John Otis

Schtraworski


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wieder ein Flaggschiff-Sandwich geholt. Ich streune über den Hof. Meine Finger kribbeln in der Kälte, mein Mund knuspert von dem krustigen Baguette-Brot. So ziehe ich meine Runden, aber da steht doch der hässliche Gunnar? In der Gruppe meiner Klasse. Hm, dann kann ich mich doch auch mit dazustellen. Ich wittere meine Chance. Jetzt steh ich neben ihm und genieße meine relative Schönheit, denn neben Gunnar bin ich Brad Pitt. Ich hör die Mädels schon meinen Namen rufen und in Ohnmacht fallen. Knusper, knusper, Sandwich. Ich bin nervös, versuche Gunnar in ein Gespräch zu verwickeln, komm aber über ein guten Morgen nicht hinaus. Wir zittern beide. Der hässliche Gunnar tupft sich den Schweiß von der Stirn, bevor er noch gefriert. Er stinkt auch ein bisschen mehr wie ich, so weit ich das beurteilen kann. Mhh, guter Gestank, daneben rieche ich auch wie Brad Pitt.

      Gunnar beißt in seinen Käselaugenknacker, leckt die Wurst. Er ist riesig und mit seinen breiten Schultern und den dicken Armen ist es schwer zu sagen, ob er kräftig oder einfach nur fett ist. Man müsste schon seinen Oberkörper kräftig an stubsen und schauen, ob da was schwabbelt. Das trau ich mich dann aber doch nicht. Hätte eh nicht die Kraft. Gunnar hätte aber sicher nichts dagegen. Der Koloss ist schüchtern, wie ne Maus. Und bestimmt lechzt er verzweifelt nach jeder menschlichen Berührung, selbst wenn sie von mir kommt. Ich glaub ihm ist ne Plombe ausm Zahn geflutscht. Er fischt irgendwas Ekliges, Graues aus seinem Essen und stopfts dann dahin zurück, wos herkam. Zweimal feste zubeißen, er grinst zufrieden den Boden an.

      Das Schlachtschiff drückt von innen unsanft gegen meine Magenwände. Brechreiz. Ich wünschte Martin käme jetzt vorbeispaziert und würde mir mal ordentlich eine in den Bauch hauen. Er bekäme nen Hagel kleiner, ätzender Kroutons ins Gesicht geschleudert.

      Der hässliche Gunnar glotzt wie besessen auf sein Spicker, reicht ihn mir.

      „Bitte abfragen“, sagt er in seiner hohen, piepsigen Stimme. Stadt Land Fluß. Der Junge hat Ahnung. Glückwunsch, jetzt kennst du 20 Städte, noch 20 mehr und du kennst 40.

      Ding dong. Pause aus. Beim reingehen stell ich sicher, dass ich neben Gunnar gehe. Ich fuchtel ein bisschen mit den Armen rum. Von weitem sieht das jetzt so aus, als ob wir uns unterhalten würden. Klassenzimmer zu. Sperren die immer ab, in der Pause. Damit keiner drin bleibt und gegen die Wand pisst oder sonst was. Sammy läuft den Gang runter, auf uns zu. Ich lehn lässig am Kleiderschrank, nick in die Gruppe, schau Gunnar an.

      „Ja? Ja?“ sag ich, nicke, „das ist ja lustig“, ich lache hysterisch. Sammy ist jetzt neben mir, stößt mir im Vorbeigehen den Finger in die Seite.

      „Hi“, sagt er

      „Hi“, sag ich, meine Stimme fiept melodramatisch. Scheiß Sprechfehler, dieser hohe Ton, das ist meistens ziemlich peinlich. Sammy denkt bestimmt, ich wär am flennen. Er geht weiter. Die Tür geht auf.

      „Und ich gebe euch: das Licht“, sagt Herr Geyer, drückt theatralisch gegen den Lichtschalter. Physik. Zur Abwechslung mal etwas, das ich kann.

      „Was ist Licht?“ Fängt Herr Geyer an.

      „Das ist Licht“, sagt Martin und zeigt auf die Leuchtröhren an der Decke.

      „Sehr gut, Martin“, sagt Herr Geyer. Er befeuchtet den Tafel-Schwamm, hält ihn unters Wasser des Spülbeckens, klatscht ihn in Martins Gesicht. Das hätte er eigentlich kommen sehen müssen. Herr Geyer liebt es, seine Schüler zu taufen. Normal sagt er dann immer so Sachen, wie: und ich taufe dich auf den Namen: Schwammfresse. Heute hat er da keinen Bock drauf. Martin legt beschämt den Schwamm vor sich auf den Tisch. Zurück schmeißen traut er sich dann doch nicht. Herr Geyer kann ein verrückter alter Drecksack sein.

      „Was ist Licht?“ Fragt er nochmal.

      Wellen, Wellen, WELLEN Meine Gedanken werden scheiß laut. Ich kann sie kaum noch in meinem Kopf behalten.

      „Fitzssss“, ein seltsamer Laut bricht aus meinem Mund aus, das klang auch für mich selbst merkwürdig. Alle glotzen mich an. Martin lacht mich aus.

      „Ja?“ Sagt Herr Geyer.

      „Licht besteht aus Wellen!“ sag ich.

