Stefan Hoffmann

Die Pastorin und der Punk


Скачать книгу

die nur darauf warten, von einem Typ wie mir verdorben zu werden. Dachte ich mir. Dort traf ich zu meiner Verwunderung Charakter-Nick, einen alten Kumpel, der sich in Begleitung eines Mädels befand. Er begrüßte mich herzlich und stellte mir seine Bekannte mit Cousine Sabine, eine vereinsamte Naturliebhaberin aus dem Ruhrgebiet, vor. Sie kämpft gerade in ihrem Ghetto für eine idyllische Parkanlage, meinte er, mit Bäumen, wo Nachtigallen nisten können. Naturliebhaberin? Ghetto? Überm Ghetto weht der Wind, ging mir zu der Melodie von Sag mir wo die Blumen sind durch den Sinn.

      Ich musterte sie einen Augenblick. Ihr eichhörnchenblondes Haar war schlechter frisiert als ihr Vibrator, vermutete ich. Zwei Probleme also. Der elektrische Stimulator könnte ihr zum Verhängnis werden, wenn knapp vor dem Höhepunkt der Vibrator einen Kurzschluss bekommt. Die Haare wären eine Sache für den Friseur gewesen. Das Problem mit dem Massagestab machte ich zu meiner Chefsache. Wollte sie ins Bett locken, damit sie dort ungestört flöten konnte wie eine Nachtigall. Wo kommst du denn her?, fragte ich als Einstieg für eine anspruchslose Konversation, die auch jede Tussie mit hohem Intelligenzmangel locker beantworten kann. Bochum! Ich darauf: Was ist denn so gebacken in Bochum? Sie teilte mir mit, dass man in Bochum recht gut weggehen und etwas unternehmen kann. Ob ich schon mal das Bochumer Bermuda Dreieck erkundet hätte? Bochumer Bermuda Dreieck? Kenn ich nicht! Hört sich ja gefährlich an. Verschwinden dort plötzlich Menschen in Kneipen, wie Kaninchen im Zauberhut? Oder hat das was damit zu tun, dass dir auf dem Weg zur Toilette die Unschuld abhandengekommen ist? Diese Vermutung schien ihr zu intim. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zog ein entstelltes Gesicht. Trägst du eigentlich keinen BH?, fragte ich. Der Spruch reichte. Ich hatte sie vergrault! Anstatt Mädchen zu verderben, hatte ich mir selbst den Abend verdorben. So kann es gehen. Lockerungsübungen auf der Latex-Matratze musste ich jene Nacht alleine machen.

      Der erste Brief

      19.03.2004 Freitag

      20.22 Uhr

      Ich sitze zu Hause vor dem Computer. Hinter mir flimmert Wer wird Millionär? über die kulturelle Mattscheibe, was mich aber nicht juckt. Normalerweise rate ich bei solchen Quizshows gerne mit, um zu schauen, wie weit ich da so mit meinem Halbwissen mithalten kann. Scheitere oft bei Fragen um Jahreszahlen und klassische Literatur. Doch jetzt möchte ich der neuen Pastorin eine Mail schreiben. Die terrestrische Mailadresse habe ich aus der Kirchenzeitung. Ich warte auf eine Eingebung. Das Thema Sex kann ich keinesfalls als Einstieg für ein Kennenlernen benutzen. So was wird schnell missverstanden.

      Ich entscheide mich für die Thematik des Blutspendens, was religiöse Menschen teilweise ablehnen, wie die Zeugen Jehovas. Die keusche christliche Jungfrau und der dämonisch rebellische Sohn eines heidnischen ostpreußischen Bauern treffen nun aufeinander. Aus dem Stoff macht man göttliche Bestseller. Shakespeare hätte das zum Beispiel geschafft, würde er heute noch unter uns verweilen. Wie wir alle wissen ist Shakespeare keine geschüttelte Hopfenschale, sondern war ein Brite, der unter anderem Romeo und Julia schrieb. Zu Romeo und Julia fällt mir immer dieser Song von Dire Straits ein – kennt ihr den? Die tragische Lovestory spielt in Verona. Zu Verona fällt mir immer die Feldbusch zu ein. Mit Feldbusch meine ich die Ex-Frau von Dieter Bohlen. Dessen Sprüche wiederum sind bei Männern recht beliebt. Zu Verona Feldbusch fällt mir immer der Spruch ein: Die Dummheit der Frauen ist beständiger als ihre Gier nach Schuhen. Hamlet halte ich für eine Art Omelett, also irgend so ein dänisches Gericht aus Schinken und Eiern, von einem Mohr zubereitet. Dessen Geschlechtsteil nennt man übrigens Mohrrübe.

