

      Ich mache Knie-Bäugen wie bekloppt. Sammy dehnt sich. Ich