      „Setzen, 1 plus mit Bärchen-Sticker“, sagt Herr Geyer. Ich werde rot. In einer nervösen Selbstvergessenheit verbeuge ich mich sogar ein bisschen. Zwei, drei mal, beim dritten mal tu ich so, als wollte ich eigentlich nur meinen Kopf auf den Tisch legen, knall dabei ein bisschen gegen das harte Holz. Durch eine Drehung des Halses versuche ich meiner Bewegung doch noch die nötige Eleganz zu verleihen. Ich starr Caroline Hintermeyer auf ihre Pausbäckchen. Sie starrt zurück. Ich dreh mein Kopf in die andere Richtung. Ich wäre gerne einer von diesen Krebsen. Ja, die in den großen Muscheln leben. Immer wenn ich dann kein Bock mehr hab, krabbel ich einfach in das Haus zurück, das irgendwie an meinem Rücken klebt. Und wenn du dann irgendne Scheiße von mir willst, dafür gibt’s nen Briefkasten, der vorne an dem Häuschen hängt, da kannste dann deine Postkarte reinstopfen.

      Aber is nich drin, was würden denn die Menschen denken? Krebs-Nick... Ich bin meiner Zeit weit voraus.

      „Genau, schlaf ein bisschen, kannst es dir ja leisten, Nicklas“, sagt Herr Geyer. Ich säusel vor mich hin.

      Die Leute gehen, ich wache auf. Herr Geyer will noch was von mir. Er lobt wieder meine Arbeit.

      „Immer fleißig weitermachen“, sagt er, „ja und wenn du mal erwachsen bist, dann könnte all das hier dir gehören.“ Mit einer feierlichen Geste breitet er seine Hände über dem Lehrerpult aus, als wollte ers mir, inklusive seiner beknackten Einstein-Mini-Statue, die er immer am Anfang seines Unterrichts aufstellt, übergeben.

      „Dann bist du Lehrer und alle werden sagen: Seht, da ist Nicklas Stäufer und er ist ist ein Lehrer, er ist bestimmt ziemlich cool.“

      „Mh hm“, sag ich. Da ist nicht mehr zu sagen, ich weiß nicht, was das sollte.

      Sport am Nachmittag. Noch ne halbe Stunde. Ich hol mirn Apfel, ne Leberkässemmel und Müllermilch, bleib draußen am Zaun stehen und guck den kleinen Kindern beim Spielen zu. Die Zigarette danach schmeckt mir ordentlich. Ich sollte öfter rauchen. Die Passanten schaun mich an und schütteln die Köpfe. Weil ich ausseh wie 14. Kleines süßes Mädchen glotzt mich von unten an. Wird keine 8 sein.

      „Nimmst du Crystal Meth, Motherfucker?“ Fragt sie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie läuft die Treppe hoch, steht neben mir, zieht an meiner Hose. Läuft dann hysterisch kreischend zu den anderen Kindern runter, brüllt: „jetz hab ichs, jetzt hab ichs und es ist ansteckend!“ Die Kinder stoben panisch auseinander, die Kleine rennt ihnen hinterher und putzt ihre Hand an jedem ab, den sie erwischt. Ja, jetzt haben sies alle. Jetzt haben sie Nicklas Stäufer. Die Kleine bleibt stehen. Schaut kurz verwirrt. Kurz aber zu lange. Mein Apfelbutzen trifft sie an der Schläfe. Knock-Out. Ich geh jetzt besser. Die Müllermilch läuft mir in Strömen aus der Nase und ich grunz vor Lachen.

      Ich zieh mich um. Beschämt von all der Nackheit starr ich auf den Boden. Klatsch klatsch machts, irgendwer haut sein Teil auf die Bank. Ich setz mich, zieh meine Sportschuhe an. Jemand furzt mir ins Gesicht. Ich schau auf. Thomas!!! Mein Häscher. Martin und Thomas, ihr Schwuchteln, ich weiß genau, dass ihr euch eigentlich regelmäßig gegeneinander in den Arsch fickt. Wir rennen im Kreis. Herr Dröge macht sein Nazi-Quatsch.

      „Und eins und zwei und drei und vier, schneller, höher, weiter!“ Sagt er, der professionelle Homo, klatscht den hübschen Jungs auf die Arschbacken, brüllt die hässlichen an. Manchmal ist es gut scheiße auszusehen.

      Hochsprung. Ne, keine Lust. Ich versuch unter der Stange durchzusegeln. Is nich drin. Ich knall mit dem Kopf gegen dieses scheiß Brett, reiß es runter, wir liegen nebeneinander auf der Matte. Mein Schädel pocht.

      „Mann, bist du hardcore“, sagt Thomas, sah wohl so aus, als hätte ich auf die Latte gezielt.

      „Weiter weiter“, brüllt Dröge. Sie springen um die Wette, ich leg mich auf den Boden. Die Welt dreht sich. Bei den Ringen muss ich wieder ran, ich pendle wie ein Sandsack, jetzt schon im 45 Grad Winkel, Herr Dröge feuert mich an, ich kann nicht mehr, lass die Ringe los, knall auf den Boden und dazwischen, zwischen mir und dem kalten harten PVC: der hässliche Gunnar.