John Otis

Schtraworski


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sammelt sich auf meiner Zunge, ich spucke aus.

      „Bäh!“ Sagt eine Passantin, die uns beim Laufen zuguckt, „bäh bäh bäh!“ Wie wir an ihr vorbei sind, dreh ich mich kurz um, sie schaut mich noch immer angeekelt an. Sammy zuckt mit den Schultern. Ich hätte ihr den Finger zeigen sollen.

      Am Stadtrand kann ich nicht mehr. Ich wechsle über in einen flotten Power-Walk. Sammy zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt. Er ist wirklich verflucht athletisch, zieht an, springt über den verschneiten Feldweg. Ich bleib stehen, keuche, setz mich in den harten Schnee. Ich dampfe wie ein gegrilltes Spanferkel. Mein Kopf ist klar und leer. Sammy macht seine Runde, holt mich wieder ab.

      Bei ihm schlürfen wir blaues Gatorade, ich bin zu kaputt, um nervös zu sein.

      „Power-Riegel?“ Fragt er, gibt mir son Dings mit viel Zeugs drin. Wir machen sie super stark, nein ehrlich, steht da auf der Verpackung und man sieht einen pervers muskulösen Mann, der sich so nen Riegel in den Mund stopft. Da sind alle Vitamine von A-Z drinnen. Und noch ganz viel Brokkoli. Schmeckt aber wie Schokolade.

      „Wie gefällts dir hier eigentlich? Bist ja neu hergezogen“, frag ich, ein bisschen leise.

      „Kenn hier noch kein Schwein.“

      Ich nicke. Ich auch nicht, will ich sagen, aber lieber nicht.

      „Morgen mal die Schule anschaun...“, sagt er.

      „Bist aufm Gymi?“

      „Ja ja.“

      „Da bin ich auch.“

      Joggen war leichter. Da muss man bloß rennen und nicht riskieren zu zeigen, dass man jemanden interessant findet.

      „Ich muss gehen“, sag ich. Sammy guckt mich überrascht an.

      „Schätze sehn uns in der Schule“, sagt er. Ich stapf den Weg zurück nach hause.

      3

      Er hat ihr eine gelangt. Am Frühstückstisch seh ichs. Sie versteckts nicht mehr. Weiß nicht, ob das eine Verbesserung ist. Das nächste mal muss ich was dagegen machen. Ich bin alt genug. Oder zerstöre ich damit unsre Familie? Vielleicht ist es gar nicht so schlimm für sie. Sie ist ja noch hier. Und naja, 95 % ihrer Interaktionen verlaufen gewaltfrei, manchmal schlägt sie auch zurück.

      Samstag morgen. Physik. Ich berechne dies und das. Der Wind weht Schneeflocken gegen mein Fenster. Ich schmeiss das Physikbuch in die Luft. Es landet offen und der fette Mann mit Zwirbelschnauzer von Seite 64 schaut mich fordernd an: „Bitte berechnen Sie...“, sagt er.

      Ich mal ihm einen Penis ins Gesicht. Bitte berechnen Sie … diesen Penis, vervollständige ich den Satz. Ich krieg mich nicht mehr. Ich grunz wie ein Schwein, benetze das Buch mit Spuckefäden. Scheiße, fällt mir ein, das war mit Kulli. Das kann man nicht mehr weg radieren... Das war schon drin, werd ich sagen. Herr Geyer wird mir glauben.

      Ich geh spazieren, zieh meine Halbschuhe an, die sich bald mit gelb gefärbtem Schnee füllen. Jeder Schritt sticht. Ich geh zum Waldsee. Kein Schwanz hier. Das Eis ist wohl zu dünn, um Schlittschuh zu laufen. Mal austesten. Meine profillosen Schuhe gleiten über das gefrorene Wasser. Es knackt hier und da, aber geht noch. Nur am Rand krach ich ein. Aber bloß bis zum Knöchel. Da isn Fisch. Im Eis gefroren. Ich leg mich auf den Bauch, hämmer mit den Fäusten drauf, bis sie blutig sind. Hol mir nen Stein. Das Eis bricht. Ich hack das Vieh frei. Ein schönes Tier! Ich nehm ihn in die flache Hand, dreh mich ein paar mal um meine eigene Achse und schmetter ihn über den See. Er gleitet auf dem Eis, wie eine prima Donna.

      Ein Schlitten, das wärs jetzt. Ich steh oben, am steilen Abhang. Eltern schieben ihre wie bekloppt kreischenden Bälger an, die dann wie Geschosse den Berg runter rasen. Ich leg mich ausgestreckt, parallel zum Abhang in den Schnee.

      „Was machstn du da?“ Fragt einer von den Knirpsen.

      „Schieb mich“, sag ich. Der Kleine schaut mich fragend an.

