Stefan Hoffmann

Die Pastorin und der Punk


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dein Werk mit ständigem Grinsen im Gesicht gelesen. Du hast meinen verkorksten Tag gerettet, denn an diesem Tag hätte ich nicht mehr gelacht. Es tat mir nur furchtbar leid, als ich wieder umblätterte und das Büchlein – heul – doch schon fertig war. Ich hätte gerne weitergelesen. Beste Stelle, ich lach mich weg, waren deine 35 Zentimeter ab der linken Pobacke gemessen. Gröhl ... Ansonsten hoffe ich, dass du dich von ein Paar schlechten Kritiken nicht unterkriegen lässt. Schreib unbedingt weiter. Liebe Grüße, Susanna.“

      „Wie 35 Zentimeter? Den Gag kenn ich ja gar nicht.“

      „Ja, weißt du. Ich hab mich mal darüber lustig gemacht, dass Männer zuweilen mit ihrer Penislänge angeben. An einer Stelle der Geschichte meine ich dann nur so: Männer sprechen immer von ihren dreißig Zentimetern. Lächerlich. Ich habe bei mir mal nachgemessen. Stolze 35 Zentimeter kann ich vorweisen, zumindest wenn man den Nullpunkt vom Lineal an der linken Pobacke ansetzt.“

      Meisen lacht diabolisch.

      „Das könnte von mir sein“, sagt er dann. „Schmeiß dich doch mal ran an das eBay-Mäuschen“, schlägt Meisen vor.

      „Du, die wollte mich wirklich schon näher kennenlernen. Aber lass mal stecken, das Ganze. Die Geliebte des Künstlers ist die Nacht.“

      Dass ich mich in die Pastorin verguckt habe, brauche ich Meisen nun ja bestimmt nicht zu beichten ...

      „Was hast du eigentlich letztes Wochenende getrieben? Man hat dich nirgends gesichtet.“

      „Äh, nicht viel ...“

      Na ja, stimmt zwar nicht ganz. Wochenende war ich zu Hause, habe einen Bestseller von John Grisham in die Hand genommen, Fußball geguckt, Leverkusen gegen Bayern, jedoch nicht das letzte Tor und den weisen Kommentar von dem Manager Reiner Calmund, böse Zungen sprechen von Kalorien Calli, und der könnte bestimmt gut ’ne Obstdiät vertragen – mitbekommen. Sonntag morgens Fernsehen eingeschaltet. Formel Eins auf Premiere! Geguckt, wie Michael Schumacher, für mich eine Art rheinische Reinkarnation des Ilja Richters, dem Discjockey aus der Sendung Disco (lief zeitlich in der Übergangsphase von Vinyl zur CD), so um die Kurven jagt. Klatsche immer, wenn die tollen Autos im Graben landen und in Flammen aufgehen. Ehrlich gesagt bin ich war nicht unbedingt ein großer Freund von Schumi, aber zumindest fährt er wie ich ein italienisches Auto. Aber meins hat ein Dach und es passen dort noch vier weitere Personen rein. Oder ein Calli, wenn man den Vordersitz ausbaut und die Rückbank umklappt. Ach ja, Ilja Richter war freiwillig unkomisch, Schumi ist unfreiwillig komisch. Am besten finde ich immer seine Antworten auf die Frage, was beim Start zu erwarten ist. Natürlich möchte doch jede Sportskanone nach dem Start die Nase vorn haben, wer fährt schon gerne hinterher? Nebenbei bemerkt, ich bin in den sechs Jahren, in denen ich meinen Wagen besitze, noch nie in das Vergnügen gekommen, den Abschleppdienst zu verständigen. Das soll bei einem italienischen Auto schon viel heißen ...

      „Was ich dir noch sagen wollte. Weißt du, wen ich in der Stadt getroffen habe?“, fragt Meisen und gibt selbst die Antwort.

      „Elvira Frankenstein!“

      „Nee, nä. Und, hat sie was gesagt?“, will ich gespannt wissen.

      „Nö, ich hab sie auch nicht angesprochen. Aber sie sah ganz gut aus im Minirock mit Beinen ohne Ende.“

      Meisen meint immer, auf die Verpackung kommt es an.

      „Elvira sah immer schon spitze aus. Und ihre Oberweite war nie zu verachten.“

      „Ich dachte, die wäre von hier weggezogen und die würden wir nie mehr sehen. Aber glaub mir, man trifft sich immer zweimal und die Welt ist klein. Wie alt ist Elvira eigentlich? Du müsstest das doch exakt wissen. Du warst ja mal hinter der her.“

      „Fast genau zwei Jahre jünger als ich. Ebenfalls Wassermann beziehungsweise Wassermannfrau – was auch sonst?“

      „Ich würde mich an deiner Stelle mal ein wenig an Elvira ran machen, aber musst du wissen. Bis morgen dann – halb zwei.“