      So fertig, die erste Mail ist geschrieben. Bin mal gespannt, ob ich eine Antwort erhalte. Muss den Text auf Diskett speichern, weil ich daheim nicht ans Internetz angeschlossen bin. Werde ich ihn morgen vom Internet-Café aus durchs Datennetz katapultieren. Der Besitzer vom Café ist ein Türke, der zudem alle vier Wochen auf dem Trödelmarkt neuwertiges Handyzubehör verkauft. So wie billige Jeans, auf die er zehn Jahre Garantie gibt. Mein Telefon, was genau genommen ein Faxgerät ist, mit dem man auch einfache Rechenaufgaben lösen kann, läutet. Ein Handy besitze ich auch, aber das ist meistens ausgeschaltet. Wird bestimmt Meisen sein. Die heutige Welt ist verrückt. Und mein Freund Meisen trägt viel dazu bei, dass es so ist.

      „Jo!?“

      Meisen

      „Ja, ich bin ’s! Fährst du jetzt morgen zur Fortuna?“

      Mein Freund Meisen fragt mich das ziemlich nüchtern – das soll für die späte Uhrzeit schon was heißen. Fortuna bedeutet Fußball. Genau genommen bezieht sich das auf Fortuna Düsseldorf. Der Verein, der Mitte der 90er Jahre alle zwei Monate die These widerlegt hat, dass neue Trainer besser kehren würden. Als man dann begann, auch Präsidenten, Vorstandsmitglieder und komplette Mannschaftsteile auszutauschen, mit der späteren Erkenntnis, durch diese vorher wohl reiflich überlegten Entscheidungen sich plötzlich in der 4. Liga wieder zu finden, wo sich teilweise schon türkische Thekenmannschaften tummeln. Wie gesagt, Fortuna Düsseldorf ist bekannt dafür, dass sie den Trainer öfters feuerten, als Meisen sich bei Auswärtsspielen nüchtern befand. Diese Entlassungen passierten meistens dann, wenn kurz zuvor noch der Präsident bekannt gab, dass der Trainer die volle Rückendeckung des Präsidiums habe. Erinnern tue ich mich gerne mit einem Schmunzeln an die philosophischen Weisheiten des damaligen bosnischen Trainerfuches Aleksandar Ristic, der zur Erkenntnis kam: Wenn du keine Tore schießen, du können nicht gewinnen!

      „Klar!“, sage ich, „hole dich, sagen wir mal um halb zwei, ab. Und denk an nächste Woche. Buchmesse – Leipzig! Aber mit dem Zug. Fahrkarten besorg ich Montag.“

      „In Ordung! Was kostet das eigentlich an Eintritt?“

      „Weiß nicht. Ich als Aussteller habe bereits ein Ticket. Aber lass mich das mal machen. Ich versuch mal einen Trick. Sonst nichts Neues?“

      „Nö, nicht dass ich wüsste. Mach gerade eine ultimative Obstdiät. Und bei dir?“

      Meisen sollte lieber mal mit dem Altbiertrinken etwas vorsichtiger sein.

      „Alles wunderbar. Ich hab jetzt erste Kritiken bekommen. Unter anderem von so einem Typ vom Rundfunk, Abteilung Hörspiel, Dramaturgie und so“, erzähle ich.

      Ich als kleiner Dilettant, habe frecherweise meine geschriebene Geschichte dem Rundfunk angeboten, als Hörspielvorschlag. No risk, no fun!

      „Und? Was sagt der über deine Geschichte?“, fragt Meisen.

      „Warte, der Zettel liegt unter dem Fußballmagazin. Aaah, pass auf, ich les mal vor. Also: Sehr geehrter Herr Hoffmann. Bla, bla, bla – jetzt kommt ’s. Ich kann mit ihren Texten rein gar nichts anfangen, finde sie auch in keiner Weise komisch. Ich fürchte, mit dieser Ansammlung von Peinlichkeiten wird kein halbwegs etablierter Verlag etwas anfangen können.“

      „Ja immerhin. Der outet sich ja voll als Spaßbremse.“

      „Ja, pass auf, der Hammer. Ich lass das Buch jetzt auch im Internet bei eBay versteigern und da bin ich mit einer per Mail in Kontakt gekommen, die das Buch ersteigert hat. Der Name ist schon gut, Susanna Sommer.“

      „Hört sich frisch an. Und wo kommt die her?“ Meisen ist neugierig.

      „Äh, in der Nähe von Frankfurt muss die wohnen.“

      „Also eine hessische Henne?“

      „Wahrscheinlich. Man weiß es nicht so genau. Dazu fällt mir ein. Als Kind mussten wir im Musikunterricht der Reihe nach jeder etwas vorsingen. Jede Woche kam ein anderer dran. Da ich überhaupt nicht singen kann, bin ich hingegangen und habe auf der Kindertröte meiner kleinen Schwester das Lied Oh Susanna einstudiert, was ich dann auch vorgetragen habe. So habe ich mich wieder erfolgreich vor dem Singen gedrückt und bekam sogar noch eine akzeptable Note. Du kennst doch das Lied: I come from Alabama with my banjo on my knee ...

      „Sicher. Und was schreibt die Maus denn so.“

      „Warte, muss schnell den Zettel suchen. Hab mir die Kritik mal