      „Na los doch“, sag ich. Er lacht und schubst mich. Ich kuller den Berg runter. Unten brummt mein Kopf. Ich steh auf. Meine Hände zittern, ich glaube ich erfriere.

      Zu hause schütte ich den geschmolzenen Schnee aus meinen Schuhen ins Klo, leg sie auf die Heizung. Runter mit den Socken, meine Füße stechen. Die Zehen sehen aus wie ein paar Blaubeeren. Ich halt sie unter warmes Wasser, bis sie wieder Farbe kriegen, lass mir ein Bad ein. Ich hol mir einen runter, mein Sperma schwimmt in der Badewanne und ergibt mystische Formen, wie beim Bleigießen.

      Wir essen zu abend, ich hab keinen Hunger.

      „Wie war dein Spaziergang?“ Fragt meine Mutter.

      „Erquickend“, sage ich.

      Mein Vater grunzt, knallt sich ordentlich die Pick Salami rein, spült mit Bier nach. Er hat Hunger, heute war Arbeit. Als Sozialarbeiter macht er die Arbeitslosen fertig. Sozialarbeiter sind die Schlimmsten, sind mindestens genauso verrückt, wie die Psychologen, haben aber auch noch nen ausgewachsenen Minderwertigkeitskomplex dazu, weil sie zu dumm für ein Psychologiestudium sind.

      „Wie läuft Schule?“ Will er wissen. Ich guck verlegen auf den Boden

      „Gibt es da denn ein nettes Mädchen?“ vermutet meine Mutter und lacht mich an.

      „Genau! Wie wärs mal mit ner Frau, oder bist du ein Homo?“ Ich wünschte, ich wär einer, dann könnt ichs ihm rein drücken.

      „Ich bin satt“, sag ich.

      „Wie sagt man?“ Fragt mein Vater.

      „Danke für das Essen“, ich verzieh mich, hör die beiden gackern, sie mögen sich wieder.

      Draußen spring ich auf gefrorenen Pfützen rum, bis sie einbrechen und das Wasser über das Eis läuft. Ne rum sträunende Katze kriegt nen Schneeball in die Fresse. Miau miau sagt sie und verschwindet in der Dunkelheit. Ich leg mich unter eine Baumgruppe, geschützt vor Blicken rauche ich meine letzte Zigarette. Den kalten Gestank an meinen Händen wasche ich im Schnee ab, öffne dann leise die Tür, zieh mich aus, leg mich in mein Bett und schlafe ein.

      4

      Mein Wecker ist ne verfickte Dampflock. Tschuu tschuu macht sie, wenn sie losgeht. Hab das blöde Teil mal vor Jahren geschenkt gekriegt. Raubt mir noch den letzten Nerv. Die Lock ist viel zu laut, aber „kriegst nix Neues“, sagt mein Vater. Wenn ich Glück hab, reißt sie mich bloß aus meinen Träumen, wenns scheiße läuft, rauscht sie über mich drüber und der Traum-Nicklas ist platt wie ein recyceltes Stück Papier. Und dann stehn se alle rum um mich und lachen mich aus, weil ich einfach viel zu platt und zu breit und zu quadratisch für diese Welt bin.

      Ich schnapp mir mein Hausschuh vermöbel damit den Wecker. Endlich hält er die Schnauze. Ich steh auf, fall wieder um, bleib liegen. Meim Vater gefällt das gar nicht. Er schmeißt mir nen Apfel zu, er landet auf meiner linken Klöte, ich brüll los.

      „Ups, daneben“, sagt er. Er wollte wohl die rechte treffen. Jedenfalls bin ich jetzt wach.

      Ich verschling mein Frühstück und bete meinem Vater Vokabeln runter.

      „Sehr gut“, sagt er, gibt mir nen 5 Euro Schein, „hast dir ein hübsches Pausenbrot verdient!“

      Mein Deutsch Lehrer findet mich zum kotzen. Ich hatte da nie Probleme, aber er hat ein Problem mit mir. Gibt mir ne drei minus zurück. Thema: Killerspiele machen Killer. Ich: Das ist ne Kausalitätsverdrehung. Leute, die sowieso solche Fantasien haben, leben die in diesen Spielen aus, das Spiel verursacht sie nicht. Der Grund, warum die dann beim Amok laufen genauso angezogen sind, wie die Protagonisten, ist weil, das Spiel ihnen nur die ästhetische Form vorgibt. Wenn Amokläufer ein Spiel ausm Mittelalter zocken würden, wären se dann beim Amok eben so angezogen. Hab das mal irgendwo gelesen, dachte, es wärn feines Argument.

      Nö, das ist Quatsch, schreibt Herr Gräser und streicht mein Argument fett rot durch. Arschloch. Geht doch