      „Alles klar, Meisen. Ciao ...“

      Meisen meint immer, man sollte im Leben alles mitnehmen, was man so angeboten bekommt. Ich leg auf. So, jetzt eine Runde pennen. Dann morgen früh einkaufen gehen, ins spätgotische Internet-Café und dann ab nach Uerdingen, zum Fußballspiel Düsseldorf gegen Kleve, welches aufgrund des großen Zuschauerinteresses in der Krefelder Grotenburg stattfindet. Es geht um den Aufstieg und drei Punkte sind Pflicht für meinen Verein. Mal gucken, wie die Fortuna diesmal so auswärts drauf ist. In den 90er Jahren habe ich immer mutig beim Buchmacher auf einen Auswärtssieg meiner Fortuna gesetzt, was dem Buchmacher dazu verhalf, sich in der Schweiz ein Chalet zu kaufen ...

      Dumpfe rhythmische Schläge dringen plötzlich an mein Ohr. Scheiße, ich glaub, der Typ der unter mir wohnt, macht mal wieder eine Fete.

      Unternehmen Fortuna

      20.03.2004 Samstag

      10.32 Uhr

      Achmed vom Internet-Café reicht mir einen Kaffee, aber keinen türkischen, sondern einen tückischen. Gutes Aufputschmittel, sag ich nur. Ersetzt den Herzschrittmacher. Dafür bräuchte man eigentlich ein Rezept vom Onkel Doktor. Ich schicke den Text per Mail der Pastorin zu. Von draußen erkennt man an den vielen Rechtschreibefehler der Werbezettel, die an den Scheiben kleben, dass es sich hier bei dem Inhaber um einen Türken handeln muss.

      12.43 Uhr

      Bin im Supermarkt. Auf das Problem mit der fehlenden Münze für den Einkaufswagen, wo dann eine Laufrolle kaputt sein wird, möchte ich hier nicht eingehen. Mein Abenteuer ist beendet, nachdem ich lebend mit einer Einkaufstüte das Geschäft verlassen habe. Heute ist die Tüte voll mit Dosenbier. Die ist ziemlich schwer. Ostern steht ja bald vor der Tür, da muss man sich schon mit Proviant eindecken.

      13.05 Uhr

      Habe noch nichts im Magen, der anfängt zu knurren. Ich flitz schnell noch rüber zum Bäcker, leckere frische Brötchen kaufen. Kundin und Personal treiben amüsiert Konversation, indem sie scheinbar Urlaubsanekdoten zum Besten geben. Sie registrieren mich nicht. Ich höre erst einmal zu. Die Geschichten sind ziemlich schlecht. Bei den Worten der übergewichtigen Bäckereiverkäuferin komme ich ins Schmunzeln. Hier sitzt zwar nicht die Pointe, doch der sächsische Dialekt hört sich dafür um so lustiger an. Meine gespielte Gelassenheit lässt nach. Ich räuspere mich, um Aufmerksamkeit zu erlangen und fange leicht an zu scharren. Zu allem Pech stellt sich eine übernervöse Kundin zu mir, die zudem übel riecht. Das erinnert alles andere als an einen herrlichen Frühlingsduft. Dann gesellen sich noch weitere Kunden zu uns. Ich mache einen plakativen Schritt auf die Theke zu. Schluss jetzt mit dem Gequatsche. Was dann auch passiert. Man hat uns wartende Kunden ernst genommen. Im gleichen Augenblick reißt meine Tüte ein und die Büchsen purzeln auf den Boden.

      13.24 Uhr

      Keinen Bock eine neue Tüte zu kaufen, balanciere ich die Bierbüchsen teilweise recht ungeschickt mittels Armen und Händen zu mir auf die Bude. Dort kommen die Dosen in den Kühlschrank. Plastiktüten gehören in den Gelben Sack. Ich stecke mir die kaputte Tüte in die Jackentasche, um sie vor dem Haus in den dafür vorgesehenen Behälter zu werfen. Beim Verlassen des Hauses, mit einem Wurstbrötchen im Mund, sehe ich auf der anderen Seite der Straße die Pastorin. Was macht die denn hier? Die wohnt doch in Köln. Das habe ich im Internet doch schon raus gefunden. Soll ich sie eben ansprechen? Was soll ich ihr sagen? Wie steht sie als Kölnerin eigentlich zu Düsseldorf? Mag sie nur Kölsch oder trinkt sie auch Alt? Hat sie überhaupt schon meine Mail gelesen? Ich glaube weniger. Kann eigentlich nicht sein, die Mail habe ich erst vor knapp drei Stunden abgeschickt. Aber wer weiß? Das Ansprechen lasse ich erst mal bleiben. Ich gehe zu meinem Vehikel und mache mich auf den Weg. Meisen wartet. An einer roten Ampel fällt mir wieder ein, die eingerissene Tüte ist ja noch in der Jacke. Ich hole sie hervor und lege sie ins Handschuhfach.

      13.33 Uhr

      Ich sitz im Auto und warte auf Meisen, der kommt auch, aber fit scheint er nicht zu sein.